WHO-Region Europa: Stagnation und Rückschritte bei manchen Gesundheitsindikatoren

Kopenhagen – Bei einer Reihe von Gesundheitsindikatoren sieht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrer Region Europa eine Stagnation oder sogar Rückschritte.
Die Region stehe in Bezug auf die künftige gesundheitliche Lage am Scheideweg, sagte WHO-Regionaldirektor Hans Henri Kluge heute bei der Veröffentlichung des Europäischen Gesundheitsberichts in Kopenhagen. Die untersuchte WHO-Region umfasst 53 Länder in Europa einschließlich Russland und Zentralasien.
Kluge machte auf die schwierige Zeit aufmerksam, in der sich die WHO selbst nach dem angekündigten Austritt der USA befinde: „Wir haben nicht nur auf die Finanzierung der USA, sondern auch auf deren Expertise gezählt“, sagte Kluge. Die WHO müsse sich neu erfinden, die Verwaltung modernisieren und Bürokratie zurückdrängen.
Kluge begrüßte, dass einige andere Länder nach vorne getreten seien: Es habe beispielsweise mit Spanien Gespräche gegeben und Kasachstan habe der WHO Unterstützung in bestimmten Bereichen zugesagt.
Die Mitgliedsstaaten müssten begreifen, dass gesundheitliche Sicherheit wesentlich sei für die nationale und internationale Sicherheit, appellierte Kluge. „Gesundheit oben auf der Agenda zu behalten, bedeutet für eine sicherere und resilientere Welt zusammenzuarbeiten.“
Die Gesundheitssysteme seien nicht besser für Notlagen vorbereitet als vor der Coronapandemie, mahnte Kluge. Doch Erreger wie Vogelgrippe, Mpox oder das Marburgvirus machten nicht an Grenzen halt.
Der Report, der alle drei Jahre erscheint, wirft ein Schlaglicht auf verschiedene Entwicklungen und Missstände in der teils sehr heterogenen WHO-Region Europa. Kluge hob unter anderem die Überalterung der Bevölkerung, den Alkoholkonsum, Übergewicht und eine Wiederzunahme von impfpräventablen Erkrankungen wie Masern und Keuchhusten hervor.
Diese hätten wegen sinkender Impfquoten ein Comeback erlebt, oft aufgrund von Desinformation und lückenhafter Gesundheitsversorgung.
Allgemein wird im Bericht festgehalten, dass erstmals in der Region mehr über 65-Jährige als unter 15-Jährige leben. Die Gesundheit des Nachwuchses gelte es von Beginn an zu schützen. Einige der Herausforderungen dabei:
Beinahe als 76.000 Kinder seien 2022 vor ihrem fünften Geburtstag gestorben.
1 von 5 Jugendlichen habe mit psychischen Problemen zu kämpfen.
Suizid sei die häufigste Todesursache bei 15- bis 29-Jährigen.
15% der Heranwachsenden hätten angegeben, in letzter Zeit Cybermobbing erlebt zu haben.
1 von 10 Jugendlichen zwischen 13 und 15 Jahren konsumierten Tabakprodukte, darunter E-Zigaretten.
Beinahe 1 von 3 Kindern im Schulalter wiege zu viel.
Marketing für Produkte mit viel Salz, Fett und Zucker werde in den meisten Ländern nicht eingeschränkt und könne die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen negativ beeinflussen.
Bei der Gesundheit von Erwachsenen nennt der Bericht ebenfalls große Baustellen:
1 von 6 Menschen sterbe vor dem 70. Geburtstag an Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebs, Diabetes oder chronischen Atemwegserkrankungen.
Die Region habe den weltweit höchsten Alkoholkonsum von durchschnittlich 8,8 Litern reinem Alkohol pro Erwachsener/Jahr.
Der Tabakkonsum bleibe mit insgesamt 25.3% hoch und die Region sei bei den Reduktionszielen nicht auf Kurs.
Es wird mit steigender Prävalenz von Demenz und Übergewicht gerechnet.
Frauen in der Region lebten mit 79,3 Jahren generell länger als Männer (73,3), aber einen kleineren Anteil davon mit guter Gesundheit.
Die Müttersterblichkeit stagniere seit 2015.
Die gesamte Region müsse sich mit den Ursachen chronischer Erkrankungen auseinandersetzen, die neben Tabak und Alkohol auch im schlechten Zugang zu gesunder und nährstoffreicher Nahrung, Luftverschmutzung und Bewegungsmangel lägen, so Kluge.
Die Klimakrise verschlimmere die gesundheitlichen Belastungen insgesamt. Wenn es um Immunisierungen und Infektionskrankheiten gehe, habe man es noch deutlich mit Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie zu tun.
In Bezug auf Alkohol mangele es in der Bevölkerung noch zu sehr an Bewusstsein für die gesundheitlichen Gefahren, insbesondere für das Krebsrisiko, sagte der strategische Berater des Regionaldirektors und Leiter der Sonderinitiative für nicht übertragbare Krankheiten und Innovation, Gauden Galea.
Er erinnerte daran, dass man erst kürzlich den Mitgliedsstaaten Europa empfohlen habe, Warnhinweise auf alkoholischen Getränken einzuführen. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete.
Zu den positiven Entwicklungen, die im Report verzeichnet sind, gehören beispielsweise eine sinkende Mortalität durch Suizide und eine sinkende Tuberkulose-Inzidenz.
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