Vertraulichkeit der Erstattungspreise soll nachgeschärft werden

Berlin – Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen haben dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) eine Aufweichung der umstrittenen Pläne zur Einführung vertraulicher Erstattungsbeträge für neu eingeführte Arzneimittel abgerungen. Das geht aus den Änderungsanträgen zum Medizinforschungsgesetz (MFG) hervor, die dem Deutschen Ärzteblatt vorliegen.
Zudem sollen Hersteller höhere Preise abrufen dürfen, wenn ein Arzneimittel teilweise in Deutschland geprüft wurde. Das Gesetz soll morgen vom Gesundheitsausschuss und am Donnerstag im Plenum des Bundestages beschlossen werden.
Das Vorhaben, Unternehmen bei der Einführung neuer Wirkstoffe die Option auf Vertraulichkeit der mit dem GKV-Spitzenverband (GKV-SV) ausgehandelten Erstattungsbeträge zu gewähren, war in den vergangenen Wochen auf breite Kritik gestoßen – nicht nur seitens der meisten Verbände im Gesundheitswesen, sondern auch aus der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP.
„In diesem Gesetz mussten wir als Abgeordnete viel neu verhandeln, denn der Regierungsentwurf war mehr als unausgewogen“, erklärte dazu Paula Piechotta, Berichterstatterin für Arzneimittel und Medizinprodukte der Grünen Bundestagsfraktion. „Wir mussten als Abgeordnete die Interessen der Versicherten im Land wahren und das haben wir getan.“ Piechotta hatte bereits im Anhörungsverfahren verkündet, insbesondere eine Streichung der vertraulichen Erstattungspreise erreichen zu wollen.
Das hat sie nicht geschafft, aber mit einer Reihe von Nachbesserungen an der geplanten Regelung will das BMG der Kritik nun entgegenkommen. So sollen unter anderem ein automatischer Preisabschlag vorgesehen und Ärztinnen und Ärzten ohne Einblick in die tatsächlichen Preise eine Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebot ermöglicht werden.
Zwangsrabatt bei Vertraulichkeit
Zudem sollen Hersteller die Vertraulichkeit des Erstattungsbetrags nicht mehr wie bisher geplant vor den Verhandlungen mit dem GKV-SV wählen können. Stattdessen sollen sie das erst im Nachgang zur Preisvereinbarung oder Festsetzung durch die Schiedsstelle tun können, indem sie innerhalb von fünf Tagen nach Vereinbarung oder Festsetzung eine entsprechende Erklärung gegenüber dem GKV-SV abgeben.
Wenn sie sich für die Vertraulichkeit entscheiden, soll das zwingend zu einem Preisabschlag von neun Prozent führen. Damit begegnen BMG und Regierungskoalitionen der Kritik, dass es keinerlei Belege dafür gebe, dass vertrauliche Erstattungspreise tatsächlich zu höheren Rabatten führen würden.
Insbesondere der GKV-SV hatte die Befürchtungen angebracht, dass es letztlich zu höheren Preisen führen könnte, wenn Unternehmen mit vorab vereinbarter Vertraulichkeit in die Erstattungsbetragsverhandlungen gehen würden. Die Anpassung solle nun gewährleisten, dass mit der Gewährung der Vertraulichkeit tatsächlich auch ein spezifischer Rabatt einhergeht.
„Dadurch ist sichergestellt, dass die Vorteile der Unterbindung einer externen Preisreferenzierung nicht allein beim pharmazeutischen Unternehmer verbleiben, sondern zumindest teilweise an die Kostenträger und damit letztlich an die Beitragszahler weitergegeben werden“, heißt es in den Änderungsanträgen.
Die Preisreferenzierung des deutschen Marktes in anderen Gesundheitssystemen war als einer der Hauptgründe für die Sinnhaftigkeit von vertraulichen Erstattungspreisen angeführt worden. Führe ein höherer Rabatt in Deutschland nicht zu Preissenkungen in anderen Märkten, könnten die Unternehmen hierzulande höhere Abschläge gewähren, so die Logik dahinter.
Ein neunprozentiger Abschlag erscheine angesichts der vertraulichen Rabatte, die in anderen Ländern gewährt werden, angemessen, heißt es in der Begründung zum dahingehenden Änderungsantrag.
Probanden in Deutschland als Voraussetzung
Außerdem soll eine Voraussetzung für die Gewährung der Vertraulichkeit eingeführt werden: Das pharmazeutische Unternehmen muss eine Arzneimittelforschungsabteilung und relevante eigene Projekte und Kooperationen mit öffentlichen Einrichtungen in präklinischer oder klinischer Arzneimittelforschung in Deutschland nachweisen.
Das diene nicht nur der Förderung der Forschung und Entwicklung in Deutschland. Auch die GKV profitiere demnach davon, wenn die erhobenen Daten besonders gut auf den deutschen Versorgungskontext übertragen werden können.
Der GKV-SV soll die Unterlagen des pharmazeutischen Unternehmers innerhalb von sieben Tagen prüfen und daraufhin entscheiden, ob die erforderlichen Nachweise vorliegen. Trifft der GKV-SV eine negative Entscheidung, soll die Schiedsstelle innerhalb von weiteren sieben Tagen ebenfalls auf Grundlage der Unterlagen des pharmazeutischen Unternehmers entscheiden. Damit soll gewährleistet werden, dass die endgültige Entscheidung spätestens vierzehn Tage nach Eingang der Unterlagen des pharmazeutischen Unternehmers getroffen wird.
Um den Unternehmen vorab mehr Sicherheit zu gewähren, sollen sie die Unterlagen zum Nachweis der Forschung und Entwicklung in Deutschland auch bereits sechs Monate nach Inverkehrbringen des Arzneimittels vorlegen dürfen.
Die endgültige Entscheidung darüber soll dann ein Jahr gelten, damit der Hersteller die Nachweise nach Abschluss der Erstattungsbetragsvereinbarung nicht erneut vorlegen muss. So wisse dieser bereits vor Abschluss der Erstattungsbetragsverhandlung, ob er die Voraussetzungen für einen vertraulichen Erstattungsbetrag erfülle.
Auslaufklausel für Vertraulichkeitsoption
Für das gesamte Verfahren soll eine sogenannte Sunset Clause greifen: Es wird vorerst nur für eine dreieinhalbjährige Erprobungszeit eingeführt, nämlich bis zum 30. Juni 2028. Ob es danach verlängert oder entfristet wird, obliege dem Gesetzgeber.
Für den Fall einer Einstellung des Verfahrens nach diesem Datum sollen bereits vereinbarte vertrauliche Erstattungspreise aber noch bis zum Wegfall des Unterlagenschutzes für das jeweilige Arzneimittel gelten.
Bereits bis zum 31. Dezember 2026 soll das BMG verpflichtet werden, dem Gesundheitsausschuss des Bundestages eine Evaluation zu den Auswirkungen der neuen Vertraulichkeitsoption vorzulegen. Darin soll erörtert werden, ob sie im Arzneimittelbereich ihre Ziele erreicht hat, Marktverzichte oder -rücknahmen mit Blick auf die finanziellen Folgen einer externen Preisreferenzierung zu vermeiden und Einsparungen durch spezifische Rabatte für die Gewährung der Vertraulichkeit zu erzielen.
Auch gegebenenfalls nicht beabsichtigte Effekte wie ein unerwartet hoher Abwicklungsaufwand bei beteiligten Akteuren oder unvorhergesehene Änderungen der Arzneimittelausgaben sollen dabei berücksichtigt werden. Die Evaluation könnte zur Grundlage für eine spätere Entscheidung über Weiterführung oder Beendigung der Regel werden.
Transparenzvorgaben für Ärztinnen und Ärzte
Um nachgelagerte, unerwünschte Effekte abzuschwächen, haben die Abgeordneten noch weitere Nachbesserungen in den Gesetzentwurf verhandelt. So war zuvor von vielen Seiten kritisiert worden, dass Ärzte dem Wirtschaftlichkeitsgebot kaum nachkommen könnten, wenn sie den tatsächlichen Preis eines Arzneimittels nicht kennen.
Dem soll nun durch Vorgaben für die Anbieter von Praxisverwaltungssystemen (PVS) und anderen Primärsystemen begegnet werden. Diese sollen verpflichtet werden, „Informationen und Hinweise“ zu den betreffenden Arzneimitteln als Pflichtbestandteil in ihre Systeme aufzunehmen.
Diese müssen „die Wirtschaftlichkeit der Verordnung in Relation zu konkurrierenden Arzneimitteln oder anderen Therapien im betreffenden Indikationsgebiet so darstellen, dass der Ärztin oder dem Arzt auch ohne Kenntnis der konkreten Therapiekosten die wirtschaftliche und zweckmäßige Auswahl der Arzneimitteltherapie ermöglicht wird“, heißt es in der Begründung zum dahingehenden Änderungsantrag. Wie genau das geschehen soll, wird nicht ausgeführt.
Mehr Auskunftsrechte sollen hingegen Generikahersteller erhalten, schließlich ist eine gewisse Einsicht in die Erstattungsbeträge für diese relevant zur eigenen Festsetzung eines konkurrenzfähigen Markteintrittspreises.
Der Auskunftsanspruch von Generikaherstellern soll frühestens zwölf Monate vor Ablauf des Unterlagenschutzes bestehen und einen Nachweis voraussetzen, dass sie selbst einen Antrag auf Zulassung eines Generikums gestellt haben und dabei auf die Unterlagen des Arzneimittels mit vertraulichem Erstattungsbetrag als Referenzarzneimittel Bezug nehmen.
Ausnahme von AMNOG-Leitplanken
Den Herstellern von patentgeschützten Arzneimitteln wollen BMG und Abgeordnete mit einer weiteren Regelung entgegenkommen: Seit mittlerweile fast zwei Jahren kritisieren Pharmaunternehmen und ihre Verbände die sogenannten Leitplanken, die mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) in das AMNOG-Verfahren aufgenommen wurden.
Eine dieser Leitplanken sieht drei Verhandlungsvorgaben vor, um die Kosten für neu eingeführte Arzneimittel zu senken: Ist für das neue Arzneimittel kein Zusatznutzen belegt und die zweckmäßige Vergleichstherapie (zVT) nicht mehr patentgeschützt, soll der Erstattungsbetrag nicht über dem der zVT liegen.
Bei einer patentgeschützten zVT soll der Erstattungsbetrag des neuen Wirkstoffs zehn Prozent unter ihrem Preis liegen, bei einem geringen Zusatznutzen in Kombination mit einer patentgeschützten zVT wiederum soll ebenfalls maximal der Preis der zVT gelten.
Diese Regelung soll ausgesetzt werden, wenn die für die Zulassung des Arzneimittels durchgeführten klinischen Studien zumindest teilweise in Deutschland durchgeführt werden. Dann sollen künftig für Arzneimittel ohne Nachweis eines Zusatznutzens, mit geringem oder nicht quantifizierbarem Zusatznutzen bei patent- oder unterlagengeschützter zweckmäßiger Vergleichstherapie „im Wesentlichen die Rahmenbedingen wiederhergestellt werden, die vor Inkrafttreten des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes galten“, heißt es weiter.
Dafür soll eine Hürde von fünf Prozent der Probandinnen und Probanden gelten, die an deutschen Prüfzentren behandelt wurden. Jene Probanden, die an der klinischen Prüfung teilgenommen haben, seien auf Kosten des pharmazeutischen Unternehmers statt zu Lasten der Versichertengemeinschaft versorgt worden, heißt es in der Erklärung zum Änderungsantrag.
Der Wert von fünf Prozent sei daher ausreichend hoch, um die mit der Regelung einhergehende Mehrbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung und anderer Kostenträger zu rechtfertigen.
Die Feststellung, dass tatsächlich fünf Prozent der Probanden aus Deutschland stammen, soll in das Nutzenbewertungsverfahren beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) integriert werden. Dazu soll das Unternehmen in seinem Dossier Angaben zur Zahl der Prüfungsteilnehmer machen und dabei den Anteil an Probanden an deutschen Prüfstellen im Verhältnis zur Gesamtzahl machen.
Dabei sollen nur klinische Prüfungen zählen und sonstige, nichtinterventionelle klinische Studien wie Anwendungsbeobachtungen keine Berücksichtigung finden. Der G-BA könne die Herstellerangaben anhand der vorgelegten Studienunterlagen plausibilisieren, wobei ihn jedoch keine Amtsermittlungspflicht treffe.
Piechotta sieht Verhandlungserfolg
Piechotta zeigt sich zufrieden mit den Verhandlungsergebnissen. „Ab sofort können auch Medikamente mit geringem Zusatznutzen wieder besser bezahlt werden, wenn das Unternehmen in Deutschland forscht“, erklärt sie. „Gleichzeitig haben wir den unsäglichen Vorschlag geheimer Arzneimittelpreise stark beschnitten, den das gesamte Gesundheitswesen inklusive der Mehrzahl der Hersteller abgelehnt hat.“
Die jetzt vereinbarten Anreize würden die Interessen der Versicherten besser im Blick behalten und für Unternehmen deutlich zielgerichteter in der Lage sein, Arzneimittel-Investitionen ins Land zu holen, als die Ideen aus dem Kanzleramt und dem Bundesgesundheitsministerium, betont sie: „Ich hoffe, dass die nächsten Gesetzentwürfe der Bundesregierung das Parlament wieder mit höherer Qualität erreichen, als wir das bei diesem Gesetz erleben mussten.“
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