Vom Arztdasein in Amerika

Der Patient als juristische Gefahr – Teil III

  • Donnerstag, 27. Dezember 2012

Es lässt sich statistisch nachweisen, dass Patientenklagen wegen Behandlungsfehler in den letzten 50 Jahren stark zugenommen haben: Während vor 1960 nur knapp 15% aller US-Ärzte jemals im Laufe ihrer Karriere verklagt wurden, sind es heutzutage knapp 20% (Alan G Williams: „Physician, protect thyself”, Margol Publishing, Denver, 2007, S. 21). Die zunehmende Klagefreudigkeit der Patienten ist Realität und omnipräsent – Juristen feiern es als Befreiung des Patienten aus einem von ihnen als ehedem unmündig begriffenen Zustand, Ärzte fühlen sich hingegen in ihrer Autorität angegriffen und zum Teil verunsichert.

Der Arzt hat in den USA allerlei Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten gegen solch einen Rechtsdruck, von denen ich die wichtigsten aufzeigen will. Der allereinfachste, aber meistens nicht relevant, ist natürlich nicht als Arzt zu arbeiten oder den Patientenkontakt zu minimieren. Das kann man erreichen, indem man administrativ tätig wird oder zumindest nur Teilzeit arbeitet. Eine andere Alternative ist das Arbeiten in Systemen, in denen man im Prinzip gar nicht verklagt werden kann, wie z.B. das Militärgesundheitssystem der USA, das Veterans-Affairs-(V.A.)-System.

Eine andere Option, um juristische Streitigkeiten zu vermeiden, besteht naturgemäβ darin, eine sehr gute Behandlung mit exzellenten zwischenmenschlichen Umgangsformen durchzuführen. Doch selbst einem brillanten Diagnostiker und sympathischen Arzt unterlaufen Fehler, auch er hat Tage und Patienten, mit denen er suboptimal kommuniziert, die ihn nicht mögen und ihn juristisch haftbar machen wollen für einen schlechten Krankheitsverlauf. Abgesehen davon, dass solch ein Vorgehen einen immens hohen Zeit- und Arbeitsaufwand bedeutet und damit das maximale Patientenvolumen stark limitiert.

Eine weitere Strategie, die von der groβen Mehrheit der Ärzte angewandt wird, ist das Anwenden der sogenannten „defensiven Medizin”: Hier werden diagnostische Untersuchungen angeordnet, die zwar einen Nutzen haben, aber vor allem der juristischen Absicherung dienen und nur in seltenen Fällen tatsächlich gefährliche Diagnosen zu Tage fördern. Es geht hier um den Ausschluβ lebensgefährlicher Diagnosen, die mit hoher Wahrhscheinlichkeit zu einer gefährlichen Klage führen könnten, wenn man sie übersieht.

Man ordnet also viele Labor- und Radiologietests an: Bei Kopfschmerzen wird ein MRT-Kopf angeordnet zum Ausschluβ eines sehr unwahrscheinlichen, aber eben nicht unmöglichen Hirntumors oder -blutung, bei Bauchschmerzen ein CT-Abdomen, um eine gedeckte Perforation auszuschlieβen oder bei postoperativem Fieber, das oft nur Folge der OP und damit benigne ist, Blutkulturen, Röntgenthorax, Harnstatus mit –kulturen und manchmal auch noch Duplexsonographie der Beine und kardiale Isoenzyme mit EKG.

Bei Brustschmerzen wird fast immer ein EKG und Verlaufstroponine angeordnet, manchmal ein Thorax-CT und D-Dimere. Schnell kommen da vier- und fünfstellige Summen bei einzelnen Patienten zusammen; der Arzt fühlt sich manchmal, als stünde er mit dem Rücken zur Wand und müsste diese Untersuchungen anordnen, damit er für den Patienten alles Mögliche gemacht hat und sich in drei Jahren vor Gericht verteidigen und aufzeigen kann, dasss er eine gefährliche Aneurysmalblutung oder eine gedeckte Perforation eben doch ausgeschlossen hatte. Richter und Rechtsanwälte lassen sich nämlich eher von zu viel als zu wenig Diagnostik überzeugen.

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