Politik

Pflegekassen stehen vor hohen Defiziten: Schnelle Reform angemahnt

  • Mittwoch, 19. Juni 2024
/Stockfotos-MG, stock.adobe.com
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Berlin/Kremmen – Die Pflegeversicherung erwartet für dieses Jahr wieder rote Zahlen und warnt vor weiter wachsenden Finanzrisiken. Im ersten Quartal 2024 habe ein Defizit von 650 Millionen Euro bestanden, sagte Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandschef des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), der auch die Pflegekassen vertritt, heute im brandenburgischen Kremmen. Im Gesamtjahr wird mit einem Minus von 1,5 Milliarden Euro gerechnet, für 2025 dann von 3,4 Milliarden Euro. Dies entspräche einer Beitragsanhebung von 0,2 Punkten.

Das vergangene Jahr hatte die Pflegeversicherung mit 1,79 Milliarden Euro Überschuss abgeschlossen. Grund waren zusätzliche Einnahmen durch eine Beitragserhöhung zum 1. Juli 2023. Der Beitrag für Kinderlose stieg auf vier Prozent und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Der Arbeitgeberanteil ging auf 1,7 Prozent herauf.

Familien mit mindestens zwei Kindern zahlen – bezogen auf den Arbeitnehmeranteil – weniger Beitrag als zuvor. Die Reform der Ampelkoalition, die auch Entlastungen für Pflegebedürftige festlegt, soll pro Jahr 6,6 Milliarden Euro zusätzlich mobilisieren. Sie sollte die Finanzen eigentlich vorerst bis 2025 absichern. Inzwischen musste bereits in diesem Jahr ein unterjähriger Finanzausgleich zwischen den Pflegekassen stattfinden.

Kiefer, der zum Monatsende das Amt als stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes aufgibt, forderte von der Politik eine grundlegende Kurskorrektur. „Die Frage der Finanzierung kann politisch nicht ausgesessen werden. Bund und Länder müssen hier schnell handeln, spätestens in der nächsten Legislatur.“ An die Aussagen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), hier gebe es noch in dieser Legislatur eine Reform, glaube er nicht.

Kiefer hat vor allem die steigende Entwicklung bei den Eigenanteilen für die Pflegebedürftigen im Blick. Seit der Änderung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs 2017 sind die Eigenanteile von 1.690 Euro auf inzwischen 2.783 Euro gestiegen, dies seien ein Zuwachs von 65 Prozent. Ende 2023 gab es erstmals insgesamt 5,24 Millionen Pflegebedürftige. Laut Daten des GKV-Spitzenverbandes ist vor allem die Zahl der Menschen mit Pflegegrad 2 deutlich gestiegen, hier sind inzwischen 1,92 Millionen Menschen eingruppiert.

Aus seiner Sicht sei die Idee aus den 1990er Jahren, in der die Pflegeversicherung eingeführt wurde, dass Menschen durch ihre Einkommen die Pflege finanzieren können, inzwischen an die Grenzen gekommen. Daher müssten Bund und Länder sich an die ursprüngliche Idee erinnern, die Finanzierung besser auf drei Schultern zu verteilen: Der Bund sowie die Länder über Steuergelder und als dritten Teil die Beitragszahlenden.

Er appellierte auch an die Selbstverwaltung in der Pflege – also Pflegekassen sowie Leistungserbringende – künftig besser zusammen zu arbeiten und auch ohne Druck durch die Politik zu klären, wie man künftig mit knappen Ressourcen die ambulanten Leistungen sicherstellen kann. „Ich sehe es in der Verantwortung der Selbstverwaltung, auch in der Pflege über einen Kollektivvertrag nachzudenken“, sagte Kiefer. In der ambulanten ärztlichen Versorgung gibt es diesen Kollektivvertrag auf dessen Grundlage Ärztinnen und Ärzte für alle GKV-Versicherten einheitlich abrechnen. Diese Struktur gibt es aus historischen Gründen in der Pflege nicht, „ist aber jetzt in dieser Situation ein möglicher Weg“, so Kiefer.

Auch bei den Themen Bürokratieabbau sowie Digitalisierung in der Pflege müsste man aus seiner Sicht „weniger reden“, die Bemühungen und die Anwendungen müssten in der Pflege ankommen. „Bei der Digitalisierung muss es einen besonderen Schub geben, gerade auch in der Langzeitpflege.“

bee/dpa

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