Vom Arztdasein in Amerika

Coronavirus: Die Unruhe beginnt

  • Dienstag, 7. April 2020

Die amerikanische Gesellschaft gehört meiner Meinung nach zu einer der am weitesten individualisierten Gesellschaften der Welt. Kinder lernen schon früh, dass ihre Meinung wichtig ist und tyrannisieren, pardon: bitten, ihre Mütter und Väter im Einkaufsladen, wenn das falsche Produkt gekauft wird.

Im direkten Gespräch beobachte ich selbstbewusste Medizinstudierende, die ihren grauhaarigen Ober- und Chefärzten erklären, wieso sie mit ihrer nur sehr begrenzten Medizinerfahrung recht und die an Dienstjahren sehr erfahrenen Ärzte unrecht haben. Und mit einer Verve wird die politische Meinung verteidigt, auch wenn sie aus meiner Sicht heraus oberflächlich und sehr undurchdacht ist.

Dass Amerikaner ihre Autos lieben und öffentliche Verkehrsmittel kaum nutzen, dass sie sich höchst individualisiert kleiden und immer ausgefallenere Vornamen ihren Kindern geben, ist eine weitere Facette dieser Individualisierung.

Deshalb gehen sie auch schwer mit den Einschränkungen des Alltages um. Klar, die anderen sollen daheim bleiben um das Virus nicht zu verbreiten, aber sie selber müssen weiterhin rausgehen dürfen, weil sie eben sie sind und wichtige Dinge zu erledigen haben. So erklären mir es immer wieder amerikanische Bürger und Patienten, wenn ich sie danach befrage, ob sie sich an die Richtlinien der gesellschaftlichen Isolierung halten. Ich nehme das achselzuckend hin.

Doch die Politik übt immer größeren Druck auf Geschäfte und Restaurants aus, weshalb das öffentliche Leben tatsächlich erlahmt. Die Strände in Florida sind gesperrt und New Yorks Straßen viel leerer, als man es sich je hätte vorstellen können. Doch all das, gekoppelt mit einer auch in den USA zum Teil hysterischen Berichterstattung („Eine 16-jährige an Coronavirus gestorben!“), macht die Menschen immer unruhiger.

Aktuell, und das ist erst Ende März, beobachte ich viel häufiger Streitereien und Beleidigungen an öffentlichen Plätzen und in Supermärkten als früher. Vor meinen Augen wurde eine Frau wegen (leichter) körperlicher Gewalt (Schubsen) von einem bis an die Zähne bewaffneten Polizisten abgeführt und die sonst eher höflichen Amerikaner schneiden einem den Weg nicht nur im Supermarkt, sondern auch auf den Straßen ab. Man hupt häufiger und grüßt seltener, und etwas gehetzt laufen die noch verbliebenen Menschen die Straße entlang.

Die Restaurants bleiben leer oder sind geschlossen und einige kleine Läden, die sich Monat für Monat finanziell durchgekämpft haben, haben erste Schilder mit „dauerhaft geschlossen“ aufgehängt. Die Waffenläden haben enormen Andrang und als ich einen kürzlich besuchte, war ich erschüttert angesichts der Anwesenheit von 20 anderen Männern, die allesamt Gewehre und Munition kauften. Worauf bereiten sie sich vor? Mich machte der Anblick all dieser Menschen mit ihren neuen Waffen nervös.

Ich hoffe ich täusche mich, aber es fühlt sich an als würde die amerikanische Gesellschaft immer nervöser werden. Wenn sich das so weiterentwickelt, werden wir erste Unruhen und ggf. sogar Plünderungen im Laufe des Aprils sehen. Angesichts der großen Dichte an Waffen stimmt mich das sorgenvoll. Das neue Coronavirus scheint Amerika nicht nur physisch krank, sondern auch psychisch hochnervös zu machen.

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