Menschen mit Depressionen besonders von Lockdown betroffen

Berlin – Jeder zweite depressive Mensch in Deutschland hat während des Lockdowns im Frühjahr einer Befragung zufolge massive Einschränkungen bei der Behandlung seiner Krankheit erlebt. Zu diesem Ergebnis kommt das Deutschland-Barometer Depression, das heute bei einer digitalen Pressekonferenz vorgestellt wurde.
Auch hätten Betroffene die Beschränkungen als deutlich belastender erlebt als die Gesamtbevölkerung, so die Untersuchung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. „Das ist auch für den aktuellen Teillockdown zu erwarten“, sagte Psychiater Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung.
Depressive Menschen hätten insbesondere unter einer fehlenden Tagesstruktur gelitten: Dies gaben 75 Prozent an (gegenüber 39 Prozent der Allgemeinbevölkerung). Auch blieben 48 Prozent tagsüber eher im Bett (Allgemeinbevölkerung: 21 Prozent).
„In diesen Fällen droht ein Teufelskreis: eine fehlende Tagesstruktur erhöht das Risiko, sich zurückzuziehen und lange Bettzeiten können Depressionen wiederum verstärken“, warnte Hegerl.
Massive Einschnitte in der Versorgung von psychisch Kranken
Jeder zweite Betroffene (48 Prozent) berichtete demnach von massiven Einschnitten in der Versorgung, etwa ausgefallenen Behandlungsterminen beim Facharzt oder Psychotherapeuten.
Jeder zehnte depressive Befragte gab an, dass ein geplanter Klinikaufenthalt nicht stattfinden konnte. 13 Prozent der Betroffenen gaben an, von sich aus Behandlungstermine aus Angst vor Ansteckung abgesagt zu haben.
Hochgerechnet auf die Bevölkerung hätten mehr als zwei Millionen depressiv erkrankte Menschen „eine Einschränkung ihrer medizinischen Versorgung mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen durch die Coronamaßnahmen erlebt“, kritisierte Psychiater Hegerl. Auch jetzt stellten Kliniken Ressourcen für die Behandlung von Coronainfektionen um.
Das gehe erneut auch auf Kosten der Versorgung von Menschen mit psychischen Leiden. „Depression ist eine schwere, oft lebensbedrohliche und dringend behandlungsbedürftige Erkrankung.“ Nur bei Beachtung dieser negativen Folgen könne „die richtige Balance gefunden werden zwischen Leid und Tod, die durch die Coronamaßnahmen einerseits möglicherweise verhindert und andererseits konkret verursacht werden“, betonte Hegerl.
Ein Großteil der Allgemeinbevölkerung (58 Prozent) gab der Befragung zufolge an, dem veränderten Leben durch die Krise auch Positives abgewinnen zu können – etwa, den Frühling bewusster erlebt zu haben. Unter depressiv erkrankten Menschen sagten dies nur 38 Prozent. Viele fühlten sich zudem bis in den Sommer hinein belastet: im Juli etwa noch 68 Prozent der depressiv Erkrankten (Allgemeinbevölkerung: 36 Prozent).
Videosprechstunden nur für kleinen Teil eine Alternative
An Bedeutung gewannen digitale Angebote, wie es in der Analyse hieß. 14 Prozent der depressiv erkrankten Menschen nutzten demnach erstmals ein Behandlungsangebot via Telefon oder Video. Über 80 Prozent bewerteten diese positiv. Doch für Menschen mit einer Depression werde der Rückzug in die eigenen vier Wände durch diesen zweiten Teillockdown wieder viele negative Auswirkungen haben“, prognostizierte Hegerl.
„Depressiv Erkrankte haben so mehr Zeit zum Grübeln und können noch tiefer in die Depression geraten. Das sind Aspekte, die mir große Sorgen bereiten“, ergänzte der Psychiater. Nur für einen kleineren Teil der Patienten seien Telefon- und Videosprechstunden sowie Online-Programme eine mögliche Alternative – auch wenn die Angebote nun häufiger angenommen würden als früher.
Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat für ihr viertes Depressions-Barometer im Juni und Juli 5.178 Menschen zwischen 18 und 69 Jahren repräsentativ online befragen lassen. Daneben wertete sie in einer Stichprobe Antworten von Menschen in einer depressiven Phase aus und verglich die Werte. Gefördert wird die bundesweit repräsentative Befragung durch die Deutsche Bahn Stiftung.
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