Ärzteverbände mahnen besseren Hitzeschutz der Bevölkerung an

Berlin/Köln – Angesichts der aktuellen Hitzewelle in Deutschland und anderen europäischen Ländern rufen Ärzteverbände die Politik dazu auf, die Bevölkerung besser vor den Gefahren extremer Hitze zu schützen.
„Die gesundheitlichen Gefahren von Hitze werden oft unterschätzt, sie sind aber erheblich, im schlimmsten Fall kann der Kreislauf versagen“, sagte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK). Er betonte, dass noch wesentliche Bausteine für eine Hitzeschutzinfrastruktur fehlten.
Für Hochrisikogruppen sollten Kühlwesten angeschafft werden. Wearables zur Temperaturüberwachung könnten hier ebenfalls hilfreich sein. „Sinnvoll ist auch, dass Hausärztinnen und Hausärzte gemeinsam mit ihren Praxisteams Risikopatienten identifizieren und präventiv ambulant betreuen“, so Reinhardt weiter.
„Die bisherigen Hitzeaktionspläne sind nicht ausreichend auf diese extreme Hitzeszenarien ausgerichtet“, sagte Martin Herrmann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (Klug). „Klare Zuständigkeiten im Katastrophenfall fehlen und Wege, um Schutzmaßnahmen so hochzuskalieren, dass sie alle erreichen, die sie brauchen. Ein flächendeckender, gestufter Notfallplan, der auch vulnerable Gruppen berücksichtigt, ist wirklich überfällig.“
Besonders gefährdet sind in Hitzeperioden ältere Menschen, chronisch Kranke, Obdachlose, Schwangere und Kleinkinder. Herrmann schlägt vor, Schutzkonzepte auf sie zu fokussieren. Denkbar seien Maßnahmen wie ein klimaangepasster Medikationsplan, klimatisierte Hitzeschutzräume in Wohnquartieren und frühzeitige Versorgung mit Kühlhilfen. Die Ausstattung der Risikogruppen mit solchen Hilfsmitteln müsste flächendeckend und verpflichtend eingeführt werden.
„Über Hitzewellen und ihre Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung wird viel gesprochen, aber noch zu wenig getan. Wir müssen endlich von der Planung in die Umsetzung kommen“, fordern die beiden Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes (HÄV), Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier.
„In diesen Tagen spüren wir die direkten Auswirkungen des Klimawandels tagtäglich in unseren Praxen“, so Beier. Man tue das Möglichste, um Patienten umfassend über die notwendigen Anpassungen an diese Temperaturen aufzuklären – und das gehe „weit über das Erinnern ans regelmäßige Trinken hinaus“.
„Weniger bekannt ist etwa, dass bei bestimmten Vorerkrankungen die Medikation oder ihre Lagerung dringend angepasst werden müssen – etwa bei Bluthochdruck oder einer Insulintherapie. Auch Notfallmedikamente müssen richtig gelagert werden. So ist Adrenalin beispielsweise sehr hitzeinstabil. Als erste Ansprechpartner unserer Patientinnen und Patienten tragen wir Hausärztinnen und Hausärzte hier eine besondere Verantwortung, Risiken frühzeitig zu erkennen und vorzubeugen.“
Mehr hitzebedingte Fälle in Hausarztpraxen
Hitze ist das größte klimawandelbedingte Gesundheitsrisiko. „Hitzewellen wie die derzeitige belasten die Bevölkerung massiv – besonders betroffen sind ältere und schwerkranke Menschen“, so der HÄV. In Hausarztpraxen sowie bei Haus- und Heimbesuchen würden die Folgen besonders sichtbar: Hitzebedingte Fälle, etwa durch Exsikkose, Hitzekollaps oder Sonnenstich, sind in den Sommermonaten regelmäßige Behandlungsanlässe in den Hausarztpraxen.
„Schon jetzt leisten unsere Praxen, gerade zu Beginn des Sommers, umfassende Aufklärungsarbeit zum Thema Hitzeschutz – und das bislang komplett unbezahlt. Zwar gibt es viele politische Ankündigungen zur Einführung einer klimaresilienten Beratung mit entsprechender EBM-Ziffer – bisher sind diesen Versprechungen aber keine Taten gefolgt, während die Temperaturen aktuell wieder hochgehen“, betont Buhlinger-Göpfarth. „In der Hausarztzentrierten Versorgung zeigen wir gemeinsam mit der AOK Baden-Württemberg bereits seit zwei Jahren, wie es anders geht: Dort werden Praxen, die sich speziell fortbilden und ihren Patientinnen und Patienten eine vorausschauende klimaresiliente Beratung und Versorgung ermöglichen, gezielt finanziell gefördert.“
Schlecht auf Hitzedome vorbereitet
Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) hat heute die Analyse „Hitzedom in Deutschland und wie gut wir darauf vorbereitet sind“ veröffentlicht, in denen sie vor den Gefahren eines Hitzedoms warnt: eines Wetterphänomens, das zu langanhaltenden, extrem hohen Temperaturen führt (Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie; DOI: 10.1007/s00391-025-02459-9). Im Jahr 2021 lag ein Hitzedom über dem Südwesten Kanadas, der auf demselben Breitengrad liegt wie Deutschland. Die DGG warnt vor „Zehntausenden Todesfällen“, die in extremen Hitzefällen binnen weniger Tage die Folge sein können.
Von Hitze betroffen seien insbesondere ältere Menschen. Dies verdeutliche die besondere Verantwortung der Geriatrie in dieser Krise. „Besonders betroffen sind zudem Menschen mit chronischen Krankheiten – körperlich und psychisch – sowie Säuglinge, Kleinkinder und Schwangere“, betont die DGG. „Auch Menschen, die im Freien arbeiten – wie beim Bau oder in der Landwirtschaft – oder Obdachlose können besonders betroffen sein.“ Das Problem ist der DGG zufolge, dass extreme Hitzeereignisse in Deutschland rechtlich nicht als Katastrophen eingestuft würden – was verbindliche Maßnahmen erschwere.
Kaum Hitzeaktionspläne in den Kommunen
„Viele Vorkehrungen sind nur freiwillig und nicht verpflichtend“, kritisiert die DGG. „Es fehlen klare Zuständigkeiten und konkrete Pläne, zum Beispiel für Evakuierungen, Beschäftigungsverbote im Freien oder Urlaubssperren im Gesundheitswesen. Zudem ist die Kommunikation mit der Bevölkerung oft nicht ausreichend geplant oder koordiniert.“
Vorbereitungen auf einen Hitzedom müssten mit einem Vorlauf von mehreren Monaten erfolgen, fordert die DGG. Hitzeaktionspläne müssten weiterentwickelt werden, extreme Krisenszenarien müssten explizit aufgeführt werden und in Ballungszentren wie Rhein-Main, dem Ruhrgebiet oder Berlin müssten zentrale Notaufnahmen auf die Versorgung von vielen Patientinnen und Patienten mit Hitzeschlag vorbereitet sein. „In alle Schritte für die medizinische Versorgung müssen Altersmedizinerinnen und -mediziner eingebunden sein“, erklärt DGG-Präsident Martin Gosch. Er fordert die Politik zu einer präventiven Hitzevorbereitung auf statt zu reaktiver Krisenreaktion.
Wie schlecht Deutschland auf extreme Hitze vorbereitet sei, zeige sich darin, dass nur 25 von über 10.000 Kommunen über einen Hitzeaktionsplan verfügten, die zudem kaum oder keine Maßnahmen für extreme Hitzeereignisse wie einen Hitzedom enthalten, kritisiert Clemens Becker vom Geriatrischen Zentrum des Universitätsklinikums Heidelberg, federführender Autor der Analyse. „Die meisten Regionen in Deutschland sind auf Extremhitze nicht vorbereitet. Wären sie es, könnten sie in Zukunft Zehntausende Todesfälle verhindern.“
Grüne fordern mehr Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen
Die Grünen im Bundestag haben von der Bundesregierung ein umfassendes Maßnahmenpaket zum Hitzeschutz gefordert. Sie verlangten in einem Fraktionsbeschluss mehr Unterstützung bei der hitzegerechten Umgestaltung von Kommunen, Krankenhäusern und Pflegeheimen. Auch Arbeitgeber werden zu mehr Hitzeschutz aufgerufen und sollen bei Nichteinhaltung verpflichtet werden, ihren Beschäftigten hitzefrei zu gewähren.
Die Grünen fordern die Bundesregierung auf, den nationalen Hitzeschutzplan „insbesondere mit Blick auf klare Zuständigkeiten und eine auskömmliche Finanzierung“ weiterzuentwickeln. Gemeinsam mit den Ländern müsse der Bund auch das Förderprogramm „Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen“ ausweiten, um die hitzegerechte Ausstattung von Pflegeeinrichtungen zu ermöglichen, heißt es in dem Beschluss. „Außerdem muss der Bund 200 Euro pro pflegebedürftiger Person für den Einbau von Klima- und Hitzeschutzmaßnahmen bereitstellen.“
Am Arbeitsplatz müsse der Hitzeschutz stärker gesetzlich verankert werden, hieß es weiter. Arbeitgeber sollten verpflichtet werden, ab 26 Grad Maßnahmen zum Gesundheitsschutz zu ergreifen. „Dies könnten beispielsweise angepasste Arbeitszeiten sein, längere und bezahlte Pausen, Verschattung und Sonnenschutz, Ventilatoren oder die kostenlose Bereitstellung von Getränken“, erklären die Grünen. Kämen Arbeitgeber dieser Verpflichtung zum Hitzeschutz nicht in angemessener Weise nach, „müssen die Arbeitnehmenden ein Recht auf hitzefrei haben“.
Krankenhäuser brauchen Geld für Hitzeschutz
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat mehr Geld zur Anpassung der Krankenhäuser an Hitzewellen gefordert. „Starke Hitze ist eine Herausforderung für Kliniken und Mitarbeitende“, sagte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß, der Rheinischen Post. Aufgrund fehlender Investitionsmittel verfügten nur wenige Krankenhäuser über klimatisierte Krankenzimmer, Büros und Aufenthaltsräume. „Langfristig brauchen wir ein Klimaschutz- und Anpassungsprogramm, um alte Gebäude umzubauen und zu sanieren“, sagte Gaß.
Nur so könnten Kliniken den Schutz von Patientinnen und Patienten sowie Personal vor den Folgen des Klimawandels sicherstellen. Aktuell setzten Kliniken auf Maßnahmen wie Fassadenverschattung und Kühlakkus.
Krankenhausbehandlungen durch Hitzschläge
Das Statistische Bundesamt (Destatis) legte heute Zahlen über die Behandlung von Hitzschlägen im deutschen Gesundheitswesen vor. Demnach führten Hitzschläge, Sonnenstiche und andere durch Hitze oder Sonnenlicht verursachte gesundheitliche Schäden im Durchschnitt der Jahre 2003 bis 2023 zu gut 1.400 Krankenhausbehandlungen pro Jahr. Darin sind zum Beispiel durch Hitze ausgelöste Schlaganfälle oder Herzinfarkte nicht enthalten.
In den vergangenen Jahren ging die Zahl der Krankenhausbehandlungen wegen Hitze und Sonnenlicht tendenziell zurück, erklärten die Statistiker. „Dies liegt zum Teil an der COVID-19-Pandemie, während der alle Krankenhausbehandlungen zurückgegangen sind“, hieß es. Zudem könne auch eine höhere Sensibilisierung der Bevölkerung für die gesundheitlichen Gefahren von Hitze ein Grund für den Rückgang sein.
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