Politik

Zivile und militärische Ärzteschaft wollen sich auf den Ernstfall vorbereiten

  • Freitag, 7. März 2025
/tang90246, stock.adobe.com
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Berlin – Angesichts der immer angespannteren Weltlage wächst im Gesundheitswesen wie auch im Sanitätsdienst der Bundeswehr die Gewissheit, dass eine bessere Verzahnung und Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Strukturen keinen Aufschub mehr erlaubt.

Die kritische Infrastruktur im Gesundheitswesen ist trotz zunehmender Vorbereitungsaktivitäten noch nicht ausreichend auf einen verteidigungspolitischen Ernstfall vorbereitet. Zu diesem Schluss kamen Expertinnen und Experten gestern bei einer Fachkonferenz in Berlin.

Angesichts der Bedrohung durch Russland und der rhetorischen Aufkündigung der NATO-Sicherheitsgarantien durch die US-Regierung müsse der der Ernstfall dabei nicht gleich der Verteidigungsfall sein. Auch in im Bündnisfall – beispielsweise einem russischen Angriff auf das Baltikum – kämen auf Deutschland immense Aufgaben als Aufmarschgebiet und Logistikdrehscheibe zu.

Zudem könne ein möglicher Waffenstillstand in der Ukraine samt Öffnung von deren Westgrenze dazu führen, dass hunderttausende Verwundete hier versorgt werden müssen. Es sei dann mit einem kurzfristigen Zuzug von bis zu 600.000 Verletzten zu rechnen, erklärte der Ärztliche Direktor und Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin (UKB), Axel Ekkernkamp. Es gebe aufgrund des Krieges mittlerweile allein 145.000 Menschen mit amputierten Gliedmaßen in der Ukraine.

Das deutsche Gesundheitswesen müsse sich auf vielerlei Ebenen auf derartige Aufgaben vorbereiten und dabei auch lernen, pragmatischer zu agieren. So erklärte der Geschäftsführer der BG Kliniken, Reinhard Nieper, seine Häuser würden seit Jahren versuchen, der Bundeswehr für den Ernstfall die Hälfte ihrer Kapazitäten zur Traumabehandlung zur Verfügung zu stellen.

„Das scheitert seit Jahren Regelungen des Vergaberechts, die für den Krisenfall absolut irrelevant sind“, kritisierte er. „Das ist Deutschland im Jahr 2025.“ Derartige Hürden für eine effiziente zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ) müssten systematisch, vor allem aber schnell abgebaut werden.

Es brauche mehr pragmatische Ansätze, ausgearbeitete Pläne müssten aber auch ausreichend eingeübt werden, forderte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt. „Wir haben in Deutschland einen gewissen Hang zum Over Engineering“, sagte er. Nicht jeder Entscheidungsbaum müsse bis in die letzte Verästelung ausgearbeitet sein, sondern Strukturen geschaffen werden, die im Ernstfall flexibel und effizient agieren können.

Miserabel vorbereitet

„Wir müssen uns ehrlich machen: Wir sind miserabel vorbereitet. Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung und sind blank“, beklagte auch der ehemalige bayerische Gesundheitsminister und jetzige Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion, Klaus Holetschek. „Das ist keine Schwarzmalerei, sondern die bittere Realität.“

Es müsse nun eine dringend überfällige Transformation begonnen werden, bei der „es nicht mehr ausreicht, 1.000 Arbeitsgruppen zu bilden und 1.500 Gutachten zu schreiben, die eh keiner liest“.

Dabei gehe es nicht nur um die bessere Einbindung von Krankenhäusern, sondern um das gesamte System, also auch die Verschränkung von ambulantem und stationärem Sektor, die Abhängigkeit in der Arzneimittelversorgung von Staaten wie China oder die ausreichende Schulung des Personals im Gesundheitswesen.

Hier sieht der stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Stephan Hofmeister, eine enorme Lücke, die dringend geschlossen werden müsse. Denn auch im Krisenfall müsse der ambulante Sektor die Grundlast der Versorgung aufrechterhalten.

Allerdings gebe es bisher keinerlei Strukturen für diese Aufrechterhaltung und „noch nicht einmal eine Gedankenskizze“ zur Einbindung ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte sowie anderer Fachkräfte wie Medizinischer Fachangestellter (MFA) im Krisen-, Bündnis- oder Verteidigungsfall.

Die Versorgungsstruktur sei sehr anfällig für Angriffe, beispielsweise auf die Strom- und Wasserversorgung oder das Internet. Auch hier gebe es noch keinerlei Pläne, wie die ambulante Gesundheitsversorgung im Ernstfall aufrechterhalten werden kann.

Vor allem aber sei eine Bestandsaufnahme dringend notwendig. Bis heute gebe es im ambulanten Bereich kaum Echtzeitinformationen über Kapazitäten und Bedarfe bei Personal, Patientenlast und Ausstattung. Das müsse dringend aufgebaut werden, um im Krisenfall zu wissen, was zur Verfügung steht und was gebraucht wird.

Es habe in den vergangenen Jahrzehnten keinerlei strukturierte Kommunikation zwischen dem ambulanten Sektor und der Bundeswehr gegeben. „Das muss und wird sich ändern“, betonte Hofmeister. Auch BÄK-Präsident Reinhardt betonte, dass es eine effizientere Kooperation zwischen zivilen und militärischen Einrichtungen geben müsse. Es müssten Schnittstellen und Zuständigkeiten geschaffen werden, „die klar definiert sind und ständig eingeübt werden.“

Weder Krieg noch Frieden

Etwas positiver sah die Situation Generalleutnant André Bodemann, Stellvertreter des Befehlshabers Operatives Führungskommando der Bundeswehr und Kommandeur Territoriale Aufgaben. Der seit 2023 fortlaufend erarbeitete Operationsplan Deutschland (OPLAN) sei wegweisend auch für andere Länder. Die verbündeten Nachbarländer würden sich auf die darin definierten Strukturen verlassen und an ihnen orientieren.

Zudem passiere auf Länderebene bereits sehr viel, wobei es in der Natur der Dinge liegt, dass das nicht ausführlich in der Öffentlichkeit diskutiert werden kann. Auch er machte jedoch keinen Hehl aus seiner Einschätzung der aktuellen Lage. „Was wir im Moment haben, ist formal noch kein Krieg, aber auch schon längst kein Frieden mehr“, sagt er.

Es gäbe keine einfache Dichotomie zwischen Krieg und Frieden mehr. Stattdessen liege dazwischen heute eine lange Strecke hybrider Bedrohungen, auf der sich Deutschland gerade befindet. Die hybride Kriegsführung, deren Ziel Europa bereits sei, umfasse dabei eine Spanne von gezielter politischer Destabilisierung durch konzertierte Desinformation über koordinierte Cyberangriffe bis hin zu Sabotageakten.

Auch für die Streitkräfte sei eine funktionierende Zusammenarbeit mit dem zivilen Gesundheitswesen unverzichtbar erklärte Bodemann: „Die Bundeswehr hilft gern, kann aber auf Dauer keine zivile Infrastruktur gewährleisten, ohne ihren eigenen Auftrag zu vernachlässigen.“

Es müssten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass im krisenfall Ressourcen verfassungsgemäß, aber zügig abgerufen werden können. Die dezentralen Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten im Föderalismus würden das erschweren.

Allerdings brauche es auch ein politisches und gesellschaftliches Einvernehmen über die Kosten, die das verursacht. „Effizienz und Resilienz schließen sich eigentlich gegenseitig aus“, betonte Bodemann. Es müssten Kapazitäten vorgehalten werden, die laufende Kosten verursachen, aber im besten Fall niemals gebraucht würden.

Die stellvertretende Befehlshaberin des Zentralen Sanitätsdiensts und Abteilungsleiterin Einsatz und Gesundheitsversorgung im Unterstützungskommando der Bundeswehr, Generalstabsärztin Almut Nolte, bestätigte diese Auffassung.

„Aus unserer Sicht müssten zusätzliche Kapazitäten für den Ernstfall vorgehalten werden“, erklärte sie. „Von daher sind wir auf das zivile Gesundheitswesen angewiesen.“ Die Reduzierung der Kapazitäten durch die Krankenhausreform sei dahingehend ein ambivalentes Zeichen.

Bessere Erfassung und Planung nötig

Zentral bei der Schaffung reaktionsschneller Strukturen sei eine funktionierende Digitalisierung des Gesundheitswesens, erklärte Leif Erik Sander, Direktor Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin der Berliner Charité und Mitglied des Expertenrats Gesundheit und Resilienz der Bundesregierung. Denn schnelle digitale Informationsflüsse seien notwendig, „damit wir Patientenströme dahin steuern können, wo wir Kapazitäten haben“.

Dieses Bewusstsein sei im Bundesgesundheitsministerium (BMG) angekommen, erklärte Heiko Rottmann-Großner, Leiter der BMG-Unterabteilung Gesundheitssicherheit. Es brauche bereits ab dem Beginn eines Krisenfalls eine effektive Patientensteuerung, für die wiederum eine funktionierende digitale Erfassung zur Kapazitätsplanung benötigt werde.

Während der Coronapandemie sei mit dem Kleeblatt-System zur Intensivpatientenverlegung bereits eine wichtige Vorarbeit geleistet worden. Dabei seien jedoch insgesamt nur einige Dutzend Patienten verlegt worden. Angesichts eines erwarteten Aufkommens von 1000 Verletzten am Tag im Bündnisfall müsse dieses System aber noch massiv hochskaliert werden.

Es sei von entscheidender Bedeutung, Krisenpläne jetzt ausreichend durchzudeklinieren. Dabei müssten alle Akteure, Prozesse und Strukturen ausreichend Beachtung finden, von den Zuständigkeiten und der Zusammenarbeit von Behörden, Kommunen, Ländern und Bund über die Leistungserbringer im Gesundheitswesen bis hin zu materiellen Kapazitäten wie Transportfahrzeugen, Liegenschaften oder der Bevorratung von Arzneimitteln.

Hier sei Deutschland ebenfalls noch nicht gut aufgestellt, hatte CSU-Politiker Holetschek erklärt. Es fehle im Kern an einer geregelten Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern.

Handlungsbedarf herrsche auch mit Blick auf Ärzte und anderes Gesundheitsfachpersonal, erklärte Sander. Es brauche auch eine bessere Kommunikation und Weiterbildung innerhalb der Krankenhäuser. „Wir müssen auch das medizinische Personal abholen. Das lebt zum Teil noch in seiner Friedensblase“, sagte er.

Sander plädierte für die Erarbeitung einer nationalen Health-Security-Strategie in Form eines Aktionsplans wie sie andere Länder von Großbritannien über Schweden bis Australien bereits hätten. Dort bestehe eine enge zivil-militärische Zusammenarbeit, bei im Krisenfall zivile Einrichtungen die Gesundheitsversorgung sicherstellen würden.

Dafür brauche es strukturierte Pläne für interdisziplinäre Einsätze, wobei der Expertenrat aber noch einen erheblichen Regelungsbedarf mit Zuweisung klarer Zuständigkeiten sehe. Die Kompetenzen seien hier noch viel zu fragmentiert, weswegen bestenfalls ein Nationaler Rat oder ein Zentrum für Gesundheitssicherheit eingerichtet werden müsse, der das Thema aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet.

Hier herrsche noch politischer Handlungsbedarf, erklärte der Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Ralph Tiesler. „Es fehlt uns derzeit an vielen Stellen ein Gesundheitssicherstellungsgesetz.“ Dieses müsse Zuständigkeiten im Vornherein verbindlich festlegen, um im Ernstfall Klarheit zu haben.

Auch er verwies auf die kritische Lage. Seine Behörde habe bereits 2023 in seinem Bericht zur Risikoanalyse für den Zivilschutz die Gefährdungslage für Deutschland angesichts der Bedrohungen durch hybride Kriegsführung auf Phase 1 von 4 hochgestuft. „Ich muss es immer wiederholen: Wir haben keine Zeit. Alles, was wir tun müssen, müssen wir schnell tun.“

lau

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