Künstliche Intelligenz: Wenn Maschinen mitforschen

Berlin – Ein neues Kapitel in der Wissenschaft hat begonnen: die Zusammenarbeit von Forschenden mit Künstlicher Intelligenz (KI). Diese ist nicht mehr nur ein technisches Werkzeug, sondern sie ist zu einem festen Bestandteil wissenschaftlicher Arbeit geworden.
„KI wird bereits seit mehreren Jahren erfolgreich in der Wissenschaft eingesetzt“, sagte Mario Krenn, Professor für Maschinelles Lernen in der Wissenschaft, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, heute bei einem Webinar des Science Media Centers. Besonders zur Analyse von großen Datenmengen sei sie prädestiniert. „Jetzt richtet sich jedoch der Fokus von KI mehr und mehr auch auf wissenschaftliche Entdeckungen. Das ist neu.“
KI erzeuge mittlerweile Daten selbstständig durch den Zugriff auf verschiedene Systeme, erläuterte der Quantenphysiker. So könnten neue Experimente gefunden werden, an die der Mensch noch nicht gedacht habe.
„Die Zahl der möglichen Experimente durch die Kombination von verschiedenen Bauteilen ist beispielsweise in der Physik oder der Chemie gigantisch“, so Krenn. Diesen großen Raum hätten bisher kreative Menschen durchsucht. „Jetzt macht das die KI. Wir erhalten durch die Lösungen, die uns die KI präsentiert, neue Ideen, auf die wir Menschen nicht gekommen wären.“
Dass sie wissenschaftliche Durchbrüche beschleunigen kann, hat KI schon 2018 mit AlphaFold bewiesen. Das von Google DeepMind entwickelte Programm sagt die dreidimensionale Struktur von Proteinen anhand ihrer Aminosäuresequenz mit nahezu experimenteller Genauigkeit vorher.
Die Leistung wurde deshalb auch 2024 mit dem Chemienobelpreis für zwei der AlphaFold-Entwickler gewürdigt. AlphaFold basiert auf Deep Learning, einer Form maschinellen Lernens, die ursprünglich aus der Sprach- und Bilderkennung stammt. Heute enthält die AlphaFold Protein Structure Database mehr als 200 Millionen vorhergesagte Strukturen – praktisch für jedes bekannte Protein.
Dies habe die Forschung mittlerweile enorm verändert, bestätigte Clara Schoeder, Juniorprofessorin für die Entwicklung von immuntherapeutischen Wirkstoffen am Institut für Wirkstoffentwicklung der Universität Leipzig.
Forschende aus der Biologie und Biotechnologie sowie Pharmaunternehmen weltweit nutzten die AlphaFold-Datenbank, um Enzyme zu entwickeln, neue Medikamente zu entwerfen oder die Interaktion mit anderen Medikamenten zu verstehen. Ein Experiment, das früher Jahre gedauert hätte, könne nun in Sekunden am Computer begonnen werden.
Schoeder sieht neben der Erleichterung der wissenschaftlichen Arbeit aber auch eine Gefahr: „Durch diese Veränderung der Forschung merkt man zunehmend, dass die Grundlagenvermittlung in der Ausbildung immer wichtiger wird“, sagte Schoeder. „Wir müssen die Grundlagen verstehen, um dann Fehler erkennen zu können“, betonte sie. „Wir müssen wachsam bleiben.“
AlphaFold steht für den Beginn einer neuen Ära, in der Künstliche Intelligenz auch forscht. „Die Wissenschaft hat zwar schon immer mit Modellen gearbeitet“, sagte Florian Boge, Professor für Wissenschaftsphilosophie mit dem Schwerpunkt Künstliche Intelligenz an der Technischen Universität Dortmund. Doch jetzt sei die KI ein weiterer „Mitdenkender“.
„Und es macht Sinn, sie auch als solchen zu sehen. Die KI ist eine dritte Instanz, die andere Dinge sieht als wir Menschen und die einen zusätzlichen Blick auf Probleme hat“, erläuterte er. „Die KI schafft neue Blickwinkel.“ Dies könne positiv sein, so Boge. Es könne aber auch Probleme schaffen, nämlich dann, wenn nur das Ziel gezeigt werde, nicht aber der Weg.
Es könne für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr frustrierend sein, wenn man es nicht schaffe, aus den von der KI präsentierten Lösungen die Ideen zu subtrahieren, bestätigte auch Krenn. „Wir müssen aufpassen, dass wir das Grundsätzliche der Wissenschaft, nämlich das Verstehen an sich, nicht verlieren“, mahnte er.
Tatsächlich denken Forschende in den USA bereits über vollautomatisierte Labore nach, in denen KI-Agenten eigenständig Hypothesen entwickeln, diskutieren und mithilfe von Robotern experimentell überprüfen.
Ein Vorgeschmack auf diese Zukunft wird morgen an der Universität Stanford geboten: Dort findet erstmals die Konferenz „Agents4Science 2025“ statt, bei der sämtliche wissenschaftliche Beiträge von KI stammen – von der Ideenfindung über das Schreiben der Papers bis hin zur Auswertung.
Selbst der Peer-Review-Prozess werde teilweise von künstlichen Gutachtersystemen übernommen, kritisierte Krenn. Dies ist für den Physiker ein Bereich, der der Wissenschafts-Community vorbehalten bleiben sollte.
Wenn Menschen nicht nachvollziehen könnten, wie Forschungsergebnisse zustande kämen, sei die Fehlergefahr groß und das Vertrauen in Wissenschaft und Technologie könne schwinden, befürchtet er.
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