Politik

Streit über Habeck-Plan zu Sozialabgaben auf Kapitalerträge

  • Dienstag, 14. Januar 2025
/picture alliance, Daniel Karmann
/picture alliance, Daniel Karmann

Berlin – Aktienanleger sollen nach einem Vorstoß von Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck für die Sozial­versi­che­rung herangezogen werden. Ihre Einkünfte aus Kapitalerträgen sollen somit künftig auch der Finanzierung beispielsweise der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dienen.

„Warum soll eigentlich Arbeit höher belastet sein als Einkommen durch Kapitalerträge?“, hatte Habeck in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin gesagt. Knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl kamen prompte Reaktionen – nicht nur positive.

So warfen die Parteispitzen von CSU und FDP Habeck den Griff in die Taschen der Menschen vor. Auch der Koali­tionspartner SPD lehnte den Vorstoß des Grünen-Wirtschaftsministers ab. Die Schutzgemeinschaft der Kapital­an­leger (SdK) warnte vor negativen Auswirkungen für die Mittelschicht. Als Idee für mehr Gerechtig­keit begrüßte hingegen der Sozialverband Deutschland (SoVD) Habecks Äußerung.

Habeck kündigte an, die Grünen „würden gern die Beitragsgrundlage erhöhen“. Er kritisierte, dass Kapital­gewinne bislang von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt seien. Habeck war auf Warnungen von TK-Chef Jens Baas an­gesprochen worden. Der Chef der Techniker Krankenkasse hatte in der Süddeutschen Zeitung prophezeit, ohne politisches Eingreifen drohe in diesem Jahrzehnt bei den Kassen ein Beitragsanstieg auf 20 Prozent.

Der Bund der Steuerzahler hat ausgerechnet, dass im Jahr 2024 ein durchschnittlicher Arbeitnehmerhaushalt in Deutschland 52,6 Prozent seines Einkommens an den Staat gezahlt hat. Von einem Euro an Arbeits­einkommen bleiben demnach 47,4 Cent übrig. 31,7 Cent entfallen auf Sozialabgaben, der Rest auf Steuern und Umlagen.

SPD, CSU und FDP: Kein Griff in die Altersvorsorge der Bürger

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lehnt den Vorstoß ab. „Wir haben eines der teuersten Gesund­heitssysteme der Welt. Jetzt noch Beiträge auf Erspartes in schlechte Strukturen zu pumpen, verärgert die Ver­sicherten“, sagte Lauterbach. Das Ersparte der gesetzlich Versicherten anzugreifen, treibe die gesetzlich Ver­sicherten in die private Krankenversicherung.

Aus der CSU kam deutliche Kritik: „Die Grünen wollen nicht nur höhere Steuern. Jetzt wollen sie auch noch ans Sparguthaben der Menschen und ihre Erträge ran“, sagte Parteichef Markus Söder. „Das lehnen wir grund­legend ab.“ Auf schon einmal versteuertes Geld dürfe nichts mehr erhoben werden.

FDP-Chef Christian Lindner warnte vor einem „Abkassieren der Mittelschicht in Deutschland“. Habeck nehme damit auch eine weitere Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland in Kauf, sagte Lindner den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.

Der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann rechnete vor, dieser „große Habeck-Klau“ könne sogar für kleine Sparraten sechsstellige Minderungen ihrer Erträge bedeuten. „Das halte ich für verantwortungslos.“ SdK-Vorstandschef Daniel Bauer sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Millionäre und Milliardäre würde dies nicht treffen, da die Krankenversicherungsbeiträge eben durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt sind.“

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte: „Entweder ist Robert Habecks Vorschlag ein weiterer ahnungsloser Ein­wurf (...), oder er bestätigt den Kurs der Grünen, die den Menschen immer tiefer in die Tasche greifen wollen.“ Lauterbach sagte: „Wir müssen weiter das System effizienter machen und die Kosten senken.“ Das Gesundheits­wesen sei schon jetzt viel zu teuer bei mäßiger Qualität.

Grünen-Wahlkampfleiter Andreas Audretsch sagte: „Es ist ungerecht, wenn eine Alleinerziehende in Teilzeit oder ein Polizist mehr zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung beiträgt als jemand, der sehr viel Geld im Aktienhandel verdient.“ Auch für Unternehmen sei es gut, wenn wir die Beitragssätze so gering wie möglich halten, sagte er.

Grünen-Chef Felix Banaszak betonte, es gehe um mehr Gerechtigkeit. „Es geht hier nicht um den Kleinsparer. Für Kleinsparer ändert sich nichts.“ Dafür sollten „sehr großzügige Freibeträge“ sorgen. Zahlen nannte Banaszak nicht.

Es gehe dabei nicht um „Menschen, die ein bisschen Geld auf dem Konto liegen haben“, sagte die Grünen-Frak­tionschefin Katharina Dröge. „Dass die nicht gemeint sind, ist sonnenklar in der Debatte.“ Sie kritisierte den Tenor der Diskussion. „Immer wenn jemand einen Vorschlag macht, der die Reichsten belastet, wird eine Debatte fälschlicherweise inszeniert, die denjenigen, die nicht gemeint sind, das Gefühl gibt, dass sie gemeint sein könnten.“

Habecks Vorschlag würde Millionäre belasten. „Gerade diejenigen, die Millionen auf dem Konto liegen haben und selber nicht mehr arbeiten gehen müssen, weil das Geld für sie arbeitet.“ Es gehe um ein durchdachtes Konzept mit hohen Freibeträgen. Sie verwies auch auf das Ziel einer Bürgerversicherung, also der Aufhebung der Trennung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung.

Auch Habeck betonte, es gehe um die „Einbeziehung der Kapitaleinkünfte von Leuten, die große Kapital­einkünfte haben“. Es gehe um Gerechtigkeit. Derzeit würden steigende Kosten des Gesundheitssystems über die Löhne finan­ziert. „Der Druck auf die Löhne wird also immer höher, und zwar auf die Löhne der arbeitenden Bevölkerung. Die­jenigen, die morgens aufstehen und abends erschöpft und müde nach Hause kommen.“

Habeck warf CDU/CSU und FDP vor, keine eigenen Vorschläge zu machen, warnte davor, den Kopf in den Sand zu stecken und beschrieb die Debatte als verzerrt. „Wollen wir mit einer Haltung da rein gehen, wieder nicht das Sichtbare, Relevante zu diskutieren, weil es irgendjemanden verunsichern könnte?“

Zur Höhe eventueller Frei­beträge äußerte er sich nicht, solche Details müssten später geklärt werden. Anders als bei den Sozialbeiträgen werden in Deutschland Kapitalerträge bei der Festsetzung der Einkommens­steuer bereits berücksichtigt. Sie werden gemäß Kapitalertragsteuer mit 25 Prozent plus Solidaritätszuschlag versteuert – über einem Freibetrag von 1.000 Euro.

Hohe Sozialabgaben, weniger Ungleichheit

Im Fokus des Bundestagswahlkampfs steht bisher vor allem, wie die Wirtschaftsflaute und diverse Belastun­gen in Deutschland eingedämmt werden könnten. So hatte AfD-Chefin Alice Weidel kürzlich gesagt, der „normale deutsche Arbeitnehmer“ arbeite mindestens zur Hälfte für den Staat. Tatsächlich wird seit Jahren kontrovers debattiert, wie die Milliardenkosten, die für die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland anfallen, auf Beschäftigte und Arbeitgeber verteilt werden sollen.

Forscher haben festgestellt, dass in Staaten mit höheren Sozialausgaben eine geringe Kluft zwischen dem reichen Bevölkerungsanteil und Menschen mit durchschnittlichem Vermögen besteht. Der aktuelle Ver­tei­lungsreport 2024 des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt den Zusammenhang: Der Vermögensanteil der in Bezug auf das Einkommen unteren Hälfte der Bevölkerung ist demnach in den Staaten deutlich höher, in denen auch die „Sozialschutzausgaben pro Einwohner“ höher liegen.

Sozialverband: Kleine Sparguthaben sollen frei bleiben

In Deutschland hatten die meisten der 94 Krankenkassen zu Jahresbeginn ihren Zusatzbeitrag kräftig auf im Schnitt 2,91 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens angehoben. Dieser kommt auf den allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns obendrauf.

Vor diesem Hintergrund gab die SoVD-Vorsitzende Michaela Engelmeier Habeck Rückendeckung. Für die Finanzie­rung der Krankenkassen müssten auch andere Einkünfte als heute einbezogen werden, sagte Engelmeier der Funke Mediengruppe.

„Aber: Dabei muss darauf geachtet werden, dass etwa Einkünfte aus kleinen Sparguthaben beitragsfrei bleiben.“ Insbesondere die zuletzt immer stärker gestiegenen Zusatzbeiträge belasteten niedrige und mittlere Einkommen stark, sagte Engelmeier. Kassenbeiträge auf Kapitalgewinne wären dagegen solidarisch.

Verhalten zeigten sich die Krankenkassen. „Die Frage, welche Einkunftsarten für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, die immerhin 90 Prozent der Bevölkerung versichert und versorgt, herangezogen werden, erfordert eine gesellschaftspolitische Antwort“, sagte Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes.

dpa

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung