Sachsen-Anhalt: Mehr Herzinfarkte, aber weniger Todesfälle

Magdeburg – In Sachsen-Anhalt werden immer mehr Menschen wegen eines Herzinfarkts im Krankenhaus behandelt, allerdings sterben auch weniger daran. Das geht aus einem Sonderbericht des Statistischen Landesamts hervor, den Präsident Michael Reichelt heute in Magdeburg vorstellte. Landessozialminister Petra Grimm-Benne (SPD) spricht von „erschreckenden Zahlen“.
Laut Report wurde zwischen Altmark und Zeitz im Jahr 2014 jeder fünfte Sterbefall durch sogenannte ischämische Herzkrankheiten verursacht. Allein 953 Frauen und 1.329 Männer starben an einem Herzinfarkt. Zwar verringerten sich damit seit dem Jahr 2000 die Herzinfarkt-Sterbefälle je 100.000 Einwohner in Sachsen-Anhalt immerhin um 16,5 Prozent. Im Bundesdurchschnitt gab es allerdings zeitgleich einen Rückgang um 30,5 Prozent. Damit liegt Sachsen-Anhalt bei der Infarktsterblichkeit nach wie vor um knapp 65 Prozent über dem Bundesdurchschnitt – und im Ländervergleich auf dem letzten Platz.
Regionale Unterschiede
Der Bericht des Statistischen Landesamts zeigt aber auch auf, dass es deutliche regionale Unterschiede innerhalb Sachsen-Anhalts gibt. So erlagen in Dessau-Roßlau, in den Landkreisen Stendal und dem Altmarkkreis Salzwedel in allen untersuchten Jahren weniger Menschen einem Herzinfarkt als im Landesschnitt. Im Landkreis Anhalt-Bitterfeld lag die Sterblichkeit darüber. Außer im Landkreis Harz ging die Herzinfarktsterblichkeit in allen Landkreisen und kreisfreien Städten zwischen den Jahren 2000 und 2014 zurück. Der das größte Minus verzeichnete Magdeburg mit 44,2 Prozent.
Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) setzt weiter auf die Gesundheitsziele des Landes, die Menschen zu mehr Bewegung, gesünderem Essen, weniger Rauchen und weniger Alkoholgenuss zu bewegen. „Mit den Krankenkassen zusammen muss etwas passieren, und es passiert ja auch schon viel“, sagte sie. Die Ministerin verwies zudem auf das Herzinfarktregister, das speziell Halle und die Altmark in den Fokus genommen hat und nach Ursachen für die hohe Zahl von Herzinfarkten sucht. Ziel sei es, speziell in den Regionen Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten zu geben. Grimm-Benne strebt eine längere Laufzeit an und eine Ausweitung auf weitere Landesteile.
Forschung ausgebaut
Gesundheitspolitiker und Forscher haben das ostdeutsche Bundesland deshalb schon seit längerem in den Fokus genommen. Seit drei Jahren wird in Sachsen-Anhalt das Herzinfarktregister (Rhesa) aufgebaut, das anhand von Daten aus der Stadt Halle und der ländlichen Altmark den Ursachen der überdurchschnittlich hohen Sterblichkeit auf den Grund geht. Mit „Medea“ gibt es ein weiteres wissenschaftliches Projekt, das in der Region Magdeburg die genauen Umstände von Herzinfarkten wie Vorerkrankungen und das Wissen um Warnzeichen eines Infarkts untersucht.
Für Thomas Meinertz von der Deutschen Herzstiftung ist die überdurchschnittlich hohe Infarktsterblichkeit in Sachsen-Anhalt offenkundig „kein Zufall“. Die wichtigsten Risikofaktoren treten demnach dort gehäuft auf: Neben Diabetes sind das Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht und ein zu hoher Cholesterinspiegel.
Die Häufung solcher Risikofaktoren führen Experten wiederum zum großen Teil auf ungünstige soziale Bedingungen zurück. Hohe Arbeitslosigkeit etwa und ein hoher Anteil von Schulabgängern ohne Abschluss seien in diesen Regionen stärker vertreten und spielten „für die Erklärung der überdurchschnittlichen Infarktsterblichkeit eine wichtige Rolle“, meinte Andreas Stang, Mitautor des aktuellen Herzberichts.
Tatsächlich gehörte Sachsen-Anhalt schon 1992 und auch 20 Jahre später zu den Spitzenreitern beim Anteil an Schülern, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Das Bundesland weist auch den geringsten Anteil von Erwachsenen auf, die eine (Fach-)Hochschulreife abgelegt haben. Auch die Arbeitslosigkeit ist eine der höchsten bundesweit. Nicht zuletzt könnten strukturelle Gründe mitverantwortlich sein. So zeigten erste Daten des Herzinfarktregisters Rhesa, dass bis zur Alarmierung des Rettungsdienstes im Schnitt mehr als eine Stunde vergeht.
Zudem gehört Sachsen-Anhalt zu den Bundesländern mit der geringsten Versorgungsdichte bei Kardiologen. Während etwa im Bundesdurchschnitt ein Kardiologe auf rund 24.500 Einwohner kommt, muss ein Herzspezialist in Sachsen-Anhalt im Schnitt 30.210 Patienten betreuen. Zum Vergleich: In Bremen ist die Versorgungsdichte mit einem Kardiologen auf rund 18.390 Einwohner am höchsten.
Mit Hilfe der Rhesa-Daten sollen gezielte Maßnahmen für eine bessere Patientenversorgung angeschoben werden. Dass heißt auch mehr Aufklärung und Prävention. Um die Sterblichkeit zu senken, müssten aber auch bislang unerkannte Erkrankungen an den „stillen Killern“ Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen früher entdeckt und behandelt werden. Die Zahl der unentdeckten Hochdruckpatienten und Diabetiker geht Experten zufolge bundesweit „in die Millionen“. Vor allem in Regionen mit vielen Infarkttoten müssten die Menschen daher früh für Kontrolluntersuchungen sensibilisiert werden.
Neben Rhesa wurden in Sachsen-Anhalt weitere Maßnahmen angestoßen: Erst im Mai dieses Jahres hat die Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität das Mitteldeutsche Herzzentrum (MDHZ) gegründet. Ziel ist es, die Versorgung der Patienten in Sachsen-Anhalt zu verbessern. „Um dieses Ziel flächendeckend zu erreichen, kooperiert das MDHZ mit mehr als 20 Krankenhäusern und niedergelassenen Kardiologen im ganzen Bundesland – auch im ländlichen Raum“, sagte Simone Heinemann-Meerz, Präsidentin der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, damals. Eine wesentliche Aufgabe des MDHZ soll neben der Therapie die Versorgungsforschung einnehmen. „Nur so können wir an den richtigen Stellen ansetzen und langfristig die hohe Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken“, so Heinemann-Meerz.
Sie hatte bereits im Februar im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt davor gewarnt, bei der Analyse der Zahlen, den Haus- und Fachärzten die Schuld für die Probleme zu geben. „Wir haben im Bundesdurchschnitt die geringste Arztdichte in Sachsen-Anhalt. Es mangelt an Haus- und Fachärzten“, sagte sie dem DÄ. Trotz der hohen Arbeitsverdichtung leisteten diese „Tag für Tag eine qualitativ hochwertige Medizin“. Die im Bundesvergleich zu geringe Facharztdichte in Sachsen-Anhalt dürfe nicht dazu führen, dass die Hausärzte noch mehr beansprucht würden. „Die Schmerzgrenze ist längst erreicht“, sagte sie.
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