Politik

Ökonomen erwarten deutlichen Anstieg der Sozialbeiträge

  • Dienstag, 22. April 2025
/Stockfotos-MG, stock.adobe.com
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Berlin – Die Sozialbeiträge könnten nach Erwartung von einer Reihe von Fachleuten bereits im kommenden Jahr erneut steigen. Kritik gibt es weiter an verschobenen Reformen.

Der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem geht ohne Reformen davon aus, dass die Krankenkassenbeiträge in den kommenden zwei Jahren jeweils um rund 0,2 Beitragssatzpunkte steigen.

Das Berliner IGES-Institut erwartet innerhalb der kommenden zehn Jahre einen Anstieg der Belastung durch die gesamten Beiträge der einzelnen Sozialversicherungen von gut 42 auf 49 Prozent – je nach genauer Entwicklung werde der Wert dann zwischen 46 und 53 Prozent liegen. „Ohne weitere Maßnahmen werden diese Belastungen zunehmen“, sagte IGES-Geschäftsführer Martin Albrecht.

Bereits zum Jahreswechsel musste ein Durchschnittsverdiener laut IGES „einen sprunghaften Anstieg der Beitragsbelastung“ verkraften. In diesem Jahr seien dann im Schnitt 255 Euro mehr für die Krankenkasse zu zahlen. Der Zusatzbeitrag zum allgemeinen Satz von 14,6 Prozent war Anfang 2025 auf im Schnitt 2,9 Prozent gestiegen.

„Der Koalitionsvertrag verschärft das Problem: Anstelle von Vorschlägen zu einer Begrenzung des künftigen Beitragsanstiegs gibt es hier teure Versprechungen wie beispielsweise ein stabiles Rentenniveau und eine ausgeweitete Mütterrente“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher.

Auch der Mannheimer Ökonom Nicolas Ziebarth erwartet keine „strukturellen Reformen“ zur Senkung des wachsenden Kostendrucks in den Sozialversicherungen. „Die Sozialabgaben werden also ungebremst steigen“, sagte der Wissenschaftler am Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). „Die steigenden Sozialbeiträge sind heute eine der drängendsten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft.“

Abgaben behindern Konjunkturerholung

Die Abgabenbelastung gilt als eins der vordringlichen Hemmnisse für ein stärkeres Anspringen der Konjunktur in Deutschland. „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir das dritte Jahr hintereinander eine Rezession mit schrumpfender Wirtschaftsleistung erleben“, sagte Fratzscher.

Die Zölle von US-Präsident Donald Trump und die Folgen des russischen Kriegs in der Ukraine verschärften die Lage. „Wir bräuchten aber auch wieder mehr privaten Konsum in Deutschland“, sagte Fratzscher. „Hohe Sozialabgaben wirken hier deutlich dämpfend“, so der DIW-Chef. „Wenn die Menschen in Deutschland nicht wieder mehr ausgeben, wird nachhaltige konjunkturelle Erholung kaum gelingen.“

Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt sich besorgt über die Ankündigungen von CDU/CSU und SPD. „Reformen werden verschoben, weil sich die Koalitionspartner nicht einigen können“, kritisierte IW-Steuer- und Sozialexperte Jochen Pimpertz.

Stattdessen bringe die neue Koalition viele Kommissionen auf den Weg – etwa für die Zukunft der Kranken- und der Pflegeversicherung. „Den Kommissionen, die Reformen für die Koalition vorschlagen sollen, fehlt ein klarer Auftrag“, sagte Pimpertz. „Und sie kommen zu spät.“ So sollten Vorschläge für die Krankenversicherung erst 2027 vorliegen. Aus Sicht von Pimpertz reicht das nicht: „Diese werden eher im nächsten Bundestagswahlkampf zerredet, als dass sie umgesetzt werden.“

Auch die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, warnt vor einer Beitragssteigerung bei den Sozialversicherungen. Sie blicke mit Sorge auf unkonkrete Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zu diesem Thema, hieß es in einer Mitteilung.

Die neue Regierung müsse dafür sorgen, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben auch von der gesamten Gesellschaft bezahlt würden – also aus Steuermitteln und nicht aus den Töpfen von Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, sagte Bentele.

„Nach unseren Berechnungen werden jährlich rund 70,8 Milliarden Euro aus den Töpfen der Sozialversicherungen für Maßnahmen entnommen, die eigentlich aus dem Bundeshaushalt finanziert werden müssten“, rechnete Bentele vor. „Würden diese sachgerecht finanziert, könnten die Beiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen um 4,19 Prozent sinken. Das ist eine Entlastung, die wir jetzt dringend brauchen.“

Es sei ungerecht, dass etwa die Pflegeversicherung für 5,9 Milliarden Euro aufgekommen sei, die im Zuge der Coronapandemie gebraucht wurden – obwohl Leistungen wie Coronatests oder Pflegeboni in Pflegeheimen der gesamten Gesellschaft zugutekamen. „Hier wurden Kosten, die eigentlich der Bundeshaushalt hätte stemmen müssen, allein von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sowie sozialversicherungspflichtig Beschäftigten getragen.“

Diese Praxis, durch die Töpfe der Sozialversicherungen den Staat quer zu finanzieren, müsse ein Ende haben.

„Vor allem bei der Kranken- und Pflegeversicherung droht ein massiver Anstieg der Beitragssätze, wenn die neue Regierung jetzt nicht schnellstmöglich handelt», warnte Bentele. «Die Koalitionspartner haben in ihrem Vertrag aber keine konkreten Ideen vorgelegt, wie sie eine extreme finanzielle Belastung von den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern abwenden wollen.“

dpa/may

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