Unterwegs

Im Wechsel der Perspektiven

  • Freitag, 25. Februar 2011

Seit ich mich für ausländische Gesundheitssysteme interessiere und dadurch bedingt viel durch die Weltgeschichte reise, werde ich – was wenig verwunderlich ist – immer mit ein und derselben Frage konfrontiert: „Und was ist jetzt Ihrer Ansicht nach das beste Gesundheitswesen?“

Nach nunmehr 16 Ländern, in denen ich jeweils für einige Tage oder Wochen in die Feinheiten der dortigen Gesundheitssysteme eingetaucht bin, fällt die Antwort eindeutiger aus denn je: „Na, in jedem Fall das Deutsche!“

Die Fragenden schauen mich dann meist leicht irritiert an, nehmen sie doch an, ich hätte in der Ferne der Weisheit letzter Schluss gefunden – vor allem, was die Finanzierungsseite angeht. Niemand, der seit Jahren oder Jahrzehnten hauptsächlich im deutschen Gesundheitswesen arbeitet, scheint glauben zu wollen, dass dieses meiner Ansicht nach seinen guten Ruf nach wie vor verdient.

In dem Moment, in dem ich die Antwort auf die Frage gerade ausgesprochen habe, blicke ich bereits in Gesichter voller Unverständnis. „Das Deutsche?“ Bevor ich mich dann versehe, folgen üblicher Weise ein ganzer Schwall voller Einwände und Anekdoten, die mich vom Gegenteil überzeugen sollen.

Schließlich, so einige der Argumente, sei das deutsche Gesundheitswesen geprägt von einer Zwei-, ja wenn nicht sogar Mehrklassenmedizin, es werde immer teurer ohne besser zu werden, die Wartezeiten seien längst nicht mehr das, was sie einmal waren.

Ärzte hasten nur noch von einem Patienten zum nächsten, keiner nehme sich mehr wirklich Zeit – wenn überhaupt noch, dann lediglich für privat Versicherte. Die Eigenbeteiligungen stiegen ohne Unterlass, der Leistungskatalog schrumpfe unaufhörlich.  Und überhaupt könne man all die Gesundheitswesen in weniger wirtschaftlich erfolgreichen Regionen dieser Welt nicht einfach mit dem Deutschen vergleichen.

Deutschland sei schließlich DEUTSCHLAND – und nicht China, Indien oder die Tschechien.  Na, ja, und auch das US-amerikanische Gesundheitswesen lasse sich schwerlich am Deutschen messen – natürlich sei dort nicht alles Gold was glänzt, „das ist doch längst bekannt“.

Hm... Lässt sich das deutsche Gesundheitswesen dann ausschließlich dem der Schweiz oder Frankreich gegenüberstellen? Gibt es nur diese Vergleichsmöglichkeiten, um ein positives Urteil zu rechtfertigen? Abgesehen vom Verbesserungsbedarf, der in nahezu allen Gesundheitssystemen dieser Welt besteht, zählen unsere freie  Arztwahl, die vergleichsweise niedrigen Kosten für eine nahezu Rundumversorgung, eine gut organisierte und qualitativ hochwertige Aus-, Weiter- und Fortbildung nichts mehr? Ist es inzwischen falsch oder oberflächlich, sich auch einmal dieser guten Dinge zu besinnen ohne sofort die zweifelsohne vorhandenen Schattenseiten aufzuzählen?

Ich glaube nein – und werde weiterhin andere Perspektiven mit berücksichtigen. 

mis

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