Trumps Politik gegen die Wissenschaft trifft auch Europa

Berlin – Europa, und insbesondere Deutschland, müssen sich bei Forschung und Entwicklung zügig unabhängiger von den USA machen. Die wissenschaftsfeindliche Politik der US-Administration könne aber auch eine Chance für den hiesigen Standort bedeuten, erklärten mehrere Fachleute kürzlich in Berlin.
Der Druck auf Universitäten und die Kürzungen im Wissenschafts- und Gesundheitssektor durch die Regierung von US-Präsident Donald Trump haben weltweit Folgen. „Bereits jetzt spüren wir die Auswirkungen“, erklärte die stellvertretende Generaldirektorin für Außenbeziehungen und Governance der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Catharina Böhme, bei einer Konferenz des Tagesspiegel und des Wirtschaftsverbands Pharma Deutschland vergangene Woche.
In über 25 Ländern würden Programme zu Monitoring, Ausbruchsprävention oder Versorgung bei Krankheiten wie Tuberkulose, Malaria und HIV zusammenbrechen. Die WHO rechne dadurch mit bis zu neun Millionen zusätzlichen Todesfällen in den kommenden Jahren.
Die Einschnitte für die WHO selbst seien erheblich. „Bei uns liegen alle Optionen auf dem Tisch“, sagte Böhme. Die Organisation erwäge die Zusammenlegung oder Schließung ganzer Abteilungen, um sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren zu können.
„Mehr als je zuvor ist die Führung Europas nun unverzichtbar“, betonte sie. Es sei nun an den europäischen Ländern, eine evidenzbasierte Gesundheitspolitik global zu verteidigen. Dazu gehöre auch, den privaten Sektor in Forschung und Entwicklung zu stärken.
15 Prozent der Expertinnen und Experten, die die WHO beraten, seien durch Stellenstreichungen in den USA bereits weggefallen. Allerdings könne es auch eine große Chance für die europäische, speziell die deutsche Forschungslandschaft sein, dass viele renommierte und hochqualifizierte Fachleute in den USA aktuelle keine Perspektive mehr sehen.
So hätten sich bereits 2.500 Experten aus den USA an die WHO gewandt mit der Bitte um Hilfe bei der Suche nach passenden Stellen in Europa. „Viele wollen weg, sie wollen dort nicht mehr arbeiten“, erklärte Böhme.
Zudem gebe es aufgrund des Ausfalls der USA auch auf anderen Kontinenten ein gestiegenes Interesse an der Zusammenarbeit mit Europa. „Wir sehen enorme Möglichkeiten in der Expansion von Partnerschaften und der Knüpfung neuer Partnerschaften.“
Von Erfahrungen mit strukturellen und personellen Einschnitten konnte auch die Gesundheitsökonomin Ariel Dora Stern aus erster Hand berichten. Ab 2014 war sie in Harvard tätig und hat seit vergangenem Jahr die Alexander von Humboldt-Professur für Digital Health am Hasso-Plattner-Institut inne.
„Ich kenne Leute in allen Bereichen, die betroffen sind“, erklärte sie. Eine Wissenschaftlerin, mit der sie noch im vergangenen Jahr publizierte, sei samt ihres gesamten Public-Health-Departments gefeuert worden. „Wir sollten alle schreien, so schrecklich ist es.“
Es handele sich um eine Tragödie für die Wissenschaft, da nicht nur viele kluge Köpfe gefeuert würden, sondern auch zahlreiche wichtige Forschungsprojekte nicht weitergeführt würden. Auch sie sehe darin aber die Chance, den hiesigen Standort zu stärken, falls Europa diesen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine Perspektive bieten kann.
Zudem seien die jüngsten Entwicklungen ein Weckruf für Europa, endlich eigene Strukturen aufzubauen. So seien in den USA bereits Datenbanken vom Netz gegangen, die auch für die hiesige Forschung von großer Bedeutung seien.
Auch in der Behördenzusammenarbeit führe die aktuelle Politik der US-Regierungen bereits zu Einschränkungen. „Alle meine Ansprechpartner, die ich bei der FDA hatte, sind nicht mehr da“, erklärte der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Karl Broich.
Europa sei zusehends auf sich allein gestellt und müsse jetzt schnell handeln, betonte Thomas Steffen, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG). Dazu gehöre auch, das EU-Pharmapaket – also die Reform des europäischen Arzneimittelrechtsrahmens – jetzt schnell abzuschließen.
„Wir müssen schlicht und einfach schneller werden, um der Industrie in Europa verlässliche Rahmenbedingungen zu bieten“, sagte er. „Wir brauchen schnell neue Freunde.“ Das betreffe vor allem die Diversifizierung von Lieferketten zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung.
Dass diese Appelle auch in Brüssel ankommen, versicherte Manfred Weber, Partei- und Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament. Der Blick auf die USA zeige unter anderem, wie wichtig es ist, die Unabhängigkeit der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) von politischer Einflussnahme zu stärken.
Sowohl in der Gesundheitsversorgung als auch in der Wissenschaft müsse Europa enger zusammenrücken. Die europäische Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung sei „die zentrale Herausforderung der Gegenwart“, unterstrich er. „Europäische Gesundheitspolitik ist Zukunftspolitik und wir müssen das aktuelle Zeitfenster nutzen, um Potenziale zu heben.“
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