Vermischtes

KI-Welle als nächste Herausforderung für Wohlbefinden der Menschen

  • Donnerstag, 6. Februar 2025
/lassedesignen, stock.adobe.com
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Berlin – Schon heute weisen Tausende internetbezogene Störungen auf: Die zunehme Verbreitung von Künst­licher Intelligenz (KI) könnte sich aus Expertensicht ebenfalls auf das Wohlbefinden von Menschen auswirken.

„Die große Herausforderung, vor der wir jetzt stehen, ist sicherlich, die anstehende KI-Welle im Bereich der Digitalisierung gut zu meistern“, sagte Christian Montag, Leiter der Abteilung Molekulare Psychologie an der Universität Ulm, gestern bei einer Veranstaltung des BKK Dachverbands.

Dabei sind erste Ergebnisse des Projekts SCAVIS zur Förderung einer ausgewogenen Internetnutzung sowie zur Prävention und Behandlung problematischer Internet- und Smartphonenutzung vorgestellt worden. Es wurde vom Innovationsfonds beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) gefördert. Noch ist aber keine Entscheidung darüber gefallen, ob es in die Regelversorgung überführt wird.

Die Frage, wie man in einer KI-Gesellschaft das Wohlbefinden der Menschen erhalten könne, sollte aus Sicht Montags in den Vordergrund rücken. Es seien viele Variablen zu berücksichtigen, zum Beispiel die Modalität einer KI, Persönlichkeitsstruktur der Nutzenden, Einsatzgebiete der KI-Systeme sowie deren Regulierung und Trans­parenz.

Schon jetzt stiegen die Nutzungszahlen „dramatisch“, beispielsweise bei generativer KI wie ChatGPT. „Es zeigt sich, dass etwas Neues passiert.“ Man habe nun Services, die durch eine KI bereichert würden und dadurch deutliche Veränderungen des Charakters von Digitalprodukten. Es werde wichtig sein, eine richtige Haltung gegenüber KI zu entwickeln.

Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand

Deutliche Kritik übte Montag am Geschäftsmodell großer Plattformen und dem „Datenkapitalismus“: Man werde keine im wahren Sinne gesunden Social-Media-Plattformen sehen, „solange wir eine Industrie haben, die damit Geld verdient, Online-Zeiten zu verlängern“.

Verändere sich daran nichts, müsse man damit rechnen, „dass es zumindest bei einer Untergruppe an Nutzenden zu Problemen kommt“. Abo-Modelle statt Werbefinanzierung seien womöglich eine Alternative, um Plattformen gesünder zu gestalten.

Montag hob aber auch Vorteile der vergangenen mobilen Internetrevolution hervor, wie günstige internationale Kommunikation, jederzeit verfügbare Informationen sowie verbesserte Navigations- und Vernetzungsmöglich­keiten. Eine Produktivitätssteigerung sei unter bestimmten Bedingungen möglich, aber ebenso bei bestimmter Form der Nutzung auch Produktivitätsprobleme.

Drogenbeauftragter Blienert: Politik muss bei Jugendmedienschutz am Ball bleiben

Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD) hob ebenfalls eine Verantwor­tung auf Seiten der Anbieter hervor. Wenn Inhalte wie Alkohol, Glücksspiel oder Drogen verherrlicht würden, dürften sie für Jugendliche nicht mehr zugänglich sein, sagte er.

Die Anbieter müssten konsequent für den Jugendschutz sorgen. Als anhaltendes Problem nannte der SPD-Politiker jedoch sogenannte Lootboxen in Spielen. Diese Überraschungskisten werden schon länger als eher glücksspielartige Elemente mit Suchtrisiko kritisiert.

Für die Politik gelte es, beim Jugendmedienschutz unbedingt am Ball zu bleiben, nachdem das entsprechende Gesetz 2021 aktualisiert worden sei, „quasi vom Kassettenrekorder jetzt hin zu Youtube und Instagram“, sagte Blienert. Das Gesetz müsse kontinuierlich dem Stand der Technik angepasst werden.

Hinsichtlich der Prävalenz von computerspiel- oder internetbezogenen Störungen in Deutschland nannte der SPD-Politiker Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Demnach seien 8,4 Prozent der 12- bis 17-Jährigen und 5,5 Prozent der 18- bis 25-Jährigen betroffen. Das Engagement müsse verstärkt werden, appellierte Blienert auch in Richtung von Krankenkassen. Das von Betriebskrankenkassen mit getragene Projekt begrüßte er ausdrücklich.

Das Konzept von SCAVIS („Stepped Care Ansatz zur Versorgung Internetbezogener Störungen“) zielt darauf ab, die Versorgungssituation von Menschen mit internetbezogenen Störungen zu verbessern. Der wissenschaftliche Leiter Hans-Jürgen Rumpf von der Universität Lübeck berichtete von positiven Ergebnissen. Publiziert sind diese bisher nicht.

Screening und gestufte Intervention in Innovationsfonds-Projekt

Rumpf zufolge wurde ein stärkerer Rückgang der problematischen Internetnutzung in jener Probandengruppe verzeichnet, in der die Teilnehmenden je nach individueller Situation eine Intervention erhielten, gestuft von der App über eine Kurzintervention bis hin zur Online-Therapie. Die Kontrollgruppe hatte lediglich ein Präventions­modul ohne individuelle Rückmeldungen und Hilfen nutzen können.

Jede Gruppe bestand aus rund 500 Menschen, deren Internetnutzung in einem vorgeschalteten Screening als auffällig eingeordnet worden war. An dem Screening hatten rund 6.700 Menschen teilgenommen. Sehr schwer Betroffene seien gleich in die Online-Therapie geschickt worden, schilderte Rumpf. Es gab eine sechsmonatige Nachbeobachtung.

Die Entwicklung sei eine Reaktion auf eine starke Nachfrage von Betriebskrankenkassen gewesen, sagte Anne-Kathrin Klemm, Vorständin beim BKK Dachverband. Unabhängig von der noch ausstehenden Bewertung des G-BA habe man sich mit dem Konsortiumsführer vorgenommen, einen Selektivvertrag zu entwickeln, um den Ansatz zumindest in diesem Rahmen so weit wie möglich in die Versorgung zu tragen.

Blienert sagte, er sehe auf dem gesamten Feld der Versorgung von Suchtkranken immensen Bedarf. „Konkret könnte ich mir vorstellen, dass die Versorgung Suchtkranker ein eigener Themenschwerpunkt für die Förderung von Innovationsprojekten werden könnte.“

Im Gesundheitssystem müsse generell stärker auf frühes Erkennen von Gefahren und Präventionsmaßnahmen fokussiert werden, appellierte Klemm. Im SCAVIS-Projekt sei es gelungen, Früherkennung und Intervention zu verknüpfen. Die Kunst werde sein, Versicherte in Gefahr – im konkreten Fall Fehlnutzung bis hin zur Sucht – zu identifizieren und frühzeitig anzusetzen.

Mit Blick auf die häufige Forderung nach mehr Regulierung betonte der Ulmer Professor Montag, dass sich diesbezüglich zuletzt auch schon einiges getan habe und verwies auf den Digital Services Act der Europäischen Kommission. Es sei nun an der Zeit, den seit etwa einem Jahr geltenden Gesetzestext mit Leben zu füllen.

rit/ggr

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