Vorerst keine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen

Berlin – Zu einer gesetzlichen Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs wird es in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen. Der Rechtsausschuss des Bundestags entschied gestern Abend nach einer dreistündigen Anhörung zum Thema keine finale Abstimmung über den entsprechenden Gesetzentwurf noch vor den Neuwahlen im Parlament zu ermöglichen. Dafür hätte zunächst eine Sondersitzung des Ausschusses einberufen werden müssen, für die es – unter anderem durch den Widerstand von Union und FDP – keine Mehrheit gab.
SPD und Grüne, die den Gesetzentwurf zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs maßgeblich vorangetrieben hatten, sind enttäuscht. Denn 328 Bundestagsabgeordnete hatten den Entwurf bereits unterzeichnet. Damit fehlten nur 39 Stimmen für eine Mehrheit im Parlament.
Nachdem Anfang Dezember der Bundestag in erster Lesung den Gesetzentwurf diskutiert hatte, hatten sich mehrere Unterstützende zuversichtlich geäußert, diese Mehrheit noch vor der Neuwahl am 23. Februar zustande zu bekommen.
Doch erst gestern Abend beschäftigte sich der Rechtsausschuss des Bundestages im Rahmen einer Expertenanhörung mit dem fraktionsübergreifenden Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Dabei wurden die kontroversen Ansichten zu den Inhalten des im Herbst 2024 eingebrachten Entwurfs sehr deutlich.
Im Kern sieht dieser vor, Schwangerschaftsabbrüche bis zur 12. Woche nach der Empfängnis außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln. Die Pflicht zur Beratung soll bestehen bleiben. Dies hatte auch die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin im April 2024 empfohlen.
Bislang ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland bei Einhaltung aller Regelungen zwar straffrei, aber grundsätzlich rechtswidrig. Geregelt ist dies durch den Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch – den die Initiatorengruppe per Gesetzesänderung abschaffen wollte.
Zu dem Schluss, dass dies notwendig und positiv ist, war auch das Forschungsverbundprojekt „ELSA - Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer. Angebote der Beratung und Versorgung“ gekommen. Aus den ELSA-Daten gehe hervor, dass eine große Mehrheit der Personen, die eine Schwangerschaft abbrechen, Stigmatisierung erfahren würden, sagte Rona Torenz, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Forschungsverbundprojekt ELSA an der Hochschule Fulda, gestern Abend im Rechtsausschuss des Bundestags.
Auch die Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland durchführten, würden nach den Daten Stigmatisierung erfahren, so Torenz. „Mit der Verortung einer Handlung im Strafrecht wird sie als gesellschaftlich unerwünscht und unmoralisch eingeordnet und auch so wahrgenommen“, betonte sie.
Eine Setzung des Schwangerschaftsabbruchs als grundsätzlich rechtmäßig, wie vom vorliegenden Gesetzesentwurf vorgesehen, signalisiere dagegen, dass der Staat die Entscheidung und damit auch die reproduktiven Rechte ungewollt Schwangerer anerkenne und achte.
Ähnlich äußerte sich Liane Wörner von der Universität Konstanz. Der Gesetzentwurf setzt aus ihrer Sicht die Ergebnisse und Empfehlungen der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin gut um.
Die Rechtmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs auf Verlangen bis zur 12. Woche und das Entfallen der Wartefrist sowie die Regelung außerhalb des Strafgesetzbuchs im Schwangerschaftskonfliktgesetz setzten zudem internationale Maßgaben für Deutschland um, sagte sie.
Es bedürfe des Strafrechts nur zum Schutz der Schwangeren vor nicht selbstbestimmten Schwangerschaftsabbrüchen gegen oder ohne ihren Willen sowie zum Schutz vor der Nötigung gleichermaßen zum Abbruch wie zu dessen Unterlassung.
Unterstützt wurde dies gestern abermals von Beate von Miquel, Vorsitzende des Deutschen Frauenrates. Mit dem Entwurf könne der Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der Frau „verfassungskonform und im Einklang mit dem Grundgesetz und internationalen Menschenrechten entkriminalisiert werden“, sagte sie.
Alicia Baier, Ärztin im Weiterbildung Gynäkologie und Mitglied im Vorstand des Vereins Doctors for Choice Germany, betonte, dass der Gesetzentwurf evidenzbasiert sei. Es sei vielfach wissenschaftlich belegt worden, dass die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen die Gesundheit der Betroffenen verbessere, und Abbrüche dadurch nicht häufiger, sondern früher stattfinden würden.
Aus Sicht von Baier reduziert eine Legalisierung die Stigmatisierung und damit die psychische Belastung der Betroffenen, vermindert Verzögerungen in der Versorgung und ermöglicht einen sozial gerechten Zugang. „Zudem verbessert der Gesetzentwurf die Arbeitsbedingung der durchführenden Ärztinnen und Ärzte und legt die Basis, dass Schwangerschaftsabbrüche in die medizinische Aus- und Weiterbildung integriert werden können“, sagte sie.
In Deutschland erfahre der Gesetzesentwurf breiten Rückhalt unter Ärzten, so Baier. Dabei nannte sie den Bundesverband der Frauenärzte (BVF), die Deutsche Gesellschaft für psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG), den Deutsche Ärztinnenbund und den Hausärztinnen- und Hausärzteverband.
„Diese breite Zustimmung wird untermauert durch Ergebnisse der ELSA-Studie, nach welcher 75 Prozent der befragten Gynäkologinnen und Gynäkologen – unabhängig davon, ob sie selbst Abbrüche durchführen – die Streichung von §218 Strafgesetzbuch befürworten.“
Offensichtlich nicht zu diesen gehört Matthias David, Gynäkologe am Charité Campus Virchow Klinikum Berlin und Koordinator der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) für die aktuelle Leitlinie zum Schwangerschaftsabbruch. Aus seiner Sicht sind die Ergebnisse der ELSA-Studie nicht dafür geeignet, ein „Versorgungsproblem“ bei Schwangerschaftsabbrüchen für Betroffene zu beweisen.
Vielmehr sei für die Frauen, die sich nach der gesetzlich vorgeschriebenen Beratung für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden würden, eine „bedarfsgerechte, flächendeckende, gut erreichbare und sichere medizinische Versorgung in Deutschland gewährleistet“, so David. Das betreffe sowohl den operativen als auch den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch.
Hinweise auf eine Verschlechterung der Versorgungslage in den vergangenen Jahren sind nach Ansicht von David nicht nachweisbar. „Die Versorgungslage mit Schwangerschaftsabbrüchen ist nicht prekär“, betonte er bei der gestrigen Anhörung. Zudem sei das Thema Schwangerschaftsabbruch im Medizinstudium und in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung in Deutschland seit vielen Jahren fest verankert.
Gegen den Gesetzentwurf positionierte sich auch Kristijan Aufiero von der Schwangerschaftskonfliktberatung 1000plus-Profemina. Eine Gesetzesänderung würde keine Verbesserung der Situation von Frauen im Schwangerschaftskonflikt in Aussicht stellen, befand er.
Es brauche eine lebensbejahende Beratung statt einer Legalisierung der Schwangerschaftsabbrüche, der Streichung der Wartepflicht von drei Tagen und der Finanzierung von Abtreibungskosten als reguläre Kassenleistung. Es gehe um die uneingeschränkte Achtung jedes menschlichen Lebens, „ganz egal in welchem Stadium seiner Existenz“. Das sei das Fundament einer freiheitlichen Demokratie.
Umstritten blieben während der Anhörung auch rechtliche Fragen. Während aus Sicht von Frauke Brosius-Gersdorf von der Universität Potsdam der Gesetzentwurf verfassungsrechtlich zulässig ist, beurteilte Frauke Rostalski von der Universität Köln die vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen als „verfassungsrechtlich besonders problematisch“. Sie bedeuteten eine erhebliche Verschlechterung der derzeitigen Rechtslage sowohl im Hinblick auf die Rechtsposition der Schwangeren als auch des Ungeborenen, so Rostalski.
Zwar habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft rechtswidrig – wenngleich nicht zwingend strafbar – sei, meinte dagegen Brosius-Gersdorf. Der Gesetzgeber sei bei einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs jedoch nicht an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden, sagte sie, sondern dürfe eine eigene verfassungsrechtliche Neubewertung vornehmen.
Für Rostalski gibt es jedoch keine Veranlassung dafür, an der geltenden Rechtslage zu rütteln. Weder empirisch noch normativ habe sich in Sachen Schwangerschaftsabbruch etwas geändert, „das nicht bereits ausführlich durch das Bundesverfassungsgericht in dessen Entscheidungen einbezogen wurde“, sagte sie. Ein vermeintlicher breiter gesellschaftlicher Wertewandel sei empirisch nicht nachgewiesen.
Anstatt immer wieder die alte Frage der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu diskutieren, wäre es aus Sicht der Juristin an der Zeit, die Selbstbestimmung Schwangerer „durch tatsächlich dazu geeignete Maßnahmen“ zu fördern. „Hierzu bedarf es eines gesellschaftlichen Umdenkens und der ernstlichen Bereitschaft, soziale Missstände zu beheben, die derzeit insbesondere Alleinerziehende und die Kinder einkommensschwacher Eltern betreffen“, sagte Rostalski.
Der Gesetzentwurf sei rechtspolitisch verfehlt, meinte auch Michael Kubiciel von der Universität Augsburg. Er verändere die Rechtslage auch für Ärzte nicht, da diese schon jetzt unter dem Schutz der Rechtsordnung beraten und indizierte Abbrüche vornehmen könnten.
Der Entwurf führt nach seiner Ansicht dagegen zu einem gesundheits- und frauenpolitischen Fehlanreiz, „da Schwangeren ein sanktionsfreier Weg zu gefährlichen Abbrüchen von Laien außerhalb des regulatorischen Rahmens eröffnet wird“. Die Abschaffung der Drei-Tages-Frist widerspreche zudem dem Zweck der Beratung und sei zur Ermöglichung eines rechtzeitigen Abbruchs nicht erforderlich, urteilte er.
Noch schärfer kritisierte Gregor Thüsing von der Universität Bonn den Gesetzentwurf. Mit ihm werde eine „Brandmauer des Lebensschutzes“ eingerissen, sagte das Mitglied des Deutschen Ethikrates. Aus seiner juristischen Sicht ist der Entwurf „mitnichten minimalinvasiv oder ausgewogen“, sondern „radikal“. Zudem wäre er „klar verfassungswidrig.“
Der Verzicht auf die obligatorische Bedenkzeit nach der Beratung und die Relativierung des bisherigen Beratungsziels Lebensschutz führe zu einer deutlichen Absenkung des Schutzes „des sich als Mensch entwickelnden Lebens“, befürchtete Thüsing.
Das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase sei nicht mehr zu legitimieren, befand dagegen Karsten Gaede von der Bucerius Law School in Hamburg. Das Bundesverfassungsgericht unterstelle, dass der Körper der Schwangeren prinzipiell fremdnützig zur Erfüllung von Schutzzielen verfügbar und eine Austragungspflicht damit grundsätzlich zumutbar sei. Eine Pflicht zur Austragung der dauerhaft identitätsprägenden und den Körper fundamental umwandelnden Schwangerschaft „in der Frühphase“ sei jedoch nicht begründet, meint Gaede.
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