So will Niedersachsen gegen den Hausarztmangel vorgehen

Hannover – Mit weiteren Studienplätzen, einem leichteren Quereinstieg in die Allgemeinmedizin, mehr Delegation und neuen Arbeitsmodellen soll es künftig wieder mehr Hausärzte in Niedersachsen geben.
Diese und weitere Maßnahmen sieht ein Zehn-Punkte-Aktionsplan vor, den die Niedersächsische Landesregierung heute zusammen mit Vertretern der Universitätsmedizin, der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) und dem Verband der Ersatzkassen (vdek) vorgelegt hat.
Angesichts des demografischen Wandels, wachsender medizinischer Anforderungen und eines zunehmend angespannten Fachkräftemarkts stehe die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung in Niedersachsen vor enormen Herausforderungen, heißt es in dem Plan. Besonders für ländliche Regionen müssten Maßnahmen ergriffen werden, um Versorgungsengpässe zu vermeiden.
Stand jetzt arbeiten in Niedersachsen rund 5.200 Hausärztinnen und Hausärzte. Für eine hundertprozentige Versorgung fehlen damit 250 Ärzte, wie die KVN mitteilte. Eine Zulassung könnten laut Bedarfsplanung sogar noch 577 Hausärzte erhalten. Zum Vergleich: Im Juli 2023 waren 523 Arztsitze unbesetzt.
Besonders viele Hausärzte fehlen demnach im Bereich Delmenhorst (24), in Salzgitter und Papenburg (jeweils 20), Cloppenburg, in Wolfsburg und im Bereich Stade (jeweils 17). Auch Fachärzte fehlten, doch die Versorgung mit Allgemeinmedizinern sei am schlechtesten, heißt es von der KVN.
Bei den Fachärzten liege der Bedarf insbesondere bei ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten (in Summe 82), Neurologen und Nervenärzten (30), Kinder- und Jugendärzten (18) sowie Hautärzten (16).
Die Akteure aus Niedersachsen stellen in dem vorgelegten Aktionsplan fest, dass trotz vieler Maßnahmen von Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, wie etwa Stipendienprogramme, Landarztquote oder die nun beschlossene Entbudgetierung in der hausärztlichen Versorgung der Ärztemangel eine drängende Problematik bleibe.
„Hausärztinnen und Hausärzte sind das Rückgrat der Versorgung in einem großen Flächenland“, sagte der niedersächsische Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD). „Wir brauchen vor allem mehr solcher Generalistinnen im System, die fachlich breit aufgestellt sind, um als ‚Gatekeeper‘ zu entscheiden, wie und wo die Behandlung der Patientinnen und Patienten am erfolgreichsten und effizientesten erfolgen kann“, erklärte der Minister weiter.
Diese Funktion werde immer wichtiger, je weniger Personal vorhanden sei. „Wir stellen in diesem Jahr vorerst eine Million Euro bereit, um den Aktionsplan mit einem breiten Portfolio an Maßnahmen zu unterstützen wie beispielsweise das Mentoringprogramm, ein Projekt zu Physician Assistants sowie neue Koordinierungsstellen zur Optimierung der Allgemeinmedizinischen Weiterbildung.“
Zusätzliche Studienplätze
Konkret sollen künftig mehr Ärztinnen und Ärzte in Niedersachsen ausgebildet werden. Dafür ist vorgesehen und per Haushaltsmittel bereits bewilligt worden, dass 80 zusätzliche Studienplätze an der Universität Oldenburg (EMS) zum Wintersemester 2026/2027 eingerichtet werden sollen.
Weiter sind an den drei medizinischen Hochschulen (Unimedizin Göttingen, Medizinische Hochschule Hannover und EMS) jeweils zusätzliche 50 Studienplätze vorgesehen. Diese Erhöhung konnte aber bisher noch nicht im Landeshaushalt berücksichtigt werden. Zur Erklärung: Die Finanzierung und Organisation von Medizinstudienplätzen ist Ländersache. In Summe gibt es in Niedersachsen derzeit jährlich 791 Studienanfängerplätze, erklärte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums auf Nachfrage. In Göttingen sind es 351, in Hannover 320 und in Oldenburg 120.
Die Landarztquote, die seit Herbst 2023 gilt, soll zudem optimiert werden. Dabei ist keine Erhöhung der Quote möglich, sondern der Aktionsplan setzt vor allem auf ein verbessertes Auswahlverfahren, so dass alle Studienplätze der Quote vergeben werden können. Zudem ist ein Mentoringprogramm für Landarztquotenstudierende vorgesehen.
Die Fachrichtung Allgemeinmedizin soll im Studium darüber hinaus durch die Einführung von entsprechenden Vertiefungstracks und eine Einrichtung einer Koordinierungsstelle für die Vernetzung der Studierenden und der akademischen Lehrpraxen an allen Hochschulstandorten gestärkt werden. Diese Stelle soll auch den Übergang in die allgemeinmedizinische Weiterbildung optimieren.
Wichtig sei in Zukunft mehr Studierende für eine hochwertige hausärztliche Versorgung von Menschen auch in ländlichen Regionen zu begeistern, betonte Wolfgang Brück, Sprecher des Vorstandes und Vorstand Forschung und Lehre der Universitätsmedizin Göttingen. Das solle funktionieren, in dem man die Studierenden frühzeitig an das Berufsbild des Hausarztes heranführe.
„Das gilt nicht nur für die Studierenden der Landarztquote, sondern auch die Studierenden, die über das normale Verfahren zum Medizinstudium zugelassen werden.“ Auch der Wissenschaftsminister aus Niedersachsen Falko Mohrs (SPD) ist überzeugt, dass durch die geplante Erhöhung der Studienplätze die hausärztliche Ausbildung medizinische Versorgung gestärkt werde.
Weitere Förderprogramme geplant
Zudem will die niedersächsische Landesregierung alte Förderprogramme reaktivieren. Dazu gehören Stipendien für angehende Hausärzte sowie Förderungen für Medizinstudierenden im Praktischen Jahr (PJ), die sich für die hausärztliche Versorgung entscheiden.
Um die Forschung und hausärztliche Versorgung enger zu verknüpfen, setzen sich die drei Hochschulmedizinstandorte weiter für den Aufbau eines Wissenschaftszentrums Allgemeinmedizin ein. Hier sollen Versorgungsmodelle entwickelt und die wissenschaftsbasierte Lehre ausgebaut werden.
Neben diesen Maßnahmen für die Ausbildung und Forschung sieht der Zehn-Punkte-Plan auch eine Vereinfachung des Quereinstiegs von Ärzten anderer Fachrichtungen in die Allgemeinmedizin vor. Nach einer 24-monatigen allgemeinärztlichen Weiterbildung sollen entsprechende Ärzte den Facharzt für Allgemeinmedizin machen können.
Das Land will die Förderung von KVN und Krankenkassen aufstocken, orientiert am letzten Gehalt des Arztes. Allerdings besteht die Verpflichtung zur anschließenden Niederlassung in niedersächsischen Gemeinden mit weniger als 30.000 Einwohnern.
Um die Weiterbildung zudem zu unterstützen will das Sozialministerium eine Koordinierungsstelle aufbauen, die verschiedene Stationen innerhalb der Weiterbildung besser organisieren und koordinieren kann.
Um auch die Versorgung konkret zu entlasten, ist eine stärkere Delegation ärztlicher Leistungen an andere Fachkräfte wie etwa Sanitäter, Physician Assistants oder Primary Care Manager vorgesehen. Zudem sollen auf Landesebene Best-Practice-Ansätze ermittelt werden, um die Teamarbeit auszubauen.
Das begrüßte insbesondere Hanno Kummer, Leiter der Landesvertretung des vdek: „Ärzte sollten nur das machen, wofür ihre Qualifikation tatsächlich benötigt wird. Von anderen medizinischen und administrativen Aufgaben sollten sie entlastet werden.“ Deshalb solle der Einsatz von akademisch ausgebildetem nicht-ärztlichem Fachpersonal in den Arztpraxen gefördert werden.
Entbürokratisierung und Home Office wichtig
Da bundesweite Maßnahmen zur Entbürokratisierung im Gesundheitssystem noch ausstehen, sollen regionale Lösungen geprüft werden, heißt es weiter. Dazu könnte etwa die Übernahme von Praxismanagementaufgaben durch die KVN oder der Einsatz von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) zur Reduzierung administrativer Belastungen gehören.
Letzteres sollte zudem auch für den Ausbau von Telemedizin genutzt werden, schlagen die Akteure in ihrem Plan vor. Geplant sind etwa vonseiten der Krankenkassen in Niedersachsen digitale Module und KI zur Anamneseunterstützung sowie Videosprechstunden in hausärztlichen Versorgungsverträgen.
Um attraktive Arbeitsbedingungen für Hausärzte zu schaffen, sollen zudem innovative Arbeitsmodelle erprobt werden. Beispielsweise sollen Homeoffice-Optionen ermöglicht werden, um junge Ärzte zu gewinnen.
Damit künftig alle Versorgungsbereiche koordinierter arbeiten können, soll die Bedarfsplanung künftig außerdem sektorenübergreifend ablaufen. Dabei sollen ambulante und stationäre Bedarfe sowie neue Modelle wie etwa sektorenübergreifende Versorger gemeinsam, beispielsweise regionsweise, beplant werden.
Der stellvertretende Vorsitzende der KVN, Thomas Schmidt, forderte zudem eine verstärkte Patientensteuerung. „Angesichts des zunehmenden Drucks auf die ambulante Versorgung braucht man zwingend eine bessere Koordination der Behandlungsabläufe.“ Dass Patienten alles und das jederzeit an Versorgung in Anspruch nehmen könnten, werde perspektivisch nicht mehr leistbar sein.
Die CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag begrüßte die geplante Aufstockung der Medizinstudienplätze. Dies reiche aber nicht aus, sagte der sozialpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Eike Holsten. „Wir appellieren an die Landesregierung, ihren Fokus weiterhin auf den Abbau bürokratischer Hürden zu legen.“
Nur so könne der Beruf der Hausärzte attraktiver gestaltet und dem zunehmenden Mangel entgegengewirkt werden. „Jede spürbare Entlastung an Auflagen und Bürokratie hätte für die Versorgung einen schnelleren Effekt als Studienabgänger, die frühestens 2030 ihren Medizinabschluss erreichen“, sagte Holsten.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: