Suizidpräventionsgesetz soll nächstes Jahr kommen

Berlin – Die Suizidprävention soll in Deutschland im kommenden Jahr gesetzlich verankert werden. Das erfuhr das Deutsche Ärzteblatt aus Koalitionskreisen.
„Wir werden – darauf haben wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt – ein Suizidpräventionsgesetz auf den Weg bringen“, bestätigte die CSU-Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner auf Nachfrage für die Union anlässlich des morgigen Welttags der Suizidprävention.
Im kommenden Jahr werde das Bundesgesundheitsministerium (BMG) einen Entwurf vorlegen, eine genaue Terminierung erfolge in Kürze, sagte Svenja Stadler (SPD) dem Deutschen Ärzteblatt. „Dass sich so viele Menschen in Deutschland das Leben nehmen, ist ein unhaltbarer Zustand, dem wir alles in unserer Macht Stehende entgegensetzen müssen.“
Bei der Arbeit an einem Entwurf für ein Suizidpräventionsgesetz muss das CDU-geführte Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nicht bei null anfangen. Mit der Vorstellung der „Nationalen Suizidpräventionsstrategie“ im vergangenen Jahr hatte der ehemalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereits Eckpunkte gesetzt.
Der Ende 2024 vorgelegte Referentenentwurf eines Suizidpräventionsgesetzes durch das damals SPD-geführte Bundesgesundheitsministerium war ein erster Schritt zu mehr Verbindlichkeit. Er wurde vom Bundeskabinett beschlossen. In Fachkreisen wurde der Gesetzentwurf jedoch als lückenhaft angesehen und schaffte es aufgrund des vorzeitigen Endes der vergangenen Legislaturperiode auch nicht mehr in die parlamentarische Abstimmung.
Zeulner zufolge hat es im Entwurf der vergangenen Legislaturperiode „gute Punkte, aber auch viel Kritik aus den Fachverbänden und -gesellschaften“ gegeben. Diese Diskussion sei auch im interfraktionellen Gesprächskreis Hospiz, dem sie angehört, geführt worden, so die examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin.
Für die aktuelle, in Arbeit befindliche, Gesetzesinitiative sieht die Unionspolitikerin die Chance, eine von Forschung sowie Expertinnen und Experten breit getragene Regelungen zu schaffen – insbesondere mit Bezug zu psychischer Gesundheit und einer stärkeren Verzahnung mit der Hospiz- und Palliativversorgung.
„Gerade nach den erlebten Krisen und angesichts der steigenden Einsamkeit ist es unsere Pflicht als Gesellschaft für niedrigschwellige und flächendeckende Angebote und Strukturen zu sorgen und mehr über Suizidalität aufzuklären und zu informieren“, sagte Zeulner.
„Für Aufklärung und Forschungsförderung sind für 2026 ausgehend von der nationalen Suizidpräventionsstrategie im Einzelplan des Gesundheitsministeriums entsprechende Mittel eingestellt“, erklärte Stadler. Insgesamt beliefen sich die Gelder aus dem BMG-Haushalt (für Aufklärung, Forschung, Mittel für Selbsthilfeverbände) auf ungefähr 2,3 Millionen Euro. Zudem würden auch in anderen Einzelplänen Mittel dafür zu finden sein.
„Denn eins ist klar: Suizidprävention darf nicht allein in einem Ressort angesiedelt sein“, so die SPD-Politikerin. Verschiedene Maßnahmen trügen dazu bei, die Eskalation akuter seelischer Krisensituationen zu vermeiden und damit suizidpräventiv zu wirken. Dies reiche vom Psychosozialen Netzwerk der Bundeswehr bis hin zu Angeboten, die vom Familien- oder Landwirtschaftsministerium unterstützt würden.
Als eine Aufgabe wird Zeulner zufolge innerhalb der Regierungskoalition auch gesehen, weiterhin die Arbeit des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland (NaSPro), ein bundesweites Netzwerk von Expertinnen und Experten der Suizidprävention mit Institutionen, die Suizidprävention betreiben, sowie seine Projekte finanziell zu unterstützen.
Beispielsweise solle das Verbundprojekt „SuiLearning“, das sich mit der Entwicklung eines E-Learning-Programms zur Suizidprävention im Gesundheitswesen befasst, gefördert werden. Zudem solle der Aufbau eines Registers zur Erfassung assistierter Suizide („RegAS“) finanziell unterstützt werden.
Reinhard Lindner, Vorstand des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland, begrüßt das. Doch die Projektförderungen allein deckten nicht den Aufwand für den eigentlichen Auftrag, sagte er dem Deutschen Ärzteblatt.
„Die zentrale Aufgabe des NaSPro ist es, mit einer Vielzahl von Initiativen und Projekten die Suizidprävention insgesamt in Deutschland zu befördern, indem Fachleute und gesellschaftliche Bereiche – zum Beispiel Schulen, Gefängnisse, Altenhilfe oder Medien – zusammenarbeiten und die Arbeit der Bundes- und Landesregierungen konstruktiv begleiten.“ Aus Lindners Sicht ist deshalb eine unabhängige, dauerhafte Förderung notwendig. Nur so könne das Netzwerk seiner Rolle gerecht werden.
Mehr Prävention gefragt
Auch Ute Lewitzka, Psychiaterin an der Frankfurter Goethe-Universität und Deutschlands erste und einzige Professorin für Suizidforschung, hält die bisherigen politischen Anstrengungen für unzureichend, zumindest verglichen mit der Stellung, die beispielsweise die Prävention von Verkehrstoten, der HIV- oder der Drogenprävention einnehmen würde.
„Ich möchte hier nicht missverstanden werden – diese Präventionsmaßnahmen für die anderen Themen sind sehr wichtig und die möchte ich nicht missen. Aber ich wünschte, dass wir mindestens genauso viel für die Suizidprävention tun“, sagte sie dem Deutschen Ärzteblatt.
Subjektiv sei fast das gesamte Autobahnnetz mit Wildtierzäunen umgeben, veranschaulicht sie. „Aber wir schaffen es nicht, die Hoch-Risiko-Orte der Deutschen Bahn, an denen es zu einer Häufung von Suiziden kommt, zu sichern.“
Vehement setzt sich Lewitzka seit Jahren für ein Suizidpräventionsgesetz ein. Sie hob insbesondere die Arbeit psychosozialer Krisendienste und vieler Ehrenamtlicher hervor, die täglich Menschen in suizidalen Krisen helfen.
„Ohne die vielen ehrenamtlich Tätigen wären große Teile der niedrigschwelligen Versorgung nicht möglich, betonte sie. Es brauche noch deutlich mehr Bewusstsein, Verankerung in verschiedenen Ebenen des Bundes, der Länder und der Kommunen – und vor allem eine auskömmliche Finanzierung.
„Wir brauchen in Deutschland endlich ein Suizidpräventionsgesetz, wie es der Deutsche Bundestag schon im Jahr 2023 mit großer Mehrheit gefordert hat“, betonte auch Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, anlässlich des morgigen Welttags der Suizidprävention. Um nicht noch mehr Zeit verstreichen zu lassen, müsse die Suizidprävention bei den Haushaltsberatungen für das Jahr 2026 ausreichend berücksichtigt werden.
Besonders eklatant sei der Mangel an niedrigschwelligen, also leicht zugänglichen Hilfen für suizidgefährdete Menschen, erläuterte Reinhardt näher. „Menschen, die sich mit Suizidgedanken tragen, brauchen jemanden, mit dem sie darüber offen sprechen können“, sagte der Hausarzt. „Aus der ärztlichen Praxis wissen wir, wie wichtig menschliche Zuwendung in diesen Fällen ist: Das Wissen, ernst genommen zu werden, kann dazu beitragen, von Suizidplänen abzulassen.“
Dem Statistischen Bundesamt zufolge beendeten etwa 10.300 Menschen im Jahr 2023 ihr Leben durch einen Suizid. Es gab zudem mehr als 100.000 Suizidversuche. In den vergangenen zehn Jahren starben 96.600 Menschen durch Suizid.
Diese Größenordnungen verdeutlichen die Bedeutung der Prävention: Die Ärzteschaft sowie Organisationen und Fachgesellschaften im Themenfeld Suizid fordern deshalb seit langem eine umfassende Verankerung der Suizidprävention im Rahmen eines Suizidpräventionsgesetzes.
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 ist es Aufgabe des Gesetzgebers, ein Schutzkonzept für Menschen mit Suizidgedanken zu entwickeln und für die Umsetzung des Konzepts zu sorgen.
Im Juli 2023 hatte der Bundestag fraktionsübergreifend und nahezu einstimmig einem Entschließungsantrag zur Förderung der Suizidprävention mit deutlicher Mehrheit zugestimmt und sich für ein Suizidpräventionsgesetz ausgesprochen.
Auf dieses drängte mit überwältigender Mehrheit sowohl der 128. als auch der 129. Deutsche Ärztetag. Beratung, Aufklärung, niedrigschwellige Hilfsangebote und die Förderung psychosozialer Unterstützungsstrukturen müssten bundesweit gewährleistet und finanziell abgesichert werden, erklärten die Delegierten.
Wenn Sie Suizidgedanken haben oder bei einer anderen Person wahrnehmen: Kostenfreie Hilfe bieten in Deutschland der Notruf 112, die Telefonseelsorge 0800/1110111 und das Info-Telefon Depression 0800/3344 533. Weitere Infos und Adressen unter www.deutsche-depressionshilfe.de.
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