Vermischtes

Widerstand gegen Diskriminierung von jungen Krebsüberlebenden

  • Dienstag, 24. September 2024

Berlin – Obwohl viele junge Menschen nach einer Krebser­krankung nach wissenschaftlichen Standards längst als geheilt gelten, erfahren sie auch Jahre später noch Benachteiligungen, etwa beim Abschluss von Versiche­rungen, der Vergabe von Krediten, der Verbeamtung oder in Fragen der Adoption.

Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs (DSfjEmK) und die Deutsche Gesellschaft für Hämato­logie und Medizinische Onkologie (DGHO) fordern daher seit langem ein „Recht auf Vergessenwerden“. Heute wiesen sie erneut auf die Diskriminierung von Krebsüberlebenden hin.

„In Deutschland muss es unser klares Ziel sein, eine umfängliche gesetzliche Regelung zu schaffen. Mit Blick auf die steigende Zahl an Langzeitüberlebenden muss den Betroffenen auch eine Perspek­tive gegeben wer­den“, forderte Andreas Hochhaus, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der Abteilung für Hämatologie und Internistische Onkologie am Universitätsklinikum Jena.

In der Praxis müsse dies bedeuten, dass Versicherungen oder Banken nach einer gewissen Zeit der Heilungs­bewährung (in der Regel fünf Jahre) die frühere Krebserkrankung nicht mehr berück­sichtigen dürften, betonte Inken Hilgendorf, Kuratoriumsvorsitzende der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs und Sekti­onsleiterin für Stammzelltrans­plantation am Universitätsklinikum Jena. „Ähnliche Regelungen müssen auch im Bereich der Verbeamtung und Adoption geschaffen werden.“

Hochhaus verdeutlichte die Dimension der Fälle: Jedes Jahr erkrankten in Deutschland etwa 16.500 junge Erwachsene im Alter von 18 bis 39 Jahren und etwa 2.100 Kinder unter 18 Jahren an Krebs. „Dank der Fort­schritte in Diagnostik und Therapie von Blut- und Krebserkrankungen können heute mehr als 80 Prozent von ihnen geheilt werden“, sagte er. Doch neben den medizinischen Spät- und Langzeitfolgen rückten bei den Langzeitüberlebenden jetzt zunehmend die sozialen Aspekte in den Fokus.

Dass solche Diskriminierungen keine Einzelfälle sind, konnte die DSfjEmK im Rahmen einer Onlineumfrage zeigen, die sie von Juni bis November 2023 durchführt hatte: 40 Prozent der Befragten gaben Benachteiligun­gen im Bereich „Versicherungen“ an. So beklagten die Betroffenen beispielsweise, dass Abschlüsse einerseits gar nicht oder nur zu sehr schlechten Konditionen möglich seien.

Weitere Benachteiligungen wurden beispielsweise im beruflichen Kontext genannt. So waren hier vor allem keine Verbeamtungen möglich. Ebenfalls wurden konkrete Benach­teiligungen bei der Bewilligung von Kre­diten oder bei dem Wunsch nach einer Adoption angegeben.

„Zwar ist der Rechtsrahmen für einen grundlegenden Schutz vor Diskriminierung und Benach­teiligung über die EU-Verbraucherschutzrichtlinie hinaus durch das Allgemeine Gleichbehandlungs­gesetz und die UN-Be­hindertenrechts­kon­vention gegeben, dennoch bestehen in Deutschland weiterhin gesetzliche Schlupflöcher“, erklärte Hochhaus weiter. Es gelte, Krebsüberlebende vor Benachteiligungen und Diskriminierun­gen nach der sogenannten Heilungsbewährung zu schützen.

International gibt es ein „Recht auf Vergessenwerden“. Es bezieht sich im Kern darauf, dass digitale Informa­tionen mit Personenbezug nicht dauerhaft gespeichert, sondern nach einer bestimmten Zeit gelöscht werden sollten. Mit der EU-Verbraucherkredit­richtlinie wurde 2023 erstmals eine gesetzliche Bestimmung geschaffen.

Diese Regelung verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, die Verwendung von Gesundheitsdaten in Bezug auf Krebs­erkrankungen nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr zuzulassen. Dies gilt beispiels­weise für Versicherungen, die im Zusammenhang mit Verbraucherkreditvereinbarungen abgeschlossen werden. Bei der Umsetzung in nationales Recht hänge Deutschland jedoch massiv hinterher, bemängelten die Stiftung und die Fachgesellschaft.

„Wir haben die Chance, eine umfangreiche Regelung auch in Deutschland zu schaffen und die Erfahrungen der anderen europäischen Staaten auf diesem Gebiet nutzen“, sagte Sebastian Rohde, Gründer der Advocacy und Public Affairs Agentur RPP, die sich auf EU-Ebene seit vielen Jahren für ein Ende der Diskriminierung von ehemals betroffenen Krebspatienten einsetzt.

Bereits acht europäische Staaten (Belgien, Frankreich, Italien, Niederlande, Portugal, Rumänien, Spanien und Zypern) haben ihm zufolge ein Recht auf Vergessenwerden auf nationaler Ebene umgesetzt.

ER

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