Sachverständige im Bundestag fordern Überprüfung des Betäubungsmittelgesetzes
Berlin – Die Anti-Drogenpolitik in Deutschland muss nach Ansicht von Ärzten, Sozialwissenschaftlern und Strafrechtlern überprüft und korrigiert werden. Bei einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages am Mittwoch zu einem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke machten die Sachverständigen mehrheitlich deutlich, dass sie Strafandrohungen gegen Drogenkonsumenten, aber auch gegen Ärzte, sehr kritisch sehen. Eine wissenschaftliche Evaluation des Betäubungsmittelgesetzes (BtmG) sei überfällig. Das fordert auch die Opposition in dem Antrag „Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts überprüfen“ (Bundestagsdrucksache 18/1613).
„Das BtmG hat in den 40 Jahren seines Bestehens vor allem junge Menschen kriminalisiert. Eine abschreckende Wirkung hat das Verbot jedoch nicht“, begründete Harald Terpe, sucht- und drogenpolitischer Sprecher der Grünen den Antrag. Gesundheitsschutz, Jugendschutz und wirkungsvolle Prävention seien unter den Bedingungen des Schwarzmarktes nicht möglich. „Die Repression ist gescheitert“, betonte auch Frank Tempel, drogenpolitischer Sprecher der Linken.
Anlass für den Antrag der beiden Oppositionsparteien war eine Resolution mit der Forderung, das BtmG zu evaluieren. Diese hatte der Strafrechtsprofessor a.D. Lorenz Böllinger initiiert. Seiner Forderung schloss sich knapp die Hälfte der deutschen Strafrechtsprofessoren an. Die Prohibition widerspreche den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzipien, heißt es darin. „Die strafrechtliche Verfolgung hat nichts gebracht, und die unbeabsichtigten Nebenwirkungen des Gesetzes sind zu hoch“, argumentiert Böllinger. Jährlich würden rund 500 Millionen für die Strafverfolgung ausgegeben, aber nur ein Zehntel davon für die Prävention von Drogenkonsum.
Selbstschädigung ist straflos
„Trotz hoher Strafen ist der Konsum von illegalen Drogen in den letzten 40 Jahren nicht geringer geworden. Die Konsumenten lassen sich mit Verboten nicht davon abhalten“, berichtete auch Harald-Hans Körner, Oberstaatsanwalt a.D., früher mit Betäubungsmittelkriminalität befasst und Kommentator des BtmG. Überdies sei die Selbstschädigung straflos, andernfalls müssten auch Sammler von Giftpilzen, Raucher und Alkoholiker bestraft werden. Beim Drogenhandel, wenn also andere geschädigt werden, müsse der Gesetzgeber allerdings streng eingreifen.
„Das BtmG ist ein sehr gut funktionierendes Gesetz und hat sich bewährt“, befand hingegen Jörn Patzak, ebenfalls Oberstaatsanwalt. Rund 2,4 Millionen Cannabiskonsumenten und rund 700.000 Konsumenten anderer illegaler Drogen seien im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Deutschland nicht viel. „Bei einer Lockerung des BtmG geht die Generalprävention verloren“, glaubt Patzak.
Ein Beleg für die generalpräventive Wirkung des Gesetzes seien Aussagen von Konsumenten Neuer Psychoaktiver Substanzen (NPS) wie: „Die sind ja legal, also sind sie harmlos“, die er häufig in Ermittlungsverfahren höre. Änderungsbedarf gibt es aber nach Ansicht von Patzak und der von anderen Experten: Bei Cannabis müssten bundesweit einheitliche Mengen für den vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich gewährten zulässigen Eigengebrauch festgelegt werden. Die Regelungen sind in den Ländern sind höchst unterschiedlich.
Die Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin, Kerstin Jüngling, sprach sich dafür aus, die Strafverfolgung nicht grundsätzlich abzuschaffen, aber auf ein normales Maß zurückzuführen. Deutlich gestärkt werden müsse die Prävention. Gerade junge Menschen bräuchten mehr fachliche Hilfestellung, um „risikokompetente Entscheidungen“ treffen zu können.
„Alles, was der Arzt sinnvollerweise machen möchte, ist strafbewährt“
Auf die Frage der Bundestagsabgeordneten, welche Auswirkungen das Drogenverbot auf die Behandlung von schwer Suchtkranken habe, antwortete Jörg Gölz, Allgemeinarzt in einer suchtmedizinischen Schwerpunktpraxis, unmissverständlich: „Es zerstört den zum Teil lebenslangen therapeutischen Prozess, denn alles, was der Arzt sinnvollerweise machen möchte, ist strafbewährt.“
So werde Ärzten beispielsweise nicht zugestanden zu entscheiden, Patienten in Substitutionsbehandlung Methadon für sieben Tage oder aber für 30 Tage mit nach Hause geben. „Ich muss zum Beispiel einer 62-jährigen suchtkranken aber voll integrierten Frau zumuten, sich Woche für Woche mit Rezept in die Substitutionsmittel ausgebende Apotheke zu begeben“, erläutert Gölz.
Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin setze sich seit Jahren dafür ein, dass Ärzte bei Verstößen gegen die Vorschriften zur Abgabe von Substitutionsmitteln nicht länger nach dem „Dealerparagrafen“ (§29 BtmG) strafrechtlich verfolgt werden können, berichtete deren Sprecher, Klinikarzt Hans-Günter Meyer-Thompson, Hamburg. Er forderte die Abgeordneten nachdrücklich dazu auf, nicht aus parteitaktischen oder ideologischen Gründen „die lange überfällige“ wissenschaftliche Evaluation des mehr als 40 Jahre alten Betäubungsmittelgesetzes zu verhindern.
Es gebe heute neue Erkenntnisse in der Suchtforschung: So werde die totale Abstinenz bei Drogen oder auch bei Alkohol oft nicht mehr angestrebt, weil sie sich nicht bei jedem Patienten umsetzen ließe. Hinzu komme die erfolgreiche Substitution harter Drogen als gleichwertige Behandlung, die rechtlich besser untersetzt werden müsse, auch um eben die verschreibenden Ärzte zu schützen.
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