SARS-CoV-2: Antikörpertiter in Island seit 4 Monaten stabil
Reykjavik – In Island, wo die Ausbreitung von SARS-CoV-2 durch Massentests der Bevölkerung sehr genau verfolgt wurde, haben mehr als 90 % der Infizierten Antikörper gegen SARS-CoV-2, deren Konzentration seit mittlerweile 4 Monaten stabil geblieben ist.
Die im New England Journal of Medicine (2020; DOI: 10.1056/NEJMoa2026116) publizierten Ergebnisse lassen auf eine längerdauernde Immunität schließen und relativieren damit Berichte der letzten Wochen über rasch zurückgehende Antikörperkonzentrationen.
In Island hatte es Ende Februar die ersten bestätigten COVID-19-Erkrankungen gegeben. Die Gesundheitsbehörden reagierten mit Massentests, die zunächst allen Reiserückkehrern und später auch anderen Einwohnern mit Symptomen oder Kontakten zu Infizierten angeboten wurden.
Insgesamt 15 % der Bevölkerung wurden damals getestet. Bis Ende April wurden 1.797 Infektionen gefunden. Danach war die erste Welle vorüber. Derzeit kommt es nur noch zu vereinzelten Infektionen.
Ein Team um Kari Stefansson von der Firma „deCODE genetics“ in Reykjavik, die normalerweise Erbgutanalysen der Bevölkerung durchführt, hat seither die Entwicklung der Immunität beobachtet.
Getestet wurden nicht nur 1.237 Personen, deren Infektion durch Gennachweis im Abstrich bestätigt wurde. Eine zweite Gruppe bestand aus 4.222 Personen, die sich in Quarantäne begeben hatten. Eine dritte Gruppe bildeten 23.452 nicht exponierte Personen.
Insgesamt wurden Antikörpertests bei 8,4 % der isländischen Bevölkerung durchgeführt. Die Forscher verwendeten 6 verschiedene Antikörpertests, darunter 2 Pan-Ig-Tests, die alle Antikörperklassen erfassen.
Von den Personen, die sich von einer Infektion mit SARS-CoV-2 erholt haben, hatten 91,1 % Antikörper gegen das Virus im Blut. Die Antikörpertiter in den beiden Pan-Ig-Tests stiegen in den ersten beiden Monaten nach der Infektion an und sind auch nach 4 Monaten nicht wieder abgefallen.
Von den unter Quarantäne gestellten Personen waren 2,3 % seropositiv. Bei den nicht-exponierten Personen hatten 0,3 % Antikörper gegen SARS-CoV-2 im Blut. Die Forscher schätzen die Seroprävalenz in der isländischen Bevölkerung auf insgesamt 0,9 %.
Da bisher nur 10 Personen an COVID-19 starben, beträgt die Infection-Fatality-Rate nur 0,3 % (sie sollte nicht mit der Case-Fatality-Rate verwechselt werden, die sich auf die Erkrankten oder hospitalisierten Patienten bezieht und wesentlich höher ist).
Von den SARS-CoV-2-Infektionen wurden laut Stefansson nur 56 % durch Abstrichuntersuchungen (PCR-Nachweis von SARS-CoV-2) erkannt. Weitere 14 % traten bei den Personen auf, die sich in Quarantäne befanden. Die übrigen 30 % der Infizierten waren durch das Netz geschlüpft.
Das Abstrich-Screening und die Quarantänemaßnahmen waren demnach lückenhaft, und es darf vermutet werden, dass die Epidemie ohne zusätzliche Maßnahmen zur räumlichen Distanzierung, die in Island zögerlich, aber dann konsequent eingeführt wurden, nicht eingedämmt worden wäre.
Die stabilen Antikörpertiter in der isländischen Bevölkerung stehen im Gegensatz zu 2 Studien der letzten Wochen, nach denen die Immunität rasch nachlässt (Nature Medicine, 2020; DOI: 10.1038/s41591-020-0965-6 und NEJM, 2020; DOI: 10.1056/NEJMc2025179).
Galit Alter vom Ragon Institute in Boston führt die widersprüchlichen Ergebnisse in einem Editorial (NEJM, 2020; DOI: 10.1056/NEJMe2028079) auf die Dynamik der Antikörperbildung zurück, die nach einer Infektion (oder einer Impfung) in 2 Wellen erfolge.
In der ersten Welle würden kurzlebige Plasmazellen eine sehr hohe Konzentration von Antikörpern bilden. Nach dem Abebben würden in einer zweiten Welle langlebige Plasmazellen eine niedrigere, aber konstante Menge von Antikörpern produzieren.
Der von den beiden Forschergruppen entdeckte Abfall der Antikörpertiter könnte laut Alter in dem Zeitraum nach dem Abklingen der ersten Welle beobachtet worden sein und deshalb fälschlicherweise auf ein Abklingen der Immunität hindeuten.
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