Pro & Contra

Pro und Contra: Risikopatienten für eine rheumatoide Arthritis frühzeitig behandeln?

  • Samstag, 22. Juni 2024
/eddows, stock.adobe.com
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Berlin – Personen mit CCP-Antikörpern (zyklisch citrullinierte Peptide, ACPA), Rheumafaktor und Symptomen wie entzündlichen Gelenkschmerzen haben ein hohes Risiko, an rheumatoider Arthritis (RA) zu erkranken. Präventive Behandlungsstrategien für Hochrisikopatientinnen und -patienten müssen noch entwickelt werden.

Inwieweit das Immunsuppressivum Abatacept, das bereits als Basistherapeutikum bei RA eingesetzt wird, RA im Vorstadium abfangen kann, haben gleich 2 doppelblinde, multizentrische, placebokontrollierte klinische Studie untersucht, die im März 2024 erschienen sind (ARIAA-Studie: The Lancet, 2024; DOI: 10.1016/S0140-6736(23)02650-8; APIPPRA-Studie: The Lancet, 2024, DOI: 10.1016/S0140-6736(23)02649-1).

In der ARIAA-Studie wurden je 50 Individuen ohne palpable Gelenkschwellung, aber mit Gelenkschmerz, mit ACPA-Antikörper, Nachweis einer entzündlichen Veränderung wie Synovitis, Tenosynovitis oder Osteitis im MRT entweder 6 Monate mit Abatacept oder Placebo behandelt, danach 12 Monate beobachtet. Eine Verbesserung der Entzündung im MRT wurde bei 57 % der Teilnehmenden unter Abatacept, 31 % unter Placebo beobachtet.

Eine manifeste Arthritis entwickelten 8 % der Teilnehmenden unter Abatacept und 35 % mit Placebo. Nach 12 Monaten ohne Therapie (also insgesamt 18 Monaten) war eine Verbesserung der MRT-Entzündungsparameter bei 51 % der Patienten unter Abatacept und 24 % unter Placebo festzustellen; ein Fortschreiten zur RA wurde in der Abatacept-Gruppe bei 35 % der Teilnehmenden beobachtet, in der Placebogruppe bei 57 %.

Auch in der APIPPRA-Studie mit gut 200 Teilnehmenden (positiv auf ACPA und Rheumafaktor, entzündliche Gelenkschmerzen), kommen die Forschenden zu dem Schluss: Abatacept über 12 Monate verringert das Fortschreiten zur RA, wobei eine anhaltende Wirksamkeit auch über den Behandlungszeitraum hinaus nachgewiesen werden kann. Nach 24 Monaten hatten 27 (25 %) in der Abatacept-Gruppe eine RA entwickelt, verglichen mit 38 (37 %) in der Placebogruppe.

Pro: Matthias Schneider: Mit der neuen präventiven Therapie bekommen 80 % der Betroffenen die Erkrankung erst gar nicht.

Matthias Schneider, Leiter der Hiller Forschergruppe, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf /Universitätsklinikum Düsseldorf
Matthias Schneider, Leiter der Hiller Forschergruppe, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. /Universitätsklinikum Düsseldorf

Ja, Personen mit hohem Risiko für eine rheumatoide Arthritis soll eine präventive Behandlung empfohlen werden. Zwei RCTs haben gezeigt, dass Abatacept die Entwicklung einer klinischen RA in einer Hochrisikogruppe um 80 % (von 35 auf 8 % beziehungsweise von 29 auf 6 %) reduzieren kann (The Lancet, 2024; DOI: 10.1016/S0140-6736(23)02650-8, The Lancet, 2024; DOI: 10.1016/S0140-6736(23)02649-1).

Auch wenn der 6- beziehungsweise 12-monatige Einsatz dieser Therapie die Entstehung einer Gelenkerkrankung in den Hochrisikopopulationen nicht sicher darüber hinaus verhindern konnte, was ideal wäre, war die Effektivität 12 Monate nach Beenden der Therapie noch deutlich. Vorausgehende Studien mit Glukokortikoiden oder Methotrexat konnten einen solchen Effekt nicht zeigen, was die Hypothese zum Einsatz Abatacept, dass aktivierte T-Zellen in der Entstehung der RA eine entscheidende Rolle spielen, unterstützt. Abatacept ist ein für die RA zugelassenes Fusionsprotein der Fc Region von IgG 1 mit der extrazellulären Domäne von CTLA-4 und damit ein Ko-Stimulationsblocker.

Spätestens seit der Entdeckung der Antikörper gegen citrullinierte Peptide (ACPA) wissen wir, dass sich die RA kontinuierlich über Jahre entwickelt und ACPA eine Risikoerkennung erlauben, die in beiden Studien genutzt wurde. In beiden Studien wurde von einer 40 prozentigen Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer klinischen RA ausgegangen, in der Erlanger Studie lag diese dann sogar real bei 57 % (ARIAA-Studie​).

Wenn man eine solche präventive Therapie empfiehlt, dann werden 2-3 von 5 Patientinnen und Patienten unnötigerweise therapiert; darüber wird man aufklären müssen. Unter Berücksichtigung des leicht erhöhten Infektionsrisikos und, dass einige wenige auch unter der Behandlung eine klinische RA entwickelten, liegt die Number Needed to Treat (NNT) für den Einsatz von Abatacept in dieser präventiven Indikation etwa bei 10. Das ist ein großartiges Ergebnis im Vergleich zum Beispiel zu den NNTs von Statinen in der kardiovaskulären Prävention.

Das Risiko für eine Überbehandlung vergrößert sich je weiter man eine Therapie nach vorne zieht und spiegelt sich in höheren Ansprechraten wider. In diesem Risikobereich befinden wir uns auch beim sogenannten „window of opportunity“, das Zielfenster der frühen RA ist (Zeitschrift für Rheumatologie, 2020; DOI: 10.1007/s00393-020-00775-6). Nur da sind wir schon sehr zufrieden, wenn wir 60 % der Erkrankten in Remission bringen. Mit der neuen präventiven Therapie bekommen 80 % der Betroffenen die Erkrankung erst gar nicht.

Damit haben wir eine neue Herausforderung: Wie entdecken wir die Menschen mit großem Risiko für eine RA auf der Bevölkerungsebene.

Contra: Markus Gaubitz: Eine vorbeugende Behandlung könnte in der Zukunft erst empfohlen werden, wenn die bezüglich Fortschreiten hochgefährdete Gruppe besser charakerisiert ist.

Markus Gaubitz, Interdisziplinäre Diagnostik und Therapie, Universität Münster /privat
Markus Gaubitz, Interdisziplinäre Diagnostik und Therapie, Universität Münster /privat

Die beiden Studien im Lancet 2024 erweitern die Datenlage zur Frage der präventiven RA-Behandlung, sind aber für die Empfehlung einer vorbeugenden Behandlung nicht ausreichend.

Zum einen handelt es sich bei den beiden Studien, insbesondere ARIAA, nach meiner Einschätzung gar nicht um Studien in der Vorphase, sondern in einer frühen Phase der Erkrankung: Einen Patienten mit Gelenkschmerzen, ACPA-Antikörpern, im Schnitt 4 druckschmerzhaften Gelenken und Entzündungszeichen im MRT würden die meisten Rheumatologen als Patient mit früher Arthritis bezeichnen, nicht als Individuum „at risk“. Die noch gültigen Klassifkationskriterien der RA aus dem Jahr 2010 (die zumindest ein tastbar geschwollenes Gelenk verlangen) sollten überarbeitet werden (Annals of the Rheumatic Diseases, 2010; DOI: 10.1136/ard.2010.138461): Der Nachweis einer Arthritis in Ultraschall oder MRT sollte gleichwertig zum Tastbefund eingeführt werden.

Ein weiteres Argument, das gegen die generelle Empfehlung spricht, ist die drohende Überbehandlung. Die Lancet-Studien belegen, dass 63 beziehungsweise 43 % behandelt würden, die in der Beobachtungszeit noch kein Fortschreiten zur klinisch feststellbaren (palpablen) Erkrankung zeigen.

Zudem ist eine Therapie vor Ausbildung des klinischen Symptoms Gelenkschwellung mit mäßigem Vorteil für die Behandelten nicht zu rechtfertigen, wenn eine konsequente und frühe Therapie nach Auftreten der ersten Schwellung (also dem aktuellen Vorgehen nach Leitlinie) doch Remissionsraten von über 70, in einzelnen Studien bis zu 90 % erbringt (The Lancet, 2016; DOI: 10.1016/S0140-6736(16)30363-4).

Der Effekt einer frühen Behandlung sollte auch in der Möglichkeit einer Beendigung dieser Therapie bestehen (Nature Reviews Rheumatology, 2023; DOI: 10.1038/s41584-023-01035-y). Das gelang in den Studien aber nur bei einem kleineren Teil bei kurzer Beobachtungszeit. Unter diesen Voraussetzungen erscheint es zweifelhaft, dass man Personen von der Sinnhaftigkeit einer sehr frühen Behandlung überzeugen kann.

Zusammengefasst sind die hier diskutierten neuen Studien sicher von Bedeutung, aber eher Studien bei früher Arthritis. Eine vorbeugende Behandlung könnte in der Zukunft erst empfohlen werden, wenn die bezüglich Fortschreiten hochgefährdete Gruppe besser charakerisiert ist (zum Beispiel durch mehrere Antikörper oder Befunde der Bildgebung). Auch sollte die frühere Behandlung häufiger eine Remission ohne Therapie ermöglichen.

Im Jahr 2024 ist die bessere und konsequentere, die hervorragenden medikamentösen Optionen häufiger nutzende Behandlung der manifest an RA Erkrankten ein noch lange nicht erreichtes und dringlicheres Ziel.

gie

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