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Frauengesundheit: Zwischen wachsender Aufmerksamkeit und Nachholbedarf

  • Mittwoch, 28. Mai 2025
/Ekaterina Anisimova, stock.adobe.com
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Leipzig – Zum Internationalen Tag der Frauengesundheit werden Stimmen zur stärkeren Verankerung des Themas in Medizin, Forschung und Gesellschaft laut. Denn auch wenn die Frauengesundheit in den vergangenen Jahren präsenter geworden ist und über Themen wie Wechseljahre, Endometriose und Angebote zum Schutz vor humanen Papillomviren (HPV) auch verstärkt öffentlich gesprochen wird, gibt es in diesem Bereich noch Handlungsbedarf.

„Frauengesundheit ist kein Nischenthema – sie muss systematisch in Forschung, Lehre und Versorgung verankert werden“, macht etwa der Ausschuss Ärztinnen im Hartmannbund zum heutigen Tag der Frauengesundheit deutlich.

„Frauen erleben Krankheiten anders – trotz positiver Entwicklungen in den letzten Jahren orientieren sich Diagnose- und Therapieverfahren noch immer viel zu häufig am männlichen Standard“, kritisierte Galina Fischer, Sprecherin des Ausschusses.

Daneben würden geschlechterspezifische Aspekte auch noch in der medizinischen Ausbildung und Forschung fehlen. Es brauche verpflichtende Inhalte zur Gendermedizin in allen medizinischen Studiengängen, forderte Wenke Wiechmann, ebenfalls Sprecherin der Ärztinnen im Hartmannbund.

Eine gezielte Förderung geschlechterdifferenzierter Forschung und der Erforschung frauenspezifischer Erkrankungen wie Endometriose, gynäkologischer Krebserkrankungen oder hormoneller Störungen wäre dem Ausschuss zufolge ebenfalls dringend notwendig.

„Der Weltfrauengesundheitstag ist ein wichtiger Anlass, um diese Realität ins Bewusstsein zu rufen und konkrete Veränderungen einzufordern – im Sinne einer gerechten, hochwertigen und ganzheitlichen Gesundheitsversorgung für alle“, sagte Ausschusssprecherin Iris Illing.

Frauengesundheit rückt ins öffentliche Bewusstsein

„In den vergangenen Jahren wurden neben innovativen, erfolgreichen Krebstherapien, Präventionsmaßnahmen zu HPV auch komplexe Krankheitsbilder wie die Endometriose oder der Zeitraum der Perimenopause stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt“, betonte Klaus Doubek, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF) anlässlich des Internationalen Frauengesundheitstages.

Verbesserungsbedarf sieht der Verband jedoch in den politischen und strukturellen Rahmenbedingungen, insbesondere für die Anerkennung des veränderten Leistungsanspruchs und -bedarfs samt Auswirkungen auf die Vergütung in fachärztlichen Praxen, so Doubek.

„Die Frauengesundheit ist deutlich stärker in den öffentlichen und politischen Fokus gerückt“, befand auch Susanne Bechert, Landesvorsitzende des Berufsverbands in Schleswig-Holstein. „Programme zur verbesserten Brustkrebsvorsorge wurden erneut aufgelegt, die Vorsorgekoloskopie ist nun bereits ab 50 Jahren möglich – ein wichtiger Schritt zur Gleichstellung“, sagte sie.

Auch der Mutterschutz nach Fehlgeburten und die zunehmende Sichtbarkeit von Themen wie Endometriose und Wechseljahrsbeschwerden zeigten, dass frauenspezifische Gesundheitsfragen ernster genommen würden. Das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede in der medizinischen Versorgung wachse zudem.

Handlungsbedarf sieht Bechert unter anderem im Erhalt und Ausbau einer flächendeckenden gynäkologischen Versorgung und in einer auf die Bedürfnisse von Frauen mit Behinderungen zugeschnittene Versorgung. Auch der niederschwellige Zugang zum Schwangerschaftsabbruch und mehr Personal in Kreißsälen seien wichtig.

Eine positive Entwicklung sei auch, dass differierende biologische Gegebenheiten zunehmend in den Blick genommen würden, sagte Marianne Röbl-Mathieu, Bezirksvorsitzende in München des BVF. Angesichts der wachsenden Verunsicherung durch medizinisches Halbwissen im Internet und in den Sozialen Medien sei die Mädchensprechstunde ein wertvolles Angebot.

Wechseljahre aus der Tabuzone holen

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) fordert zum Tag der Internationalen Frauengesundheit, die Wechseljahre aus der Tabuzone zu holen. „Neun Millionen Frauen in Deutschland erleben die Wechseljahre – viele fühlen sich dabei schlecht informiert, medizinisch nicht ernst genommen und gesellschaftlich unsichtbar gemacht“, sagte dazu Jutta König, SoVD-Bundesfrauensprecherin.

Dass die Wechseljahre im Koalitionsvertrag explizit genannt werden, sei ein wichtiger Schritt, fügte sie hinzu – und nicht der einzige: „Prominente Frauen bringen das Thema endlich in die Öffentlichkeit. Wir brauchen mehr davon: mehr Aufklärung, mehr Akzeptanz, mehr Forschung – und vor allem mehr politische Maßnahmen.“

Nicht zuletzt habe das Thema auch große Bedeutung für die deutsche Wirtschaft, ergänzte Michaela Engelmeier, SoVD-Vorstandsvorsitzende. Dies belege beispielsweise eine Befragung der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin aus dem Jahr 2023.

Demnach hatte jede vierte der befragten Frauen über 55 Jahren angegeben, wegen Wechseljahrssymptomen beruflich kürzer zu treten. Fast ein Drittel berichtete, deshalb schon einmal krankgeschrieben gewesen zu sein oder unbezahlten Urlaub genommen zu haben. Bis zu zehn Prozent der Betroffenen wollte früher in den Ruhestand gehen.

 „Trotzdem wird in den Betrieben kaum darüber gesprochen“, sagte Engelmeier. „In Zeiten des Fachkräftemangels können wir es uns schlicht nicht leisten, erfahrene Frauen zu verlieren – nur weil sie keine Unterstützung bekommen“.

„Die Frauengesundheit muss medizinisch breit und in allen Politikbereichen mitgedacht werden“, betonte Regine Rapp-Engels, Allgemeinmedizinerin und Leiterin des Fachausschusses Geschlecht bei Gesundheit und Krankheit im Deutschen Frauenrat, im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Bislang geschehe das in vielen Bereichen noch zu wenig.

Ein Beispiel sei das Thema Künstliche Intelligenz in der Medizin, welches auch Schwerpunktthema des diesjährigen Deutschen Ärztetages in Leipzig ist: Wenn die Systeme derzeit überwiegend mit männlichen oder mit nicht geschlechtsdifferenzierten Daten trainiert würden, setze sich die Verzerrung in Diagnostik und Therapie fort, sagte die Leiterin des Fachausschusses.

Frauengesundheit dürfe zudem nicht auf „Hormone, weibliche Lebensphasen und reproduktive Gesundheit“ reduziert werden. Sie umfasse alle Bereiche der Medizin, wobei Beschwerden von Frauen häufiger als die von Männern als psychosomatisch eingeordnet beziehungsweise abgetan würden.

Lebensweltliche Faktoren wie beispielsweise prekäre Arbeitsverhältnisse, unbezahlte Care-Arbeit oder Gewalt gegen Frauen könnten die Gesundheit von Frauen zusätzlich stark beeinträchtigen, so Rapp-Engels. „Wir müssen auch sensibler werden, beispielsweise für interkulturelle Aspekte von Gesundheit und Krankheit, also für eine diversitätskritische sowie barrierefreie Gesundheitsvorsorge und -versorgung“, sagte sie.

Der Internationale Tag der Frauengesundheit, zu dem sich viele Veranstaltungen in Deutschland mit dem Thema beschäftigen, ist Rapp-Engels zufolge wichtig, um auf die Thematik aufmerksam zu machen. „Es gibt nach wie vor viel zu tun, wir bleiben dran“, sagte die Leiterin des Fachausschusses.

nfs/kna

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