Vom Arztdasein in Amerika

Die Einschläge kommen näher

  • Montag, 17. September 2012

Nun ist es offiziell: Einer meiner Internistenkollegen wird verklagt. Vor vier Wochen wurde ein Anwaltsschreiben unserem Büro zugestellt; in diesem wurde die Arztgruppe aufgefordert offenzulegen, bis zu welcher Höhe sie Schadenersatzzahlungen gegenüber Patientenklagen erstatten würde. Wie wir später erfuhren, war ein ähnliches Schreiben an ein von uns betreutes Krankenhaus, dem Internisten Dr. S. unserer Gruppe und einem Kardiologen versandt worden.

Nun folgte diesem Schreiben und den Antworten hierauf vier Wochen später das offizielle Anklageschreiben eines Rechtsanwaltes, und es wurden Schadenersatzanspüche in Höhe von 25 Millionen US-Dollar gestellt. Verklagt werden ein Kardiologe, mein obenerwähnter Internistenkollege, ein Notaufnahmearzt, die Kardiologie- und Internistengruppe, in denen diese Ärzte arbeiten und das Krankenhaus. Daneben ist auch eine Krankenschwester angeklagt, wobei diese durch das Krankenhaus finanziell abgedeckt wird.

Was war vorgefallen? Ein 61-jähriger Patient war stationär wegen Synkope im Rahmen einer sportlichen Betätigung aufgenommen worden. Ähnliches war ihm in der Vergangenheit schon einmal widerfahren. Die Initialdiagnostik einschlieβlich Röntgenthorax, EKGs, Laborparameter und kardiologischen Konsils waren ohne klaren Befund geblieben. Der Patient fühlte sich wohlauf, war weder luftnötig und nur einmal grenzwertig tachykard und drängelte meinen internistischen Kollegen ihn zu entlassen. Dieser tat es nach 24 Stunden Diagnostik und Beobachtung im Krankenhaus.

Zwei Stunden später wurde genau dieser Patient wieder aufgenommen wegen plötzlichen Herzstill­standes und musste reanimiert werden. Nach einer Stunde erfolgloser Reanimation wurde er für tot erklärt. Eine Autopsie fand statt und wies als wahrscheinliche Todesursache eine massive Lungen­embolie nach. Die Ehefrau hat nun, sechs Monate nach seinem Tod, Klage gegen alle beteiligten Parteien auf fahrlässige Tötung eingereicht und entsprechend hohe Schadenersatzansprüche gestellt – entgangenes Einkommen, entgangene Rentenansprüche und ein sehr hohes Schmerzensgeld.

Leider war bei diesem Patienten ein D-Dimer abgenommen worden und deutlich erhöht; die Erfolgsaussichten des Falles sind dementsprechend recht hoch. Aber sonst hätte der Rechtsanwalt ihn auch nicht übernommen; man sagt Rechtsanwälten nach, dass sie solche Fälle nur dann übernehmen, wenn es ein slam dunk, also ein einfach zu führender und wohl auch leicht zu gewinnender Fall sei. Dieser erfüllt all diese Kriterien: Ein noch recht junger Patient, der wenige Stunden nach Entlassung verstarb und eine Frau und Kinder mit leicht nachzuweisenden Ansprüchen hinterlässt, eine Autopsie, die die Todesursache feststellte und einige nicht ausreichend beachtete medizinische Parameter die zur Diagnose und damit erfolgreichen Therapie hätten führen können.

Mein 48-jähriger Kollege Dr. S. ist seither sehr zynisch und spricht von baldiger Berentung, nach abgesessener Gefängnisstrafe. Er wird wohl nicht ins Gefängnis müssen, aber leider wohl einen erheblichen Geldbetrag zu zahlen haben, sollte es zu einem Sieg der Gegenpartei kommen, was wohl realistisch ist. Danach bankrott erklären? Weiter arbeiten?

Was machen wir anderen Ärzte seither? Noch mehr Diagnostik, deutlich mehr CTs anordnen, noch mehr Konsile erbitten, noch vorsichtiger sein. So senkt man eben nicht Kosten in den USA.

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