Suchtmedizin: Kontaktlos die Therapietreue erfassen

Berlin – Die Coronakrise hat telemedizinische Anwendungen verstärkt in den Blick gerückt. Auch in der Suchttherapie gewinnen Möglichkeiten der kontaktlosen Behandlung zunehmend an Bedeutung, wenn auch noch nicht im selben Maße wie in anderen Bereichen des Gesundheitssystems.
Doch gerade im Zuge der Pandemie zeigt sich die Notwendigkeit telemedizinischer Angebote für vulnerable Gruppen wie die der Suchtkranken. Denn viele von ihnen zählen aufgrund bestehender Infektionen wie HIV und HCV aber auch Erkrankungen der Lunge zu Risikopatienten.
Eine Möglichkeit, kontaktlos die Adhärenz in der Suchttherapie zu erfassen, ist die Urin-Marker-Technologie. Sie erlaubt es Patienten, ohne Therapeutenkontakt Urinproben abzugeben.
Grundsätzlich geht es dabei um die telemetrische Erfassung der PEG-Kapseleinnahme mit Hilfe von mobilen Telefonen mit integrierter Kamera. Dabei ist lediglich zur Initialisierung ein unmittelbarer Therapeutenkontakt notwendig, bei den nachfolgenden Urinkontrollen können sowohl Kapseln vom Arzt zum Patienten als auch die Urinproben vom Patienten zum Labor auf dem Postweg übermittelt werden.
Die Anwendung „RUMA digital“ wurde bereits vor der Pandemie von der RUMA GmbH entwickelt. Das ursprünglich vorgesehene Anwendungsfeld waren Patienten in ländlichen Gebieten mit zum Teil erheblichen räumlichen Distanzen zu den Untersuchungseinrichtungen.
Um die Therapietreue ohne Gefahr einer Infektionsübertragung zu erfassen und zu unterstützen, bietet sich das Verfahren aber im Zuge der SARS-CoV-2 Krise auch für einen breiteren Patientenstamm an.
Beim ersten direkten Kontakt zwischen betreuender Arztpraxis und Patient wird die zugehörige App auf das Smartphone des Patienten geladen und es werden die Handhabung sowie die zeitlichen Abläufe des Systems geschult. Die Praxis nimmt außerdem ein aktuelles Gesichtsfoto des Patienten auf, damit die nachfolgenden Videoaufzeichnungen der Markereinnahme der jeweiligen Person zugeordnet werden können.
Anschließend werden die initial zu nutzenden Urin-Marker ausgehändigt. Diese sind mit einem äußeren und inneren Barcode versehen, die später vor der unmittelbaren Markereinnahme im Rahmen der Videoaufzeichnung die Manipulationssicherheit gewährleisten.
Eine Vorab-Entnahme beziehungsweise ein Austausch des Markers würde die Barcodes verletzen und damit eine ordnungsgemäße Videoaufzeichnung der Einnahme unmöglich machen. Damit kann der PEG-Marker ausschließlich vom Patienten eingenommen werden, was die Abgabe von Fremdurin ausschließt.
Für die Einnahme des Markers steht ein Zeitfenster von maximal 120 Sekunden zur Verfügung. Der Patient schluckt den Marker, kaut das mitgelieferte, den Speichelfluss anregende saure Bonbon und zeigt anschließend mit geöffnetem Mund seine Zunge. Versucht er, die Kapsel in einer Mundtasche zur späteren Entnahme zu deponieren, wird durch die schnell auflösende Kapselhülle ein Färbemittel (Blaubeerextrakt) freigesetzt, das den gesamten Mundraum blau einfärbt.
Das Video wird am Ende verschlüsselt an die betreuende ärztliche Praxis übermittelt. Über den erfolgreichen Verlauf des Prozesses beziehungsweise über eventuelle Probleme bei der Übertragung wird der Patient informiert.
Getestet wurde das System bislang in zwei deutschen Zentren – der Fachklinik Ludwigsmühle und der Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie Landau – in Kooperation mit der A-Clinic Ltd in Finnland.
Vorteilhaft an dem Verfahren ist laut beteiligter Partner, dass die intimitätsverletzende Sichtkontrolle entfällt, die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen gestärkt wird und Zeitverluste durch teilweise lange An- und Abreisewege zu den betreuenden Zentren vermieden werden. Auch das ärztliche Personal könne von der Zeitersparnis profitieren.
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