Vermischtes

Anonyme Alkoholiker wollen verstärkt in die Öffentlichkeit treten

  • Freitag, 26. April 2024
Eröffnung der neuen Bundesgeschäftsstelle in Berlin/picture alliance, Marten Ronneburg
Burkard Blienert, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen (l.) und Jürgen Hoß, 1. Geschäftsführer der AA in Deutschland, bei der Eröffnung der neuen AA-Bundesgeschäftsstelle in Berlin. /picture alliance, Marten Ronneburg

Berlin – In Deutschland wird immer noch zu viel Alkohol auf riskante Weise konsumiert. Um ihre Suchthilfe bekannter zu machen, haben sich die Anonymen Alkoholiker (AA) entschlossen, verstärkt in die Öffentlichkeit zu treten. Ein erster Schritt dazu ist der Umzug der Bundesgeschäftsstelle aus der bayerischen Provinz nach Berlin.

„Die Selbsthilfe macht die gesamte Gesellschaft stark“, sagte der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht und Drogenfragen, Burkard Blienert, gestern bei der Eröffnung der Geschäftsstelle in Berlin. Die Anonymen Alkoholiker seien eine Gemeinschaft von einzelnen Menschen, die sich gegenseitig Halt und Unterstützung geben würden. Der Umzug der Geschäftsstelle sei ein wichtiger Schritt für mehr Sichtbarkeit, damit mehr Alkoholabhängige mit dem Angebot erreicht werden könnten.

Die Anonymen Alkoholiker wurde nach eigenen Angaben 1935 von einem Arzt und einem Börsenmakler, beide „schwere Alkoholiker“, im US-amerikanischen Ohio gegründet. Inzwischen gebe es weltweit rund zwei Millionen Menschen in 185 Ländern, die sich in mehr als 120.000 Gruppen in sogenannten Meetings oder Gruppen zusammenfinden.

Die Selbsthilfeorganisation kam den Angaben zufolge durch US-Soldaten nach Deutschland, die im November 1953 erstmals ein deutschsprachiges AA-Treffen in München organisierten. Bundesweit seien inzwischen etwa 1.800 Gruppen aktiv. Eine Besonderheit, auf die der 1. Geschäftsführer Jürgen Hoß hinwies, ist die aus­schließliche Finanzierung aus Spenden der Mitglieder. Von außen werde keine Unterstützung angenommen.

Zu den „offenen“ Meetings kann AA zufolge jede Person kommen, die mit dem Alkoholkonsum aufhören will, aber auch Angehörige und Interessierte; die „geschlossenen“ Meetings sind nur für Alkoholiker. „Die Anony­mität ist dabei ein grundlegendes Prinzip für die AA-Mitglieder, die sich in den Meetings nur mit Vornamen ansprechen und sich dort ausschließlich auf ihre Suchtgeschichte konzentrieren. Beruf und Status spielen keine Rolle“, betonte Hoß.

„Die Anonymen Alkoholiker sind ein zusätzliches Angebot. Ich habe in meiner früheren Tätigkeit als Psycho­therapeut Suchtkranke auf die Meetings von AA hingewiesen“, sagte der 72-jährige Bernd Dießelmann, der als Nichtalkoholiker Jahrzehnte in der Gemeinschaft der AA gearbeitet und an vielen Meetings teilgenommen hat. Das Teilen der eigenen Suchtgeschichte sei Teil des Wirkkonzepts der AA.

Auf dem Austausch unter Betroffenen in einer geschützten Gemeinschaft, die aus eigener Erfahrung wissen, wovon sie sprechen, beruht nach Angaben der AA der Erfolg ihres Konzepts. „Die Alkoholiker finden in den Gruppen eine Ersatzfamilie und werden darin so akzeptiert, wie sie aktuell sind und müssen sich nicht mehr entschuldigen für ihre Sucht. Man lernt an der Lebensgeschichte der anderen Person, spiegelt sich darin und schafft sich so die Möglichkeit zur Selbstreflexion“, erläuterte Dießelmann.

Neuankömmlinge suchten sich aus der Gruppe in der AA-Terminologie einen „Sponsor“, eine Art Coach be­ziehungsweise eine Person, die schon länger abstinent sei und die die „12 Schritte“ schon durchlaufen hätten. Dieses spirituell anmutende Programm empfiehlt „Gedanken, Schritte und Taten, die in ein zufriedenes Leben ohne Alkohol führen können“.

Wie erfolgreich die Anonymen Alkoholiker sind, bescheinigte ihnen 2020 eine Metaanalyse der Cochrane-Collaboration (2020; DOI: 10.1002/14651858.CD012880.pub2). In den Review gingen 27 Studien, darunter 21 randomisiert-kontrollierte, mit 10.565 Teilnehmern ein. Den Autoren zufolge ist es die erste umfassende Un­tersuchung dieser Art in der fast 90-jährigen Geschichte der AA.

Die Analyse ergab, dass die Meetings deutlich effektiver waren als Therapien wie zum Beispiel Motivationale Verbesserung oder Kognitive Verhaltenstherapie. Es zeigte sich, dass das AA-basierte Vorgehen mehr Men­schen dauerhaft abstinent hält als die genannten Alternativen. Gleiches gilt für die Reduktion der Menge des Alkoholkonsums.

Nach Angaben des Bundesdrogenbeauftragten trinken rund 16 Prozent der erwachsenen Männer und elf Prozent der erwachsenen Frauen riskante Mengen Alkohol. Im Jahr 2020 sind demnach in Deutschland rund 14.200 Menschen an einer ausschließlich durch Alkoholkonsum bedingten Krankheit gestorben.

PB

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