Gynäkologen wegen bewusster Tötung eines kranken Zwillingskindes zu Bewährungsstrafen verurteilt

Berlin – Das Landgericht Berlin hat eine leitende Oberärztin und einen ehemaligen, inzwischen pensionierten Chefarzt eines Berliner Klinikums wegen Totschlags zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten sowie einem Jahr und neun Monaten verurteilt (Az.: 532 Ks 7/16). Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das teilte das Landgericht heute mit.
Die 32. Große Strafkammer sah es demnach als erwiesen an, dass die beiden Gynäkologen am 12. Juli 2010 während eines Kaiserschnitts bei einer 27-jährigen Patientin zunächst ein erstes gesundes Kind entbunden, deren eineiige Zwillingsschwester dann aber mittels einer Kaliumchloridinjektion bewusst getötet haben.
Dieses zweite Mädchen habe einen schweren Hirnschaden gehabt, welcher bereits im Verlaufe der Schwangerschaft festgestellt worden war, weshalb sich die Eltern der Kinder für eine sogenannte Spätabtreibung entschieden hatten.
Anstatt aber das Kind bereits während der Schwangerschaft im Mutterleib zu töten, wie es nach Angaben des Landgerichts bei einer entsprechenden Indikation rechtlich zulässig und medizinisch möglich gewesen wäre, hätten die Ärzte zunächst den Beginn der Geburt abgewartet, um den Eingriff vorzunehmen.
Nach Einsetzen der Eröffnungswehen hätten sie den Mutterleib geöffnet, das gesunde Kind zur Welt gebracht und dann das geschädigte Kind getötet, obwohl es nach Angaben eines Sachverständigen lebensfähig gewesen sei. Dies sei rechtlich als Totschlag im Sinne des § 212 Strafgesetzbuch (StGB) zu werten, sagte der Vorsitzende Richter der 32. Große Strafkammer, Matthias Schertz, in seiner mündlichen Urteilsbegründung.
Die beiden Frauenärzte hatten den Sachverhalt eingeräumt. Sie hatten aber erklärt, davon ausgegangen zu sein, dass ihr Handeln rechtmäßig gewesen sei, weil das Mädchen sich noch im (geöffneten) Mutterleib befunden habe, als sie die Injektion durchgeführt hätten.
Die Kammer folgte der Ausführung nicht. Den Angeklagten sei es als erfahrenen Gynäkologen bewusst gewesen, dass sie rechtlich nicht mehr befugt gewesen seien, das kranke Kind während des Kaiserschnitts zu töten, weil die Geburt bereits begonnen hatte, befand das Gericht.
Die Ärzte hätten sich von dem Willen der Eltern leiten lassen, dass das kranke Kind nicht zur Welt kommen sollte, obwohl es lebensfähig gewesen sei. Ein derartiges „Aussortieren“ von kranken oder behinderten Säuglingen sei nach dem Willen des Gesetzgebers strafrechtlich aber nicht zulässig, betonte Schertz.
Angesichts der Besonderheiten des Falles hat die Strafjammer einen minderschweren Fall angenommen. Die etwas höhere Strafe für den angeklagten ehemaligen Chefarzt begründete der Vorsitzende damit, dass es in seiner Macht als Vorgesetzter gelegen hätte, den Eingriff noch im Operationssaal zu verhindern. Anders als die angeklagte leitende Oberärztin habe er während der Hauptverhandlung auch keinerlei Einsicht gezeigt.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann innerhalb von einer Woche Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt werden.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: