Vom Arztdasein in Amerika

Umgangsformen à la américaine: Die linguistische Visite

  • Mittwoch, 23. November 2011

Die deutsche Sprache besitzt mit den Anredeformen „Du“ und „Sie“ eine einfache, aber linguistisch sehr effektive Möglichkeit, Beziehungen zwischen Gesprächspartnern dar- und herzustellen. Während das „Du“ vor allem im Familien- und Freundeskreis eingesetzt wird, ist das „Sie“ die Anredeform zwischen Unbekannten, Geschäftspartnern und nicht auf der hierarchisch gleichen Stufe Stehenden. Es bekundet Respekt.

Dass das „Du“ seit Jahren zunehmend das „Sie“ verdrängt, ist den meisten bekannt. Diese Entwicklung scheint vor allem aus dem englischsprachigen Raum zu kommen, wenngleich skandinavisch-niederländische und zu einem geringeren Grade romanische Spracheinflüsse ebenfalls mitwirken könnten.

Die englische Sprache hat diese linguistische Bipolarität schon im 17. Jahrhundert aufgegeben als das „thou“ (bzw. „thee“, „thy“, „thine“) und „you“ allmählich ineinander verschmolzen und nur noch das ursprünglich formellere „you“ übrigblieb. Klassische Literaturtexte wie die Bibel oder Shakespeares Werke enthalten dann diese für moderne Ohren ungewöhnlich klingenden Anredeformen naturgemäß nicht.

Die US-Gesellschaft ist in jüngerer Zeit noch radikaler vorgegangen in der Einebnung von linguistischen Hierarchien bzw. Schaffung eines familiären Umgangstones miteinander. Diese Entwicklung hat selbst im traditionell konservativen Medizineralltag dafür gesorgt, dass nicht nur geduzt (wobei es wenig Alternative hierzu gibt), sondern oft mit Vornamen angesprochen wird: Meine Oberärzte lassen sich nur mit Vornamen anreden, die Krankenschwestern melden sich stets nur mit ihren Vornamen und auch Patienten bestehen oft darauf, nicht etwa „Mr. Smith“ oder „Mr. Olson“ sondern „Rich“ oder „Dick“ genannt zu werden. Öfters werden auch noch Koseworte wie „Liebling“ („dear“) oder „Schätzchen“ („darling“) eingeworfen.

Wie hat man sich also – linguistisch – eine Morgenvisite zwischen Ärztin Katie Anderson, Krankenpfleger Richard Miller und Patientin Laverne Olson vorzustellen?

Ärztin: „Guten Morgen, Laverne. Wie geht es Dir, Schätzchen?“
Patientin: „Gut, Katie. Mein Durchfall hat aufgehört. Nicht wahr, Rich?“
Pfleger: „Ja, Laverne. Dein Durchfall ist besser. Katie, kann Laverne heute entlassen werden?“

Ins Deutsche übersetzt klingen diese Sätze ungewohnt; im englischen Original habe ich sie jedoch schon oft in ähnlicher oder gleicher Form vernommen. Sind das die linguistischen Zustände, die uns in deutschen Krankenhäusern in wenigen Jahrzehnten erwarten? In Betrieben werden solche Umgangsformen in der BRD schon stark forciert. Da die USA uns Deutschen oft ein Vorbild ist, würde ich einmal auf “Ja” tippen.

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