Barmer: Zu viele Schwangere erhalten kindsschädigende Arzneimittel

Berlin – Die Barmer hat an Gynäkologen appelliert, Frauen, die schwanger werden wollen, aktiv auf die Risiken von potenziell kindsschädigenden Arzneimitteln aufmerksam zu machen und sich einen Überblick über den bestehenden Medikationsplan zu verschaffen.
„Im Jahr 2018 haben 66.500 Versicherte der Barmer entbunden“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Krankenkasse, Christoph Straub, heute in Berlin bei der Vorstellung des Barmer Arzneimittelreports 2021. „663 von ihnen bekamen im ersten Drittel der Schwangerschaft teratogene Arzneimittel verordnet. Das ist viel zu viel.“
Spätestens mit dem Beginn der Schwangerschaft dürfe kein teratogenes Arzneimittel mehr zum Einsatz kommen, forderte Straub. Besonders gefährlich seien diese Arzneimittel im ersten Drittel der Schwangerschaft, da sich in dieser Zeit die Organe bildeten.
Rechtsanspruch auf Medikationsplan
„Während der Schwangerschaft werden Frauen intensiver durch ihre Gynäkologin oder ihren Gynäkologen betreut“, sagte der Barmer-Vorsitzende. Ein Medikationsplan, der Arzneimittel aufliste, die den Frauen von anderen Fachärzten verordnet worden seien, liege den Frauenärzten dabei aber nicht vor.
Die Barmer fordere deshalb für Frauen im gebärfähigen Alter mit Dauermedikation einen Rechtsanspruch auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan schon ab der Einnahme eines Arzneimittels. Bislang gilt der Rechtsanspruch erst ab drei oder mehr Medikamenten.
Es sei in allen Fällen nicht vertretbar, in der Schwangerschaft teratogene Arzneimittel weiter zu verordnen, wenn gleichwertige Alternativen vorlägen, so Straub. Als Beispiel wird im Arzneimittelreport die Epilepsietherapie genannt. „Einige Therapeutika zur Behandlung der Epilepsie sind mit erheblichen Risiken bei Anwendung in der Schwangerschaft verbunden“, heißt es darin.
Antiepileptika mit teratogenem Risiko
Während Lamotrigin und Levetiracetam als die sichersten Antiepileptika in der Schwangerschaft gelten würden, sei „Valproat teratogen und mit neurologischen Entwicklungsstörungen in 30 bis 40 Prozent der exponierten Kinder assoziiert sowie mit grobstrukturellen Missbildungen in bis zu zehn Prozent der exponierten Kinder“.
„Untersuchungen auf Basis des EURAP-Registers (European Registry of Antiepileptic Drugs and Pregnancy) haben gezeigt, dass Valproat das Antiepileptikum mit der höchsten Missbildungsrate war (10,3 Prozent der exponierten Schwangerschaften). Weitere Antiepileptika mit erhöhtem Risiko waren Phenobarbital, Phenytoin und Carbamazepin“, heißt es weiter.
Es sei auch gezeigt worden, dass die Verordnungsrate der problematischen Antiepileptika in den 14 Jahren von 2000 bis 2013 zurückgegangen und parallel dazu die Rate grobstruktureller Fehlbildungen um 27 Prozent gesunken sei.
Absetzquoten zwischen 31 und 60 Prozent
„Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte passen die Arzneimitteltherapie an die Schwangerschaft zwar sehr wohl an“, sagte der Autor des Arzneimittelreports, Daniel Grandt, Chefarzt der Inneren Medizin I am Klinikum Saarbrücken.
„Das belegen die zurückgehenden Verordnungszahlen von Teratogenen. Allerdings liegen die Absetzquoten bei den besonders kritischen Präparaten lediglich zwischen 31 und 60 Prozent. Das ist viel zu wenig.“ Gerade der Einsatz stark fruchtschädigender Arzneimittel sei in keinem Fall vertretbar, wenn es gleichwertige und sicherere Alternativen gebe.
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