Vermischtes

Erste Atomtests: Opfer fühlen sich übersehen

  • Mittwoch, 6. März 2024
Aktivisten versammelten sich, um auf die Einwohner von New Mexico aufmerksam zu machen, die während des Trinity-Atomtests im Jahr 1945 ausgesetzt waren. /picture alliance, Andrew Facini
Aktivisten versammelten sich, um auf die Einwohner von New Mexico aufmerksam zu machen, die während des Trinity-Atomtests im Jahr 1945 ausgesetzt waren. /picture alliance, Andrew Facini

White Sands – Wenn im Film „Oppenheimer“ die erste Atombombe der Welt explodiert, ist es für den US-Phy­siker Robert Oppenheimer und sein Team ein Moment des Triumphes. Für Wesley Burris, der die Explosion am 16. Juli 1945 in der Realität miterlebte, und viele andere Anwohner des Testgebietes war es hingegen ein un­er­klärliches Erlebnis mit schrecklichen Folgen.

Viele aus der Umgebung erkrankten in den folgenden Jahrzehnten an Krebs. Für sie gibt es bis heute keinerlei Entschädigungszahlungen und auch in Christopher Nolans Oscar-Favorit wird ihr Schicksal tot geschwiegen.

Burris war damals ein Kind, als sich 40 Kilometer von seinem Elternhaus entfernt in einer Wüste im US-Bun­desstaat New Mexico um 5.30 Uhr die Atomexplosion ereignete. Die enorme Wucht ließ die Fensterscheiben zerbersten, Glasscherben flogen dem vierjährigen Wesley Burris und seinem Bruder um die Ohren. „Es war so hell, dass ich nichts sehen konnte“, erzählt Burris. „Ich erinnere mich, dass ich fragte: 'Dad, ist die Sonne explodiert?'“

Burris ist mittlerweile 83 und lebt noch immer nur ein paar Kilometer von dem damaligen geheimen Testge­lände entfernt, in dem Oppenheimer und seine Mitarbeiter am Ende des Zweiten Weltkriegs unter enormen Zeitdruck an der ersten Atombombe bauten.

Während in Nolans Film das Trinity-Testgelände als menschenleere Wüste dargestellt wird, lebten in Wirk­lich­keit damals nicht nur Oppenheimers Mitarbeiterstab, sondern tausende andere Menschen in einem Umkreis von nur 80 Kilometern. Und von ihnen wusste damals niemand, warum diese pilzförmige Riesenwolke am Horizont aufstieg.

„Wir hatten keine Angst davor. Weil es uns nicht direkt getötet hat“, erinnert sich Burris. Mittlerweile sind die Folgen des radioaktiven Materials, das damals 15.000 Meter hoch in die Luft geschleudert und durch an­schließende Regenfälle breitflächig verteilt wurde, nur allzu bekannt.

Burris' Bruder ist an Krebs gestorben. Auch seine Schwester und deren Tochter sind an Krebs erkrankt. Burris selbst hat Hautkrebs. Trotz des offensichtlichen Zusammenhangs haben die Opfer des Atomtests nie Ent­schädigungszahlungen bekommen.

„Wir waren Versuchstiere“, sagte Tina Cordova, die ihre Krebserkrankung überlebt hat und mit ihrer Organisa­tion Tularosa Basin Downwinders Consortium um Gerechtigkeit für die Strahlungsopfer kämpft. „Aber Ver­suchstiere werden hinterher wenigstens untersucht. Um uns hat sich keiner mehr gekümmert.“

Betroffen von den Folgen sind laut Cordova vor allem Latinos und Indigene. Cordova sieht es positiv, dass der Film „Oppenheimer“ die Aktivitäten auf dem Trinity-Testgelände Millionen Menschen in aller Welt vor Augen geführt hat. „Aber er ging nicht weit genug“, sagt sie. Nun setzt sie ihre Hoffnung auf die Oscar-Verleihung in der Nacht zum Montag, bei der „Oppenheimer“ mit 13 Nominierungen als klarer Favorit antritt.

„Wäre es nicht bemerkenswert, wenn während der Academy Awards irgendjemand von denen sagen würde: ,Ich möchte die Opfer und Leiden der Menschen in New Mexico anerkennen'“, sagt die Aktivistin. Dies könnte aus Cordovas Sicht auch den Druck auf den US-Kongress erhöhen, den Betroffenen in New Mexico Entschädi­gungen zu gewähren.

Derzeit werden nur Betroffenen späterer Atomtests in den Bundesstaaten Nevada, Utah und Arizona Unter­stützungsleistungen zugesprochen. Das entsprechende Gesetz, das bereits im Juni ausläuft, berücksichtigt aber nicht die Opfer des allerersten Atomtests. Der US-Senat hatte zwar vergangenes Jahr für eine Auswei­tung der Regelung auf New Mexico gestimmt, das Repräsentantenhaus kippte dies im Dezember aber aus Angst vor den Kosten.

Aus Burris' Sicht besteht der Kassenschlager „Oppenheimer“ aus „einem Haufen Lügen“, über die vielen Toten infolge des Atomtests verliere das dreistündige Filmepos kein Wort. Burris hat resigniert. Ihm und seinen Nachbarn hat der Staat keine Möglichkeiten geboten, sich zu schützen.

Burris erinnert sich, dass ein paar Jahre nach dem Atomtest Männer in Schutzanzügen und -masken auf­tauchten und Bodenproben nahmen. „Sie sagten: 'Ihr müsst hier weg. Das wird Euch umbringen'“, erzählt Burris. Sein Bruder habe damals geantwortet: „Wo soll ich hingehen? Wir leben direkt da in dem Haus.“

afp

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