Ernährungskompetenz der Deutschen ist problematisch

Berlin – Mehr als jeder zweite Deutsche kennt sich kaum oder gar nicht mit ausgewogener Ernährung aus. Das zeigt eine repräsentative Studie zur Ernährungskompetenz, die der AOK-Bundesverband heute in Berlin vorstellte.
Damit verfügten etwa 1,3 Millionen Bundesbürger nicht über das Wissen und die Fähigkeiten, Essen so zu planen, auszuwählen und vorzubereiten, dass ernährungsrelevante Bedürfnisse sowie der Bedarf an Nährstoffen gedeckt werden. Dazu zählten besonders häufig junge Erwachsene und Menschen mit geringem Einkommen.
Für ihre Untersuchung stimmte die AOK einen Katalog von 29 Fragen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie mit dem Bundeszentrum für Ernährung und dem für gesunde Ernährung zuständigen Max-Rubner-Institut ab. Vorlage war eine niederländische Studie zum gleichen Thema.
Die Fragen legten die Autoren knapp 2.000 zuvor repräsentativ ausgewählten Probanden im Alter von 18 bis 69 vor. Diese sollten ergänzend sechs Fragen zu den Nährwert-Angaben auf einer Eiscremepackung beantworten, um zu prüfen, ob sie diese verstanden hatten. Aus den Ergebnissen berechneten die Autoren einen Wert, der Aufschluss über die Ernährungskompetenz geben sollte. Diese konnte „inadäquat“, „problematisch“, „ausreichend“ oder „exzellent“ sein.
Besonders die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen gibt demnach Anlass zur Sorge. „Nur jeder dritte junge Erwachsene weiß, wie gesunde Ernährung funktioniert. Das ist alarmierend“, erklärte der Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes Martin Litsch.
Ergebnisse bereiten Sorgen
Dieses Unwissen könne vor allem für Kinder junger Eltern zum Problem werden, befürchtet Berthold Koletzko, Vorsitzender der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, der die Studienergebnisse gemeinsam mit Litsch kommentierte.
Immer weniger junge Eltern könnten selbstständig aus Grundnahrungsmitteln Mahlzeiten kochen und würden stattdessen zu Fertigprodukten greifen, die „regelmäßig zu viel Zucker, gesättigtes Fett und Salz enthalten“.
Frauen schneiden laut Studie in puncto Ernährungskompetenz merklich besser ab als Männer. 53 Prozent der weiblichen Befragten hatte demnach ausreichende Kenntnisse, 46 problematische und nur ein Prozent inadäquate.
Bei den Männern verfügten den Ergebnissen zufolge nur 38 Prozent über eine ausreichende Ernährungskompetenz, mit 58 Prozent deutlich mehr als die Hälfte über eine problematische und drei Prozent über eine inadäquate Ernährungskompetenz. Mit einem Prozent war allerdings nur bei den Männern auch der vierte mögliche Wert vertreten: Exzellente Kenntnisse.
Migrationshintergrund förderlich
Ein Migrationshintergrund beeinflusste das Level der Ernährungskompetenz leicht zum Positiven. Ursache könnte die gesundheitsförderliche mediterrane Ernährung sein, vermutet Kai Kolpatznik, Leiter der Abteilung Prävention des AOK-Bundesverbandes, der die Studie vorstellte. „Dabei werden gemeinsam viele frische Produkte gekocht.“ Bei Familien mit Migrationshintergrund sei das in Deutschland üblicher als bei solchen ohne.
Deutlich bemerkbar machen sich nach Angaben der Autoren hingegen Bildung und Einkommen. Je höher der Bildungsabschluss und das Gehalt umso höher sei auch die Ernährungskompetenz. In diesem Punkt spiegele sich auch die rasch zunehmende soziale Ungleichheit bei Krankheitsrisiken, erklärte Koletzko.
„Mittlerweile übersteigt beispielsweise das Adipositasrisiko von Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien das von Kindern aus Familien mit hohem sozioökonomischen Status um mehr als das Vierfache“, so der Mediziner.
Das speziell für Familien entwickelte Informationsangebot der Bundesregierung zu gesunder Ernährung erreiche die Risikogruppen offenbar nicht und müsse durch andere präventive Maßnahmen ergänzt werden. So sollten etwa keine zuckerhaltigen Getränke mehr in Schulen verkauft werden und eine ausgewogene Schulspeisung für alle Schüler angeboten werden.
Zudem fordern Krankenkassen, Mediziner und Gesundheitsverbände bereits seit Jahren eine drastische Einschränkung von Werbung für stark zuckerhaltige Lebensmittel, die sich gezielt an Kinder richtet sowie eine Reduktion gesundheitsschädlicher Bestandteile in Lebensmitteln. Nach wie vor enthalten beispielsweise rund 80 Prozent der Fertiglebensmittel in den Supermärkten zugesetzten Zucker.
Zwar verabschiedete das Bundeskabinett bereits im Dezember 2018 eine nationale Reduktionsstrategie, im Rahmen derer die Gehalte an Zucker, Salz und Fett in Zusammenarbeit mit der Lebensmittelbranche schrittweise reduziert werden sollten.
„Doch die ersten Monitoringergebnisse vom April 2020 waren ernüchternd und in keiner Weise zufriedenstellend“, so Litsch. Es gebe keine verbindlichen Ziele. Wie auch beim lange umstrittenen Nutri Score, der Nährwertangaben vereinfacht darstellt und Verbrauchern das Vergleichen von Lebensmitteln erleichtern soll, setze das Bundesernährungsministerium weiterhin auf Freiwilligkeit, kritisierte Litsch.
Selbst aus der Wirtschaft gebe es mittlerweile Forderungen nach einer verpflichtenden Einführung dieser Kennzeichnung auf europäischer Ebene. „Wir hoffen, dass sich die deutsche Regierung im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft hierfür einsetzen wird“, so Litsch.
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