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Rücknahme von Publikationen: Wahrscheinlichkeit vor allem für viel zitierte Forschende erhöht

  • Montag, 3. Februar 2025
/apinan, stock.adobe
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Stanford – Eine Arbeitsgruppe des Department of Epidemiology and Population Health der Stanford University hat eine Datenbank mit zurückgezogenen Forschungspublikationen viel zitierter Forschenden erstellt. Die Übersicht über diese Retraktionen soll die Transparenz bei der Bewertung wissenschaftlicher Ergebnisse und Leistungen erhöhen, wie die Gruppe in Plos Biology (2025, DOI: 10.1371/journal.pbio.3002999) berichtet.

Laut der Forschungsgruppe haben sich die Gründe für zurückgezogene Publikationen im Laufe der Zeit verändert: Die klassischen, traditionellen Arten von Fehlverhalten in der Forschung wie Fälschung und Plagiate, die in der Regel jeweils nur wenige Arbeiten betrafen, wurden jetzt durch groß angelegte betrügerische Praktiken ersetzt, etwa Publikationsreihen, die eine künstliche Intelligenz erstellt hatte. Klinische und Biowissenschaften sind laut dem Forschungsteam für etwa die Hälfte der Rücknahmen verantwortlich, die offensichtlich auf Fehlverhalten zurückzuführen sind.

Andererseits weist die Gruppe ausdrücklich daraufhin, dass einige Retraktionen eindeutig nicht auf ethische Verstöße oder Autorenfehler zurückzuführen sind, sondern zum Beispiel auf Fehler der Verlage. „Außerdem kann man in vielen Fällen eine Rücknahme als Zeichen eines verantwortungsbewussten Autors betrachten, der eher beglückwünscht als bestraft werden sollte, weil er proaktive Schritte zur Korrektur der Literatur unternommen hat“, so die Gruppe. Die prompte Korrektur von Fehlern könne auch ein Zeichen für eine verantwortungsvolle Forschungspraxis sein.

Die neue Datenbank umfasst die am häufigsten zitierten 2 % der Forschenden aus jedem Wissen­schaftsbereich und verknüpft diese mit Daten aus der Retraction-Watch-Datenbank, die seit mehr als 10 Jahren zurückgezogene Ver­öffentlichungen erfasst. Ausgeschlossen wurden aber unter anderem Retraktionen, die eindeutig nicht auf einen Autorenfehler zurückzuführen waren.

Wer hat die meisten zurückgezogenen Publikationen?

Von den 217.097 am häufigsten zitierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Bezug auf den karriere­langen Impact und 223.152 in Bezug auf den Impact des Jahres 2023 hatten 7.083 (3,3 %) beziehungsweise 8.747 (4,0 %) mindestens eine Retraktion. Forschende mit zurückgezogenen Publikationen hatten ein jüngeres Publikationsalter, eine höhere Selbstzitationsrate und ein größeres Publikationsvolumen als diejenigen ohne zurückgezogene Publikationen.

Im Ländervergleich wurden in Indien (9,2 %) und China (8,2 %) vergleichsweise viele Fälle verzeich­net, während Israel (1,7 %), Belgien (2,1 %) und Finnland (2,2 %) geringe Raten aufwiesen. Deutschland lag mit 2,9 % im Mittelfeld.

Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass gerade die viel zitierten Forschenden eine erhöhte Wahr­scheinlichkeit haben, von Retraktionen betroffen zu sein, da sie insgesamt mehr publizieren und häufiger in gro­ßen Kooperationen arbeiten, bei denen der Forschungsprozess schwerer zu überblicken ist.

Bei einer systematischen Überprüfung von Retraktionen sollten daher die Fehler nicht auf die ganze Forschungsgruppe, sondern auf die verantwortlichen Autorinnen oder Autoren zurückgeführt werden. „Es ist wichtig, systematische Indikatoren für die Qualität und Integrität der Forschung Seite an Seite mit den traditionellen Daten zum Zitationseinfluss zu untersuchen“, betont die Arbeitsgruppe. Bei der Bewertung durch Gutachter sei eine weitere Analyse auf Einzelfallbasis aber unerlässlich.

Zurückziehen von Publikationen nicht pauschal krimina­lisieren

„Die Retraction-Quote von 3,3 % scheint nicht besonders hoch zu sein. Wenn man bedenkt, dass diese Autoren in der Regel 139 bis 270 Artikel veröffentlicht haben und bei der überwiegenden Mehrheit der Autoren nur eine Arbeit zurückgezogen wurde, sind das insgesamt nur sehr wenige Arbeiten“, bewertet Serge Horbach von der Radboud Universität Nijmegen die Ergebnisse.

Laut Ulrich Dirnagl, Direktor des QUEST Center for Responsible Research, Berlin Institute of Health, Charité – Universitätsmedizin Berlin, sagt die Zahl aber nicht viel – „wir wissen nicht wie viele Paper eigentlich zurückge­zogen werden müssten“, betonte er.

Dirnagl kritisiert, oft bleibe eine Retraktion trotz klarer Manipulation aus, da Autoren sich weigerten, Institutio­nen nicht ermittelten und Verlage untätig blieben. „Die niedrigen Retraktionsraten bei Top-Wissenschaftlern sind daher nur die Spitze eines weitaus größeren, unbekannten Eisbergs.“

Aber auch Dirnagl betont, das Zurückziehen von Publikationen dürfe nicht pauschal stigmatisiert oder krimina­lisiert werden. „Eine Retraktion nach ehrlichem Fehler – ob selbst erkannt oder von anderen entdeckt – zeugt von guter wissenschaftlicher Praxis. Fehler sind unvermeidlich, ihre Korrektur erfordert Mut, besonders wenn Retraktionen mit Fehlverhalten gleichgesetzt werden.“

hil

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