Experten sprechen sich für Kinderschutz auch im digitalen Raum aus

Berlin – Kinder und Jugendliche besser vor den Gefahren des Internets zu schützen, forderte die Unabhängige Beauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (UBSKM), Kerstin Claus, gestern in Berlin bei der Auftaktveranstaltung zum neuen Kompetenzzentrum „Public Child Mental Health“, bei der die psychische Gesundheit von Heranwachsenden in einer digitalen Welt beleuchtet wurde.
„Nirgendwo werden die Konflikte, Krisen und Kriege dieser Welt so toxisch verbreitet wie im Netz. Kinder und Jugendliche machen dort Erfahrungen, die sie überfordern und traumatisieren“, sagte Claus.
Darüber hinaus nehmen der UBSKM zufolge Mobbing, Cybergrooming (gezielte Manipulation Minderjähriger mit dem Ziel sexuelle Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung zu begehen) und Sextortion (Form der Erpressung, bei der Täter dem Opfer mit der Veröffentlichung von Nacktfotos oder -videos drohen) aktuell exponentiell zu, und könnten bis zum Suizid führen.
Einer Originalarbeit von Dreßing et al zufolge, die vor kurzem im Deutschen Ärzteblatt erschienen ist, sind mehr als 30 Prozent der 18- bis 29-jährigen in Deutschland von sexualisierter Gewalt im Internet betroffen. Je jünger die Befragten, desto eher. Mehr als die Hälfte derjenigen, die sexualisierte Gewalt in der analogen Welt erlebten, haben danach auch Gewalt im Internet erfahren.
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – Deutsches Ärzteblatt
„Heranwachsende müssen auch in digitalen Räumen geschützt werden, sonst kann kein gesundes Aufwachsen gelingen“, betonte die UBSKM. Kinder seien im Netz viel zu sehr auf sich allein gestellt. Die Politik müsse deshalb Regeln zum Kinderschutz auch im Internet vorgeben.
Krise der psychischen Gesundheit junger Menschen
Die „Youth Mental Health Crisis“ – also die Krise der psychischen Gesundheit junger Menschen – habe schon lange vor der Coronapandemie begonnen und setze sich fort, sagte Jörg M. Fegert, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm. Am stärksten seien diejenigen Kinder und Jugendlichen beeinträchtigt worden, die schon vorher Belastungen aufwiesen.
Das Universitätsklinikum Ulm ist einer der beiden Standorte für das Kompetenzzentrum „Public Child Mental Health“ (Öffentliche Kinder- und Jugendpsychiatrie), zusammen mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim. An dem Kompetenzzentrum soll „ein interdisziplinärer Raum geschaffen werden, in dem wissenschaftliche Erkenntnisse, Praxisexpertise und gesellschaftspolitische Impulse zusammengeführt werden“.
Im Hinblick auf den Einfluss von Internet und Social Media auf die psychische Gesundheit von Heranwachsenden gibt es laut Fegert weiterhin wissenschaftliche Diskussion. Meta-Analysen und Reviews zeigten inkonsistente Ergebnisse, kleine Effektstärken oder keine Effekte.
Nichtsdestotrotz sieht der Kinder- und Jugendpsychiater Hinweise auf negative Zusammenhänge beziehungsweise Auswirkungen auf die psychische Gesundheit in Bezug auf Stimmung, Schlaf, Substanzgebrauch, Schulleistungen, Einsamkeit, risikobehaftete Verhaltensweisen und suizidales Verhalten. Ebenso gebe es aber auch Hinweise auf positive Zusammenhänge wie Zugehörigkeitsgefühl, soziale Kontakte und ein besserer Selbstwert durch soziale Medien.
Fegert begrüßt, dass eine gesellschaftliche und politische Debatte über Handyverbote in Schulen, Zugangsverbote für jüngere Altersgruppen zu Social-Media-Kanälen bereits stattfindet. Doch man müsse „weg von universeller Primarprävention und viel stärker auf Risikogruppen zugehen“, forderte er.
Notwendig sei eine selektive und indizierte Prävention bei vorbelasteten Kindern und Jugendlichen und bei beginnender Internet Gaming Disorder (Internetspielsucht). Auch eine Debatte über Kinderschutz im Internet, wie die UBSKM sie fordert, sei unbedingt erforderlich.
Der Experte glaubt, dass der etablierte Gesundheitsbereich den Kontakt zu den Jugendlichen verliere, weil es kaum Schnittstellen gebe. „Das Vertrauen zu Angehörigen der Heilberufe ist in der Generation Z (zwischen 1995 und 2010 geboren) gesunken“, sagte er. Das impliziere, dass sie Unterstützung eher im Internet und bei Peers suchten. Hier müsse gegengesteuert werden.
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