Politik

Neuregelung des Single Embryotransfers überfällig

  • Dienstag, 16. April 2024
/Evgeniy Kalinovskiy, stock.adobe.com
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Berlin – Nach der gestrigen Veröffentlichung der 600-seitigen Empfehlungen der „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ werden Rufe nach einer gesellschaftlichen Diskussion über neue rechtliche Regelungen für die Reproduktionsmedizin immer lauter. Insbesondere werden auch Reformen ange­mahnt, die nicht Gegenstand der Betrachtungen der Kommission waren.

Das Gremium aus 18 Fachleuten aus den Fachbereichen Medizin, Psychologie, Soziologie, Gesundheitswissen­schaften, Ethik und Recht hatte sich ein Jahr lang innerhalb einer Arbeitsgruppe mit den Themen „Eizellspende und Leihmutterschaft“ beschäftigt, die beide bislang in Deutschland verboten sind. Auf Basis ihrer wissen­schaft­lichen Empfehlungen soll nun eine gesellschaftliche und politische Debatte geführt werden.

„Unabhängig von der Kommissionsarbeit und den Beratungen zu Eizellspende und Leihmutterschaft, welche jetzt innerhalb der Regierung und dann hoffentlich auch im Bundestag folgen, sollte schnellstmöglichst auch das im Koalitionsvertrag gegebene Versprechen, den elektiven Single Embryotransfer zuzulassen, umgesetzt werden“, sagte der Düsseldorfer Reproduktionsmediziner Jan-Steffen Krüssel dem Deutschen Ärzteblatt.

Dann hätten seine Kolleginnen und Kollegen und er endlich die Chance, ihren Patienten auch in Deutschland rechtssicher die bestmöglichen Behandlungsbedingungen bei größtmöglicher Risikovermeidung zu ermögli­chen.

Denn derzeit ist der elektive Single Embryotransfer (eSET) in Deutschland aufgrund der Regelungen des mehr als 30 Jahre alten Embryonenschutzgesetzes nicht möglich. Dieses verbietet, bewusst mehr Embryonen zu erzeu­gen, als der Frau in einem Zyklus übertragen werden sollen. In vielen anderen europäischen Ländern hingegen ist der eSET erlaubt, um den Anteil der Mehrlingsschwangerschaften bei der In vitro Fertilisation (IVF) zu redu­zieren.

Der eSET ist von der Kommission jedoch nicht betrachtet worden. Dies war auch nicht ihr Auftrag. „Die Kommis­sion ist dem Auftrag der Ampelkoalition zu 100 Prozent nachgekommen, laut Koalitionsvertrag sollten ja die Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und altruistischen Leihmutterschaft geprüft werden.“ Dennoch sollte der eSET in der Debatte nicht untergehen, findet Krüssel.

„Im Memorandum der Bundesärztekammer zur Fortpflanzungsmedizin von 2020 wurde diesem Punkt die größte Bedeutung beigemessen, da die Rechtssicherheit für den eSET für die tägliche Arbeit eine viel größere Relevanz hat als die Einzelspende oder Leihmutterschaft“, betonte der Arzt, der gleichzeitig Federführender des Arbeits­kreises „Offene Fragen der Reproduktionsmedizin“ des Wissenschaftlichen Beirats bei der Bundesärztekammer ist.

Durch die Auswahl von entwicklungsfähigen Embryonen und den Transfer jeweils nur eines Embryos lasse sich das Mehrlingsrisiko und damit auch die entsprechende Belastung und für die Mütter und die Kinder deutlich reduzieren, erläuterte er.

Offene Türen läuft Krüssel mit seinen Forderungen beispielsweise bei der Sprecherin der Kommissions­arbeits­gruppe zur Fortpflanzungsmedizin, Claudia Wiesemann, ein. Auch sie hält es für „dringend notwendig“, den eSET in Deutschland zuzulassen und damit die Rate der Mehrlingsschwangerschaften nach IVF deutlich zu reduzieren.

Zwar sei im Koalitionsvertrag der Regierung schon vereinbart, den eSET zuzulassen, doch bislang sei in dieser Sache nichts weiter geschehen, sagt die Ärztin und Medizinethikerin der Universität Göttingen dem Deutschen Ärzteblatt. „Das ist sehr bedauerlich. Denn mit jedem Jahr, das verstreicht, kommt es zu einer Vielzahl von wei­teren, eigentlich vermeidbaren Mehrlingsschwangerschaften mit den entsprechenden, teils schweren Komplika­tionen für Mutter und Kind.“

Die im Rahmen des eSET stattfindende Selektion von Embryonen befürwortet Wiesemann. „Die Auswahl des sich am besten entwickelnden Embryos ist nicht nur legitim, sondern ethisch geboten“, betonte Wiesemann. Zum einen erlaube das Embryonenschutzgesetz ohnehin das Aussortieren und Verwerfen von Embryonen, etwa nach Präim­plantationsdiagnostik.

Zum anderen sei es ethisch nicht zu rechtfertigen, dass man durch Restriktionen im Umgang mit so frühen Em­bry­onen in der Petrischale das Leben von wesentlich weiter entwickelten Feten in der Schwangerschaft gefähr­de. „Das ist aber die Konsequenz der in Deutschland üblichen Übertragung von mehr als einem Embryo auf die Frau, um so die Schwangerschaftsrate zu verbessern.“

Auch die Bundesärztekammer hält bereits seit Jahren eine Diskussion über die rechtlichen Regelungen für die Reproduktionsmedizin für dringend erforderlich. Ähnlicher Ansicht sind auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaft Leopoldina und der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften.

In ihrer 2019 veröffentlichten, umfassenden Bestandsaufnahme „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung“ beschrieben sie ebenfalls den dringenden gesetzlichen Handlungsbedarf und forderten eine umfassende Neuregelung der Reproduktionsmedizin in Deutschland sowie ein einheitliches Fortpflanzungsmedizingesetz. Beinhalten sollte dies neben der Zulassung der eSET auch die Legalisierung der Eizellspende.

ER

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