Frauengesundheit: Was Deutschland von anderen Ländern lernen kann

Berlin – Ein Blick in andere Länder wie Österreich, Frankreich, Australien und die Schweiz macht deutlich, dass in Deutschland noch viel Aufholbedarf beim Thema Frauengesundheit besteht. Dies wurde gestern im Rahmen eines Gesprächsforums in Berlin deutlich.
Auch wenn das Thema in den vergangenen Jahren zunehmend ins Bewusstsein von Gesellschaft und Politik gerückt ist – und auch Berücksichtigung im aktuellen Koalitionsvertrag findet –, gibt es Expertinnen zufolge bereits bestehende Systeme im Ausland, an denen sich Deutschland – aber auch andere europäische Länder – ein Vorbild nehmen könnte.
So hat Österreich beispielsweise 2018 einen Aktionsplan Frauengesundheit etabliert, der sich an drei verschiedenen Lebensphasen von Frauen orientiert und einen Fokus auf sozioökonomische Gesundheitsdeterminanten legt. Initiiert wurde er bereits 2015 durch das österreichische Frauenministerium.
„Ein Mädchen in der Pubertät hat ganz andere gesundheitsrelevante Themen als eine Frau mit Kinderwunsch oder eine ältere Frau“, sagte Sylvia Gaiswinkler, Gesundheitsexpertin bei der Gesundheit Österreich GmbH, dem nationalen Forschungs- und Planungsinstitut für das österreichische Gesundheitswesen und der zentralen Stelle für die Gesundheitsförderung.
Im Aktionsplan würden neben Themen, die Mädchen und junge Frauen, Frauen im erwerbsfähigen Alter und ältere Frauen beschäftigten, auch altersübergreifende Themen berücksichtigt.
Der Aktionsplan umfasst demnach 17 Wirkungsziele und 40 Maßnahmen. Die altersübergreifenden Themen widmen sich der Förderung einer gendergerechten Gesundheitsversorgung und Gesundheitsforschung, der informierten Entscheidung von Frauen in Gesundheitsfragen und der Gewaltprävention.
Weitere Themen sind die Sensibilisierung von Institutionen für frauenspezifische Aspekte bei Behinderung, die gesundheitliche Chancengerechtigkeit für sozioökonomisch benachteiligte Frauen mit Migrationshintergrund und die Verringerung von Armutsrisiken für Frauen in allen Lebensphasen.
Speziell bei Mädchen und jungen Frauen sollen ein positives Selbstbild für ein gesundes Leben und ein reflektierter Umgang mit gesellschaftlichen Rollenbildern gefördert und die sexuelle Gesundheit geschützt werden.
Für Frauen im Erwerbsalter sieht der Aktionsplan vor, durch eine gerechte Aufteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit die gesundheitliche Chancengerechtigkeit für Frauen zu fördern, ihre psychische Gesundheit zu stärken und mehr gesunde Lebensjahre durch eine evidenzbasierte Prävention und Versorgung der häufigsten frauenspezifischen chronischen Krankheiten zu erreichen. Außerdem soll die reproduktive Gesundheit gefördert werden.
Für ältere Frauen soll dem Aktionsplan zufolge eine gendergerechte, individualisierte medizinische, psychosoziale und pflegerische Versorgung sichergestellt werden. Außerdem sind Rahmenbedingungen vorgesehen, die es den derzeit hauptsächlich weiblichen Pflege- und Betreuungspersonen ermöglichen sollen, die eigene Gesundheit, Selbstbestimmung und Würde zu erhalten.
Armutsgefährdete ältere Frauen sollen die Möglichkeit bekommen, ihre Selbsthilfefähigkeiten zu erhalten und autonom und selbstbestimmt zu leben. Der Aktionsplan fordert außerdem, ein wertschätzendes Bild für die vielfältigen Lebensrealitäten älterer Frauen zu entwickeln und ihre Teilhabechancen in der Gesellschaft zu sichern.
Vernetzung ermöglicht Erfahrungsaustausch
Um Frauen mit diesen Zielen zu erreichen, gebe es in allen neun österreichischen Bundesländern sogenannte „Focal Points“, erklärte Gaiswinkler. Dies seien entweder Abteilungen im Amt der Landesregierung oder Frauengesundheitszentren. Sie sorgten dafür, dass die Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren vorangetrieben und die festgesetzten Ziele im Aktionsplan in der jeweiligen Region umgesetzt würden.
In regelmäßigen Abständen gebe es „Focal Point Meetings“, die dem Informations- und Erfahrungsaustausch dienten. Jährlich gebe es zudem den sogenannten „Frauen-Gesundheits-Dialog“, eine österreichweite Vernetzungsveranstaltung, bei der unterschiedliche Themen aufgegriffen und vorangetrieben würden. In diesem Jahr werde es etwa um digitale Lebenswelten und ihre Auswirkungen auf Frauen gehen, berichtete Gaiswinkler.
Regelmäßige Frauengesundheitsberichte dienten in Österreich zudem als Themenbeschleuniger. Nachdem beispielsweise aufgefallen sei, dass keine Daten zu Menstruationsbeschwerden im Land vorgelegen hätten, sei eine offizielle Erhebung zur Menstruationsgesundheit beauftragt worden, so Gaiswinkler. Man könne dadurch Informationen über die Verbreitung von Erkrankungen wie etwa Endometriose bekommen und auch ein öffentliches Bewusstsein für diese Themen schaffen.
„Ich gucke mit Neid auf Österreich“, sagte dazu Marion Kiechle, Direktorin der Frauenklinik des Universitätsklinikums Rechts der Isar und Inhaberin des Lehrstuhls für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Technischen Universität München. Ein solcher Aktionsplan würde auch Deutschland guttun.
Auch wenn die Frauengesundheit Bestandteil des aktuellen Koalitionsvertrages sei, sei noch nicht klar, in welchem Ausmaß das Thema tatsächlich bearbeitet werde. Deutschland sei im Bereich der Prävention von frauenspezifischen Erkrankungen zwar gut aufgestellt, doch bei Themen wie der HPV-Impfung gebe es noch deutlichen Aufholbedarf, so Kiechle.
Zudem müsse man noch mehr Frauen mit Angeboten erreichen, um beispielsweise die Entwicklung von Krebserkrankungen zu verhindern. 50 bis 70 Prozent der Zervixkarzinompatientinnen in Deutschland sind Kiechle zufolge nicht bei der Früherkennung gewesen – mit entsprechender Vorsorgeuntersuchung hätten Vorstufen jedoch möglicherweise früher erkannt und behandelt werden können.
Das Bewusstsein für die Frauengesundheit wachse zwar und man habe „ein sehr viel offeneres Ohr“ für Themen wie beispielsweise Endometriose, sagte die Gynäkologin. Richtig aufgewacht sei Europa in diesem Themenbereich jedoch erst, als der französische Präsident Emmanuel Macron 2022 eine nationale Strategie für Endometriose angekündigt habe.
Anschließend habe man auch in Deutschland eine katastrophale Situation festgestellt, was beispielsweise die Datenlage angehe, so Kiechle. Aber auch, dass das Thema im Weiterbildungskatalog der ärztlichen Ausbildung bislang komplett fehlte. „Hier gibt es noch wahnsinnig viel Nachholbedarf“, sagte sie.
Noch vor Frankreich habe bereits Australien die schlechte Versorgungssituation von Endometriosepatientinnen im eigenen Land erkannt und eine entsprechende Strategie verabschiedet, erklärte Kiechle. Australien sei, was die Förderung der Frauengesundheit angehe, ohnehin sehr fortgeschritten.
Neben öffentlichen Kampagnen zur Endometriose sei dort beispielsweise die HPV-Impfung verpflichtend eingeführt worden. Dies habe dazu beigetragen, dass schon ein paar Jahre später weniger Krebsvorstufen festgestellt worden seien. „Australien wird das erste Land sein, in dem es Zervixkarzinome nicht mehr geben wird“, sagte Kiechle.
Auch Christine Bigler, Gesundheitsexpertin am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern, bewertete den Österreichischen Aktionsplan und die Fortschritte zur Frauengesundheitsförderung in anderen Ländern positiv.
Frauengesundheit in der Schweiz
Doch auch in der Schweiz werde die Frauengesundheit inzwischen öffentlich diskutiert und politisch verhandelt, machte sie deutlich. So hatte Laurence Fehlmann Rielle, Mitglied im Schweizer Nationalrat, sich 2019 dafür stark gemacht, die Eigenheiten der Frauengesundheit stärker zu berücksichtigen und ein Postulat im Schweizer Parlament eingebracht.
„Gendergesundheit muss als integraler Bestandteil des Gesundheitssystem betrachtet werden und nicht als eigener Teil“, sagte sie gestern bei der Veranstaltung. Der Bundesrat hatte sich anschließend bereiterklärt, in einem Bericht darzulegen, inwiefern Frauen in der medizinischen Forschung, Prävention und Versorgung benachteiligt werden.
In dem Bericht seien schließlich sechs Hauptproblembereiche in Bezug auf die Gesundheitsversorgung von Frauen in der Schweiz identifiziert worden, erklärte Fehlmann Rielle.
Dazu gehörten die Forschung, Medikamentenentwicklung und Behandlung, die Erkennung und Diagnostik, die Prävention, die Rehabilitation, die Nachsorge und Langzeitversorgung sowie die Aus-, Weiter- und Fortbildung von Gesundheitsfachpersonen und die Arbeitswelt Gesundheitswesen. Vorschläge für die dringlichsten Maßnahmen seien anschließend ebenfalls erarbeitet worden.
Ein Thema, das in verschiedenen Städten behandelt wird, sind Menstruationsbeschwerden. In Zürich erfolgte bei den Mitarbeiterinnen der Stadt eine Befragung zu Menstruationsbeschwerden am Arbeitsplatz. Mit den Ergebnissen befasst sich eine Arbeitsgruppe. Die Stadt Freiburg hat bereits eine Menstruationsdispens beschlossen, die im Juli dieses Jahres eingeführt werden soll.
„Länderübergreifende Vernetzungen wären wertvoll, um die Information und Expertise zur Frauengesundheit zusammenbringen“, sagte die Österreicherin Gaiswinkler. Man könne sich gegenseitig unterstützen und voneinander lernen, so die Gesundheitsexpertin. Dem stimmten auch Kiechle und Bigler zu.
Viele Ideen seien sehr gut und man müsse nicht alles neu erfinden, sagte Kiechle. Einen Aktionsplan zur Frauengesundheit könne man auch Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) für Deutschland nur empfehlen, um dieses wichtige Thema weiter voranzutreiben.
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