Substitution von Biosimilars: G-BA sucht nach einem Kompromiss

Berlin – Nur noch rund ein Monat bleibt, bis die gesetzlich vorgeschriebene Regelung des automatischen Austauschs von Biosimilars in Apotheken in Kraft treten muss. Doch bisher konnte zu ihrer Umsetzung noch keine Einigung erzielt werden. Die Anhörung vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vom vergangenen Dienstag ließ viele Teilnehmer ratlos zurück. Auch der Bundesgesundheitsminister zeigte sich zuletzt indifferent.
Fast drei Jahre ist kaum etwas passiert – und am Ende ist der Druck dann groß. Am 16. August 2019 trat das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) in Kraft. Eines seiner Ziele war es, Biosimilars schneller in die Versorgung zu bringen, was durch den automatischen Austausch in der Apotheke erfolgen soll, parallel zur Bedienung von Rabattverträgen bei Generika.
Dem G-BA wurde aufgetragen, bis spätestens drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes Richtlinien für diesen Austausch zu erarbeiten. Am vergangenen Dienstag, genau fünf Wochen vor dem Stichtag, führte der G-BA nun seine Anhörung dazu durch. Und in der ging es nach Aussage mehrerer Teilnehmer hoch her.
Der G-BA selbst verweist auf Anfrage darauf, dass die Anhörung nicht öffentlich war und er sich deshalb nicht zu ihren Inhalten äußern könne. Er rechne jedoch mit einem Beschluss des Plenums im August, erklärt eine Sprecherin.
Wie dieser Beschluss aussehen wird, scheint aber noch völlig offen: Zwar findet die Substitution Fürsprecher in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Demgegenüber steht allerdings eine breite Phalanx aus Ärzteschaft, Apothekerschaft und Pharmaindustrie, die geschlossen gegen die Regelung sind.
Der G-BA selbst hat sich nach Aussage von Teilnehmern bisher und auch in der Anhörung in dieser Woche unentschlossen gezeigt. „Der G-BA sieht den gesetzlichen Auftrag, stößt aber zunehmend auf die Probleme, die er bereitet. Diese Kritik findet komischerweise seit zwei, drei Monaten Gehör, vorher nicht“, berichtet ein Teilnehmer aus dem Umkreis der Arzneimittelhersteller.
Zu den Problemen gehöre eine möglicherweise sinkende Therapiesicherheit und Nocebo-Effekte: Erstens sind Biosimilars nicht generisch, sondern eben nur den Originalpräparaten höchst ähnlich, genauer gesagt in den klinisch relevanten Parametern wie der Wirksamkeit vergleichbar.
Bei einer automatischen Substitution in der Apotheke könnten demnach eventuelle Effekte nach einer Umstellung gar nicht ärztlich begleitet werden. „Der Arzt weiß im Endeffekt gar nicht, was der Patient kriegt.“ Es gebe keine Infrastruktur – erst recht keine digitale – um nachzuverfolgen, welches Präparat schließlich an wen abgegeben wurde.
Hinzu kämen dann möglicherweise Nocebo-Effekte: Studien würden nahelegen, dass Patienten die Wirkung von Arzneimittel subjektiv anders empfinden oder Nebenwirkungen anders wahrnehmen, wenn ihnen eröffnet wird, dass sie aus reinen Kostengründen umgestellt werden.
Diese Risiken einzugehen, sei unnötig, da Marktzahlen belegen würden, dass Biosimilars ohnehin durchweg stark Marktanteile gewinnen, sobald sie verfügbar sind. Sie bräuchten also keine politische Schützenhilfe mehr. Da sind sich Ärzte, Apotheker und Arzneimittelhersteller bisher größtenteils einig.
Doch der gesetzliche Auftrag steht. „Der Ton war sehr scharf und mein Eindruck war, dass es kaum Kompromissbereitschaft gab“, erklärte ein anderer Teilnehmer, der ebenfalls anonym bleiben möchte. Das Interesse sei außergewöhnlich groß gewesen, 80 bis 100 Vertreter aller Sektoren des Gesundheitswesens seien anwesend gewesen, darunter „alles, was Biosimilars herstellt“.
„Da wurden zweieinhalb Stunden lang nur Partikularinteressen ausgetauscht, aber nicht nach einer ernsthaften Lösung gesucht“, berichtet er. Der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Josef Hecken, habe sich ebenfalls ratlos gezeigt, wie mit der Situation umzugehen ist. „Ich denke, die werden jetzt einen Entwurf mit ganz heißer Nadel stricken und den ans Bundesgesundheitsministerium schicken. Es kann aber auch passieren, dass sie melden, dass das nicht geht.“
Wie so ein Entwurf aussehen könnte, der einen Kompromissvorschlag beinhaltet, sei in der Anhörung nur angerissen worden. Der G-BA habe mehrmals betont, dass er für Fragen der Wirtschaftlichkeit nicht zuständig ist, sondern nur einen gesetzlichen Auftrag zur Regelung erfüllt, betont auch der Pharmavertreter.
Als Kompromissvorschlag sei angesprochen worden, die Substitution auf Laborzubereitungen zu beschränken, also vor allem Onkologika und Parenteralia. Das hätte den Vorteil, dass es sich um Arzneimittel handelt, die unter enger ärztlicher Überwachung angewendet werden. Die Ärzte wären dann informiert, sogar bis auf die Ebene der Chargennummer des abgegebenen Präparats.
Außerdem seien dann nur zwei Biopharmazeutika ausgeschlossen, die Patienten allein applizieren, nämlich Adalimumab und Etanercept – die dafür aber zu den umsatzstärksten und am häufigsten verordneten gehören. „Das könnte die Richtung sein, in die der G-BA geht, um eine Lösung zu finden“, sagte der Pharmavertreter. Allerdings habe der Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) dem massiv widersprochen.
Ein weiterer möglicher Kompromiss, der nicht explizit besprochen worden sei, könne in einer gestuften Umsetzung liegen: Dann würden ab August beispielsweise nur zwei bis drei Wirkstoffe, deren Originator schon länger patentfrei ist – und bei denen schon eine bessere Studienlage zur Austauschbarkeit herrscht – in die automatische Substitution einbezogen.
Ob und falls ja, was für ein Kompromiss gefunden wird, ist bisher nicht abzusehen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich zum Thema bisher größtenteils bedeckt gehalten. Äußerungen aus der vorvergangenen Woche könnten Ärzte- und Apothekerschaft sowie Arzneimittelherstellern jedoch Grund zur Hoffnung geben.
Es gäbe gute Argumente für und gegen den vorgesehenen Austausch, erklärte Lauterbach bei dem von der Industrie unterstützten Format Biotech-Talks: „Das muss aber entschieden werden auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Studienlage in die eine Richtung wie in die andere Richtung ist derzeit dünn, sodass es aus meiner Sicht noch nicht endgültig möglich ist, zu sagen, ob das nicht auch durch Apotheker ermöglicht werden kann.“
Derzeit werde das wissenschaftlich evaluiert und Literatur gesichtet, aber: „Mein Gefühl ist, dass ein größeres Vertrauen hergestellt werden kann, wenn diese Entscheidung zum Schluss bei Ärzten getroffen wird und nicht in der Apotheke“, sagte Lauterbach. Mehr könne er erst sagen, wenn die wissenschaftliche Prüfung abgeschlossen ist und die Reform umgesetzt wird. „Das ist derzeit in der Vorbereitung, aber noch nicht abgeschlossen.“
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