Politik

Tropenmedizin: Sorge um Budgets, Werte und globale Gesundheit

  • Montag, 3. Februar 2025
/picture alliance, Bodo Marks
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Berlin – Angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen in den USA, aber auch in Deutschland, haben Fachleute vor drohenden Rückschlägen im Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten und vor schwin­denden Mitteln gewarnt. „Wir müssen aufwachen“, sagte der Vorstandschef des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM), Jürgen May, kürzlich in Berlin.

„Wir müssen auch aufwachen in Europa, dass wir unseren Weg gemeinsam gehen und auch genug Geld für die Forschung in diesem Bereich haben.“ Er habe große Befürchtungen, „dass das, was wir gerade sehen in den USA, auch uns mal betreffen könnte, oder andere Länder“, sagte May. „Wir sehen ja diesen Ruck in die falsche Richtung.“

Das könne in der Zukunft die Budgets für die eigenen Themen deutlich verringern. „Wir müssen mehr Resili­enz bekommen, dass nicht solche Entscheidungen für bestimmte Forschungsrichtungen, aber auch für unsere Werte, unser Menschenbild und die globale Gesundheit, einfach so über den Haufen geworfen werden können, wenn neue Parteien an die Macht kommen“, appellierte May.

Angesichts des von Donald Trump angekündigten Austritts der Vereinigten Staaten aus der Weltgesundheits­organisation (WHO) seien „ganz dunkle Zeiten“ zu befürchten, sagte auch August Stich, Schwerpunktleiter Infektiologie/Tropenmedizin am Uniklinikum Würzburg.

Stich referierte bei der Veranstaltung des Deutschen Netzwerks gegen Vernachlässigte Tropenkrankheiten im Bundestag über die Geschichte der Tropenmedizin, stellte aber immer wieder Bezüge zur heutigen Zeit her, beispielsweise zur deutschen Migrationspolitik.

Die schlimmen Ereignisse „sozusagen zur Stunde und überall auf der Welt“ trieben ihn sehr um, sagte Stich. Kurz vor der Veranstaltung anlässlich des Welt-NTD-Tages sowie des 200. Geburtstags von Theodor Bilharz und des 125-jährigen Bestehens des Bernhard-Nocht-Instituts hatte im Bundestag erstmals ein Antrag mithilfe der AfD eine Mehrheit erhalten.

Durch den menschengemachten Klimawandel, massive Verschmutzung, auch der Weltmeere, und Verlust der Biodiversität würden viele Regionen der Welt unbewohnbar, was Migrationsdruck erzeuge, sagte Stich. Damit müsse man umgehen: „Nicht in der Art, dass wir uns überlegen, wie halten wir die Menschen von uns fern. Sondern es sind Menschen mit dem Menschenrecht auf Gesundheit.“

Auch die Art, wie man mit Migranten im eigenen Land umgehe, spiele dabei eine große Rolle. „Als Ärztinnen und Ärzte können wir es nicht ertragen, wie teilweise hier die öffentliche Diskussion stattfindet. Es sind Menschen, die hier sind, die ein Recht auf Leben und auf Zugang zu Gesundheit haben“, betonte Stich.

In einer anschließenden Podiumsdiskussion beschrieb Sophie Schneitler, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit (DTG), Schwachpunkte in der Ausbil­dung von Medizinstudierenden: So kämen Themen der Tropenmedizin und der globalen Gesundheit bisher vielerorts zu kurz. Auch werde der Tatsache zu wenig Rechnung getragen, dass in Deutschland rund jeder Vierte einen Migrationshintergrund habe.

„Vielen ist zum Beispiel gar nicht klar, dass die Pulsoximetrie bei jemandem mit dunkler Haut gar nicht so gut funktioniert wie bei jemandem mit weißer Haut.“ Auch mangele es in Bildatlanten für Dermatologie an Erschei­nungen von Hauterkrankungen: „Nichtsdesto­trotz muss ich doch in der Lage sein, Entzündungen auf der dunklen Haut zu erkennen“, sagte Schneitler. „Wie soll ich später ein guter Arzt werden, wenn ich de facto vielleicht bei 25 Prozent meiner Patienten gar nicht richtig entscheiden kann und erkenne, was ihr Problem ist?“

„Wenn ich mir Neglected Tropical Diseases anschaue, dann haben wir eigentlich keine vernachlässigten Krank­heiten, sondern vernachlässigte Menschen, mit denen wir es zu tun haben“, sagte die Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission (Difäm) in Tübingen, Gisela Schneider. Viele Menschen lebten weiter in bitterer Armut. Den Kreislauf aus Armut und Krankheit gelte es zu durchbrechen.

Stich betonte in seinem Vortrag, die große Frage sei, wie die großen Herausforderungen der Zukunft als Welt­gemeinschaft gelöst werden können. „Nicht ‚America first’ und es geht nur um uns, abschotten. Sondern wir können nicht ignorieren, was in anderen Teilen der Welt vor sich geht.“

Die Tropenmedizin sei zwar belastet durch die Vergangenheit des Kolonialismus und teils bis heute durch­klingende rassistische Elemente. Diese könne es zum Beispiel in der Wortwahl oder Art der Darstellung geben. „Dagegen müssen wir sehr aufmerksam vorgehen, uns dazu bekennen, wiedergutmachen so gut es noch geht“, betonte Stich.

Aber das Fach habe wegen dieser Vergangenheit auch als Mahner in der Zukunft ihren Platz. Stich appellierte angesichts der aktuellen Tendenzen etwa in den USA, anderen Ländern und im eigenen Land: Es gelte Nein zu sagen.

In der kommenden Legislaturperiode werden mehrere Bundestagsabgeordnete, die sich bisher für den Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten stark machten, nicht mehr im Parlament vertreten sein, etwa weil sie nicht mehr zur Wahl antreten, sagte Carsten Köhler, 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Tropenme­dizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit. Er sprach diesbezüglich von einer Zäsur.

Obwohl das Interesse am Thema gewachsen sei und es in die Politik habe eingebracht werden können, sei das Problem beileibe nicht gelöst, sagte Bundestagsmitglied Georg Kippels (CDU), Sprecher des Parlamen­tarischen Beirats gegen Vernachlässigte Tropenkrankheiten und Schirmherr der Veranstaltung.

„Agendasetting“ und das Organisieren von finanziellen Mitteln blieben auch künftig wichtige Aufgaben – wobei Kippels direkt auf die schwierige haushalterische Lage des Bundes verwies.

ggr

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