Sachverständigenrat empfiehlt Verpflichtung zur elektronischen Patientenakte für GKV-Mitglieder

Berlin – Um die medizinische Versorgung durch Digitalisierung einen Schritt voranzubringen, sollte die elektronische Patientenakte (ePA) künftig für alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verpflichtend eingeführt werden. Diesen Vorschlag hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) in seinem neuen Gutachten unterbreitet.
Im Sinne der besseren Versorgung, der Forschung sowie eines patientenzentrierten Ansatzes der Datenverarbeitung sollte das bisherige Verfahren, nachdem jeder GKV-Versicherter in einem mehrstufigen Verfahren einer Nutzung seiner ePA zustimmen muss, abgelöst werden.
„Es wird für jede Person eine ePA angelegt, sofern nicht widersprochen wird“, heißt es. Dabei sollten Patienten weiterhin die Möglichkeit der „Verschattung“ von Inhalten bekommen, damit die Ärzte sowie weitere Leistungserbringer einzelne Einträge nicht sehen können.
ePA-Beantragung aktuell zu umständlich
Nach Überzeugung des siebenköpfigen Rates können sich die Chancen der ePA-Nutzung für die Versorgung nur dann entfalten, wenn möglichst viele Menschen diese nutzen. „Daher ist aus Sicht des Rates statt eines theoretisch dreifachen, praktisch jedoch umständlichen multiplen Opt-in-Verfahrens eine praktikablere und niederschwellige doppelte Opt-out-Regelung im Kontext der ePA der bessere Weg“, so der SVR.
Wenn Patienten derzeit die ePA beantragen, ist dies ein mehrstufiges Verfahren zur Zustimmung der Nutzung und damit „konzeptionell umständlich“ sowie ein „realitätsfernes Konzept“, so der Rat. Dabei sollte man die Vorbilder aus der EU im Blick haben, die ähnliche Projekte verfolgen.
Für die „informierte Entscheidung“ der Nutzer müsse es aber eine „medienwirksame“ Kampagne geben, nicht nur durch die Krankenkassen oder auch durch Ärztevertreter. Auch sollte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA) hier eingeschaltet werden.
Patientenverfügung und Organspendeausweis gehören in die ePA
„Wir müssen bei der ePA davon wegkommen, dass es eine zufällige Ansammlung von PDF-Dokumenten ist, es sollte künftig auch der Hinweis auf eine Patientenverfügung oder einen Organspendeausweis enthalten sein“, erklärte Ratsmitglied Petra Thürmann von der Uni Witten/Herdecke.
Drei Mitglieder des SVR stellten heute das 363-seitige Werk in Berlin vor. Dabei nahmen sie mehrere Bereiche der Digitalisierung im Gesundheitswesen in den Fokus, von denen viele bereits in den vergangenen drei Jahren vom Bundesgesundheitsministerium unter der Führung des Ministers Jens Spahn (CDU) mit Gesetzgebung geregelt oder auf den Weg gebracht wurden. Dazu zählen beispielsweise die Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs), das feingranulare Management der ePA, zur Interoperabilität, zur Standardisierung und zur Forschungsdatenhaltung.
Die Frage, warum der Sachverständigenrat seine Überlegungen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen erst am Ende der Legislatur vorstellt, begründete SVR-Vorsitzender Ferdinand Gerlach von der Universität Frankfurt zum einen mit der Arbeitsweise des Rates. Es sei die Aufgabe, Entwicklungen auch langfristig zu beobachten und alle zwei Jahre ein Gutachten zur Entwicklung des Gesundheitswesen vorzulegen.
„Wir lassen uns von Entwicklungen nicht treiben“, so Gerlach. Zwar habe es parallel zur Gutachtenerstellung viel Gesetzgebung gegeben, aber dennoch seien die Ergebnisse weiterhin sehr aktuell. „Es gibt besonders bei der Frage der Opt-in und Opt-out-Variante bei der ePA sowie auch bei den Vorschlägen für DiGAs in höheren Risikoklassen noch erheblichen Regulierungsbedarf“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld.
Auch gehe aus dem Gutachten hervor, dass gerade bei der Frage der Datenhaltung sowie beim Datenschutz noch einiges diskutiert und verändert werden müsse. „Wir sehen dabei in Deutschland immer erst einmal das Risiko und den Missbrauch im Vordergrund. Dabei müssen wir eher eine neue Balance zwischen Datenschutz und Datensparsamkeit im Sinne einer aktiven Datensicherheit finden“, erklärte Gerlach. Man müsse prüfen, ob es künftig nicht ein „Gesundheitsdatennutzungsgesetz“ entwickelt werden sollte.
Grundsätzlich sieht der SVR die Vorteile in der Digitalisierung des Gesundheitswesens in der der Dynamik, mit dem es als „lernendes System“ verstanden werden kann. „Im Gegensatz zur heute gelebten Praxis, in welcher Daten oft über, aber nicht für den Patientinnen und Patienten gesammelt werden, sollte in einer patientenorientierten Umgebung Patientinnen und Patienten Kenntnis und Kontrolle über ihre Daten haben.“
Voller Nutzen entfaltet die Digitalisierung zudem erst, wenn die Daten an den vielen Stellen im Gesundheitssystem nutzbar gemacht werden können. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Daten nicht in die falschen Hände fallen. „Zugleich müssen sie in die richtigen Hände gelangen können“, so SVR-Vorsitzender Gerlach. „Kluges Misstrauen sollte zu geeigneten Schutzmaßnahmen führen – nicht Hilfe verhindern. Denn Daten teilen heißt besser heilen.“
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