Politik

Sozialverband: Unterfinanzierung treibt Kassenbeiträge nach oben

  • Dienstag, 21. Januar 2025
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Berlin – Der Sozialverband VdK Deutschland setzt sich für eine grundlegende Reform der Finanzierung des Ge­sundheitswesens ein. Einer aktuellen Berechnung zufolge seien 2,21 Beitragssatzpunkte der aktuellen Kranken­kassenbeiträge auf nicht ausreichende Bundeszuschüsse zurückzuführen.

Kern des Problems sei, dass die Beitragszahlenden in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gesamtgesell­schaftliche Aufgaben in Höhe von 54,3 Milliarden Euro übernehmen würden, berechnete die Nichtregierungsorga­nisation Fiscal Future im Auftrag des VdK.

Dabei handele es sich vor allem um gesamtgesellschaftlich wünschenswerte familienpolitische Leistungen wie die Beitragsfreiheit von Angehörigen, Leistungen für Schwangerschaft und Mutterschaft oder Krankenhausinves­titionen, die eigentlich durch die Bundesländer finanziert werden sollten.

Das seien allesamt sinnvolle Aufwendungen. Allerdings stünden diesen nur 16,5 Milliarden Euro an Bundeszu­schüs­sen gegenüber, sodass die Unterfinanzierung bei 37,7 Milliarden Euro im Jahr liege. Diese Finanzierung aus Beitrags- statt Steuergeldern führe zu sozialer Ungerechtigkeit. Wer sich an den Töpfen der Sozialversicherung bediene, nehme das Geld von einer Gruppe mit tendenziell geringerem Einkommen, hieß es.

Denn die Sozialversicherungen würde vorrangig aus Beiträgen von gesetzlich versicherten Arbeitnehmern und deren Arbeitgebern finanziert werden, während sich der Bundeshaushalt auch aus den Steuern von Beamten, Politikern, Selbstständigen, Unternehmen und aller, die Umsatzsteuer zahlen, finanziere.

Insbesondere angesichts von Rufen nach Leistungskürzungen seien Beitragssteigerungen für gesetzlich Ver­sicherte immer weniger verständlich. „Der Alltag der Zweiklassenmedizin untergräbt das Vertrauen der Menschen in die Versorgung“, erklärte der Leiter der Abteilung Sozialpolitik beim vdk, Jonas Fischer, heute bei der Vorstellung der Zahlen.

Der Verband fordert deshalb kurzfristig, dass der Bund den vollen Beitragssatz für Menschen im Bürgergeld zahlt. Auch die Krankenhausreform müsse durch Steuermittel, zumindest aber unter der Beteiligung der privaten Kranken­versicherung (PKV) finanziert werden.

„Für uns ist klar, dass diese Praxis aufhören muss. Politische Vorhaben, die die gesamte Gesellschaft betreffen, müssen auch von der gesamten Gesellschaft finanziert werden – also aus den Steuereinnahmen“, betonte VdK-Präsidentin Verena Bentele.

Langfristig müsse das jetzige System durch eine einheitliche solidarische Krankenversicherung eingeführt wer­den. Das würde die Beitragssituation entspannen und das Solidarsystem stärken. Dabei müssten alle Einkunftsar­ten einbezogen werden, von Vermögenseinkommen über Gewinne bis zu Mieteinkünften.

Der Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel müsse von 19 auf sieben Prozent gesenkt werden, oder die Steuerein­nahmen aus dem Arzneimittelbereich müssen konsequent der GKV zugutekommen. Zudem würden in der Vergü­tung falsche Anreize gesetzt, betonte Bentele. Es müsse „auch geschaut werden, wer von den hohen Ausgaben im Gesundheitswesen profitiert“ und wer nicht.

Auch in anderen Sozialversicherungen gebe es solche Schieflagen. So würden in der Pflegeversicherung ebenfalls gesamtgesellschaftliche Leistungen wie die Rentenversicherungsbeiträge von Pflegepersonen aus Beitrags­gel­dern finanziert. Insgesamt betrage die Summe dieser Leitungen 9,2 Milliarden Euro, was eine kontinuierliche Belastung der Beitragszahlenden von 0,48 Prozent ausmache.

Die Rentenversicherung wiederum stemme gesamtgesellschaftliche Kosten von 108,2 Milliarden Euro, denen nur Bundeszuschüsse in Höhe von 84,3 Milliarden Euro gegenüberstünden – eine jährliche Unterfinanzierung von 23,9 Milliarden, die die Beiträge um 1,5 Prozent hochtreibe.

Dass der Bund jährlich mehrere Dutzend Milliarden Euro mehr zu den Sozialversicherungen zuschieße als bisher, sei auch angesichts der momentan klammen Kassen möglich, betonte der VdK. Dazu hat der Verband ein Konzept vorgelegt, das Reformen bei sechs Steuerarten vorsieht.

So könne eine sozial gerechte Erbschaftssteuer mit einem erhöhten Freibetrag von zwei Millionen Euro von fünf bis zehn Milliarden Euro generieren. Eine wiedereingeführte Vermögenssteuer von zwei Prozent auf Vermögen über fünf Millionen Euro und vier Prozent ab 100 Millionen Euro könnte demnach zu Einnahmen von etwa 40 Milliarden Euro führen. Sie würde den Berechnungen zufolge lediglich 300.000 Erwachsene betreffen.

Eine Digitalsteuer nach französischem Vorbild würde demnach je nach Ausgestaltung zwei bis acht Milliarden Euro einbringen. Eine reformierte Einkommenssteuer mit erhöhtem Grundfreibetrag bei stärkerer Besteuerung höherer Einkommen würde laut Verband gleichzeitig fünf Milliarden Euro Mehreinnahmen bringen sowie untere und mittlere Einkommen um 25 Milliarden Euro entlasten.

Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer von 0,1 Prozent auf alle Transaktionen und 0,01 Prozent auf Deri­vate würde demnach bis zu 25 Milliarden Euro in die Kassen spülen, während eine Reform der Umsatzsteuer un­tere und mittlere Einkommen bis zu 15 Milliarden Euro entlasten könne.

„Während die Steuerpläne fast aller Parteien noch größere Löcher reißen, legen wir belastbare Konzepte vor“, unterstrich Bentele. Hinzu müsse aber noch eine konsequentere Bekämpfung von Steuerflucht und -hinterziehung kommen. Diese könnte weitere 25 Milliarden Euro in die Kassen spülen.

lau

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