Zweiklassenmedizin (II)
'Zweiklassenmedizin' ist der Schlachtruf der gesetzlich Krankenversicherten, und wird gewohnheitshalber mit Adjektiven wie 'übelst' versehen. Daher fällt es mir schwer, mich als Privatversicherten zu outen, und mache lieber einen großen Bogen um die überfüllten Wartezimmer meiner Kollegen.
Aber auch mich plagt der altersbedingte Abrieb, daher soll ich auf Anraten des Rheumatologen meines Vertrauens meine Hände röntgen lassen. Ich sitze nun im Wartezimmer, mir gegenüber ältere Damen mit osteoporotischem Rundrücken, betagte Herren mit gonarthrotischer Auftreibung der Kniegelenke.
Ich komme mir mit meinem singulär aufgedunsenen Interphalangealgelenk dagegen wie ein Simulant vor. Krampfhaft durchforste ich die ausliegenden Zeitschriften nach einer Schlagzeile wie 'Rheuma ohne Gelenkveränderung - natürlich gibt es das!', aber die Regenbogenblätter machen keinerlei Anstalten, mir aus meinem Dilemma zu helfen.
Wahrscheinlich ist das ihre subversive Rache dafür, dass ich sie zeitlebens immer mit Verachtung gestraft hatte. Die freundliche MTRA kommt in das Wartezimmer und ruft: „Herr Doktor Böhmeke, bitte!“, obwohl ich noch gar nicht an der Reihe bin.
Verlegen stolpere ich in den Röntgenraum, vorbei an den schon länger Wartenden, und fühle alle gesetzlich krankenversicherte Augenpaare auf meinen Rücken geheftet, der nicht osteoporotisch verkrümmt ist.
Förmlich kann es auf meiner Rückseite lesen: Der kommt zuerst dran, weil er Doktor ist und privat versichert, wir müssen warten, eine Schande ist das! Es gibt Momente, da mag ich meinen Beruf und meinen Versichertenstatus überhaupt nicht.
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