Coronapandemie hat Cybermobbing unter Jugendlichen verschärft

Berlin – Mehr als 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind von Cybermobbing betroffen. Das sind 16,7 Prozent der Schüler und damit fast jede oder jeder fünfte. Bei den 14- bis 16-Jährigen sind sogar 25 Prozent betroffen. Das geht aus einer Studie der Techniker Krankenkasse (TK) und des Bündnisses gegen Cybermobbing hervor, die heute in Berlin vorgestellt wurde.
„Cyberlife IV“ ist die 4. Studie zu diesem Thema durchgeführt im Zwei-Jahres-Abstand. Cybermobbing beschreibt die Beleidigung, Bedrohung, Bloßstellung oder Belästigung von Personen mithilfe von Kommunikationsmedien wie Smartphones, E-Mails, Websites, Foren, Chats und Communitys.
„Die Coronapandemie hat das Problem noch weiter verschärft“, sagte der Vorstandsvorsitzende der TK, Jens Baas. Frust, Langeweile und das Leben vermehrt im digitalen Raum während der Pandemie führte Baas als Gründe dafür an.
Gesundheitliche Folgen von Cybermobbing sind dem TK-Chef zufolge somatische Beschwerden wie Kopf- oder Magenschmerzen sowie psychischen Auswirkungen, wie Angst- und Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit depressive Symptome bis hin zu Suizidgedanken. „Wir müssen Cybermobbing ernst nehmen“, betonte er.
Der Anteil der Schülerinnen und Schüler zwischen acht und 21 Jahren, die nach eigenen Angaben schon einmal von Cybermobbing betroffen waren, sank im Vergleich zur Vorgängerstudie von 2020 zwar leicht. Vor zwei Jahren hatte er bei 17,3 Prozent gelegen. „Die Zahl liegt aber weiterhin auf einem hohen Niveau“, sagte Uwe Leest, Vorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing.
Rund sieben von zehn befragten Jugendlichen (65 Prozent) gaben der Studie zufolge an, dass Cybermobbing seit der Pandemie zugenommen hat. Auch 46 Prozent der befragten Eltern, Lehrer stimmten diesem Trend zu.
Am häufigsten werden Cybermobbingopfer demnach beschimpft und beleidigt (78 Prozent). 59 Prozent wurden Opfer von Lügen und Gerüchten, ebenfalls 59 Prozent von Ausgrenzung. 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler wurden online erpresst oder bedroht. Von 34 Prozent der Betroffenen wurden private Fotos unerlaubt woanders veröffentlicht.
19,8 Prozent oder jeder 5. der Täter waren bereits selbst Opfer von Cybermobbing. Am häufigsten mobben sie, „weil die Person es verdient" habe (57 Prozent). 46 Prozent nennen persönliche Konflikte als Grund. Etwa jede dritte Täter führt Motive der „Selbstjustiz“ an, etwa weil die Person sie selbst oder andere gemobbt habe. 33 Prozent mobben andere im Netz „nur zum Spaß“.
Die betroffenen Kinder und Jugendlichen fühlen sich der Studie zufolge von Cybermobbing vor allem verletzt (58 Prozent), 40 Prozent reagierten mit Wut und ein gutes Drittel (34 Prozent) gab an, verängstigt zu sein.
„Besonders alarmierend ist es, dass jeder sechste Heranwachsende (15 Prozent) aus Verzweiflung schon mal zu Alkohol, Tabletten oder Drogen gegriffen hat und fast jeder vierte Betroffene Suizidgedanken (24 Prozent) geäußert hat“, betonte der Vorsitzende des Bündnisses gegen Cybermobbing.
Die befragten Lehrer, die bereits mit Cybermobbing in Kontakt gekommen sind (48 Prozent), gaben an, dass die betroffenen Schüler mit bedrückter Stimmung, Leistungsabfall und Fernbleiben vom Unterricht reagieren.
Besonders betroffen sind der Studie zufolge Schüler an Hauptschulen und Werkrealschulen, gefolgt von Berufsschulen und Gesamtschulen. Am wenigsten Cybermobbing scheint es an Gymnasien zu geben.
Nach Ansicht des Bündnisses gegen Cybermobbing müssen Präventionsmaßnahmen an Schulen weiter verstärkt werden. Im Vergleich zur Vorgängerstudie 2020 seien die schulischen Angebote in diesem Bereich aber stark zurückgegangen. Den größten Rückgang habe es mit jeweils 40 Prozent bei Schulungen gegeben, die gezielt Strategien zum Umgang mit Cybermobbing vermitteln, sowie bei Anti-Gewalt-Trainings.
Eingeführt werden sollte dem Bündnis zufolge ein Schulfach Medienerziehung. Die Lehrerfortbildung sollte verbessert werden, denn Lehrer fühlen sich bezüglich Cybermobbing weiterhin schlecht ausgebildet. Institutionelle Beratungs- und Aufklärungsteams für Schulen sowie Infoveranstaltungen dort seien notwendig, um dem Problem entgegenzuwirken. „Schulen, die aktiv gegen Cybermobbing vorgehen, haben weniger Betroffene“, sagte der Vorsitzende Leest.
Ein Angebot für akut von Cybermobbing betroffene Kinder und Jugendliche ist „Krisenchat“, eine psychosoziale Onlineberatung, die über SMS und Whatsapp erreichbar ist. „Hilfe mit der psychischen Belastung steht bei uns 24/7 im Mittelpunkt“, berichtete Hendrikje Schmidt, Leiterin von Krisenchat. „Der Bedarf ist total groß.“
„Die Heranwachsenden berichten von Einsamkeit, depressiven Symptomen und Suizidgedanken“, sagte die Psychologin. „Sie nehmen die Belastung mit ihrem Handy überall mit hin und glauben, sie nicht stoppen zu können.“ Die Berater von Krisenchat helfen akut in der Not und vermitteln weiter in die Versorgungslandschaft. Darüber hinaus klären sie die Betroffenen über ihre Rechte auf.
Für die Studie Cyberlife IV hat das Bündnis gegen Cybermobbing in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse von Mai bis Juli diesen Jahres 355 Lehrerinnen und Lehrer, 1.053 Eltern und 3.011 Schülerinnen und Schüler bundesweit online zum Thema Mobbing und Cybermobbing befragt.
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