Politik

Pandemievertrag der Weltgesundheitsorganisation verabschiedet

  • Dienstag, 20. Mai 2025
Der amerikanische Gesundheitsminister Robert Kennedy Jr. gibt in einem Video eine Erklärung zu der historischen Vereinbarung über die Bekämpfung künftiger Pandemien ab. /picture alliance, KEYSTONE, Magali Girardi
Der amerikanische Gesundheitsminister Robert Kennedy Jr. gibt in einem Video eine Erklärung zu der historischen Vereinbarung über die Bekämpfung künftiger Pandemien ab. /picture alliance, KEYSTONE, Magali Girardi

Genf – Die mehr als 190 Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben ein globales Pandemieabkommen beschlossen. Nach einem WHO-Ausschuss gestern gab heute auch das Plenum der Weltgesundheitsversammlung in Genf grünes Licht für das Vertragswerk.

Damit sollen Lehren aus der Coronapandemie gezogen und die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen künftige Gesundheitskrisen gestärkt werden.

Die heutige Zustimmung bedeutet nicht, dass das Pandemieabkommen bereits in Kraft tritt – bis es soweit ist, wird vielmehr noch ein längerer Prozess erwartet. So müssen wichtige Punkte noch in einem Anhang zum Abkommen weiterverhandelt werden. Es gibt Stimmen, die im Fall einer neuen Gesundheitskrise zunächst keine Verbesserungen für ärmere Länder erwarten.

Die WHO und Politikerinnen und Politiker beteiligter Staaten begrüßten die Einigung als Zeichen der internationalen Solidarität. Auch mehrere externe Fachleuten sehen darin eine große diplomatische Leistung, viele äußerten sich aber auch skeptisch über den möglichen Nutzen, etwa wegen vage gehaltener Formulierungen.

Angesichts der polarisierten Weltlage hatten Fachleute jedoch bereits die Einigung auf einen Vertragstext im April nach mehr als drei Jahre dauernden Verhandlungen als bedeutendes Signal gewertet.

Was der Vertrag regelt – und was noch offen ist

Nach den Millionen Toten durch die COVID-19-Pandemie werden im Vertragstext Leitplanken zu Themen wie Prävention, Lieferketten, Technologietransfer sowie Forschung und Entwicklung festgehalten. Länder sollen beispielsweise ihre Gesundheitssysteme und die Überwachung des Tierreichs stärken, so dass Krankheitsausbrüche schnell entdeckt und möglichst im Keim erstickt werden können.

Alle Länder sollen demnach Zugriff auf Schutzmaterial, Medikamente und Impfstoff haben. Gesundheitspersonal soll weltweit zuerst versorgt werden. Pharmafirmen sollen ihr Know-how teilen, damit auch in anderen Ländern Medikamente und Impfstoffe produziert werden können.

Ein neues System (Pathogen Access and Benefit Sharing system, PABS) soll sicherstellen, dass wissenschaftliche Informationen über Erreger geteilt, Impfstoffe zügig produziert und ärmere Länder fair versorgt werden. Hersteller, die von dem Prozess profitieren, sollen der WHO zehn Prozent ihrer Produktion zur Verteilung, insbesondere in ärmeren Ländern, spenden und weitere zehn Prozent zu günstigen Preisen abgeben.

Die Einzelheiten zum PABS müssen allerdings erst noch verhandelt werden und sollen den Vertrag in Form eines Anhanges ergänzen. Die Ergebnisse einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe sollen bei der Weltgesundheitsversammlung im kommenden Jahr vorgestellt werden. Erst wenn der Anhang abgesegnet wurde, kann der Prozess der Ratifizierung durch die Länder beginnen. In Kraft tritt der Vertrag dann, wenn mindestens 60 Länder ihn ratifiziert haben. Er gilt dann nur in diesen Ländern.

Staaten könnten nach Debatten in ihren Parlamenten oder anderen nationalen Organen auch noch Vorbehalte formulieren, erklärte Pedro Villarreal, Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). „Wenn dann andere Staaten diese Vorbehalte akzeptieren, bedeutet dies, dass einige Verpflichtungen für einige Länder nicht gelten werden.“

Lobende Worte, aber auch Einschränkungen

WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus wertete das Abkommen als historisch. Die Welt sei heute sicherer dank der Führungsrolle, der Zusammenarbeit und des Engagements der Mitgliedsstaaten bei der Verabschiedung. „Das Abkommen ist ein Sieg für die öffentliche Gesundheit, die Wissenschaft und multilaterales Handeln.“

Der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Henri P. Kluge, sieht in dem Vertrag ein kollektives Versprechen, besser zu handeln als bei der COVID-19-Pandemie und die harten Lehren daraus gemeinsam zu ziehen.

Der diesjährige Präsident der Weltgesundheitsversammlung Teodoro Herbosa, Gesundheitsminister der Philippinen, betonte, die Mitgliedstaaten müssten nun mit der gleichen Dringlichkeit handeln, um die entscheidenden Elemente des Vertrags umzusetzen.

Julia Stoffner, Expertin für internationale Gesundheitspolitik bei der Hilfsorganisation Brot für die Welt, betonte mit Blick auf das noch auszuhandelnde PABS-System: „Die Länder des Globalen Südens werden bei einem zukünftigen Pandemiefall erneut benachteiligt und Menschenleben gefährdet, weil die Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation das internationale Pandemieabkommen heute nicht offiziell ratifizieren.“

Einkommensschwache Länder erhielten wieder verzögert Zugang zu Impfstoffen, Diagnostika und Medikamenten, so Stoffner. „Einen wesentlichen Anteil daran trägt auch die deutsche Bundesregierung, die in den Verhandlungen bei der WHO die Interessen der Pharmaindustrie bevorzugt, indem sie beispielsweise einen freiwilligen Technologietransfer für Hersteller forderte.“

Das geplante PABS sei entscheidend, betonte Michael Stolpe, Leiter des Projektbereichs Globale Gesundheitsökonomie am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. „Sollte es nicht zustande kommen, würde wohl das gesamte Pandemieabkommen scheitern.“

Der Co-Sprecher und Mitglied des Lenkungskreises des Leibniz Lab Pandemic Preparedness betonte außerdem, dass die Beteiligung von Pharmafirmen am geplanten PABS freiwillig sei und dass die WHO so gut wie keine Möglichkeiten habe, Verstöße gegen das Abkommen zu sanktionieren, falls es in der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen oder nach dem Ausbruch einer neuen Pandemie zu Konflikten kommen sollte.

Begrüßt wurde hingegen beispielsweise von der Umweltschutzorganisation WWF, dass sich die Mitgliedsstaaten auf einen One-Health-Ansatz einigten, der die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt zusammen denkt. Dieser werde nun endlich in einem völkerrechtsverbindlichen Instrument verankert, sagte Villarreal von der SWP in Berlin. „Ebenso wird allgemein anerkannt, dass der Schutz des Gesundheitspersonals für die Reaktion auf künftige Pandemien von entscheidender Bedeutung ist, da es in der Regel die Ersthelfer sein werden.“

Abkommen ohne die USA

Die USA, die kurz nach dem Amtsantritt von Donald Trump ihren Austritt aus der WHO angekündigt haben, beteiligten sich seit dem Regierungswechsel nicht mehr an den Verhandlungen zum Pandemieabkommen. Ohne sie könnte der Kampf gegen künftige Pandemien sehr schwierig werden, befürchtet Stolpe vom IfW in Kiel. Aktuell würden dort circa 50 Prozent aller patentgeschützten Pharmaka weltweit produziert.

Es könne sein, dass die Vereinigten Staaten „im Falle einer neuen Pandemie strikte Exportkontrollen für alle relevanten Pharmaka einführen und zum Beispiel den Export wirksamer Impfstoffe erst dann zulassen, wenn der vollständige Schutz ihrer eigenen Bevölkerung gewährleistet ist – ganz im Sinne der ‚America-first‘-Politik“, so Stolpe.

US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. wandte sich nach Angaben des US-Gesundheitsministeriums von heute in einer Videobotschaft an die Weltgesundheitsversammlung und verteidigte den angekündigten Austritt seines Landes.

Dies solle von Gesundheitsministern anderer Länder und der WHO als Weckruf verstanden werden, sagte er demnach. Und er habe betont, dass globale Kooperation in Gesundheitsfragen Präsident Trump und ihm selbst sehr wichtig seien, unter Führung der WHO laufe es aber nicht gut, wie Versäumnisse aus der Coronapandemie zeigten.

Kennedy kritisierte die WHO als bürokratisch aufgebläht und warf ihr Interessenkonflikte sowie Verstrickung in internationale Machtpolitik vor. Die WHO habe vor dem politischen Druck Chinas kapituliert. Kenndey appellierte an seine internationalen Kolleginnen und Kollegen, neue Institutionen zu gründen oder bestehende zu überarbeiten, „die schlank, effizient, transparent und rechenschaftspflichtig sind“.

Die 78. Weltgesundheitsversammlung hat gestern in Genf begonnen. Bei der gut einwöchigen Sitzung des wichtigsten WHO-Entscheidungsgremiums ist ein weiteres zentrales Thema der große Spardruck, mit dem die UN-Sonderorganisation wegen des Wegfalls der umfangreichen US-Beitragszahlungen konfrontiert ist.

ggr/dpa/afp

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