SARS-CoV-2: Warum Alpha ansteckender ist und Beta eher der Immunantwort entgeht

Boston – Die rasche Ausbreitung der Alphavariante und der Immunescape der Betavariante von SARS-CoV-2 sind Folgen von Mutationen, die das S-Protein des Coronavirus verändert haben. US-Forscher haben dies mit der Kryoelektronenmikroskopie genauer analysiert. Die Ergebnisse wurden in Science (2021; DOI: 10.1126/science.abi9745) vorgestellt.
Welche Folgen die verschiedenen Mutationen von SARS-CoV-2 haben, hat sich in den letzten Wochen bei der Entwicklung der Infektionszahlen und der Belastung der Krankenhäuser gezeigt. Die Alphavariante hat sich zuerst in England und in anderen Ländern innerhalb weniger Wochen durchgesetzt und dort zu einem Anstieg der schweren Erkrankungen geführt.
Bin Chen vom Boston Children’s Hospital führt dies vor allem auf die Mutationen A570D und S982A zurück. Diese haben das S-Protein in einer Weise verändert, die die Chance erhöhte, dass die Rezeptorbindungsstelle des S-Proteins am Rezeptor ACE2 der Wirtszelle andockt. Im Detail geschah dies durch eine Außenverschiebung der C-terminalen Domäne 1.
Dadurch wurde die FPPR-Region („fusion peptide proximal region“) und eine sogenannte 630-Schleife entspannt. Das S-Protein öffnet gewissermaßen seine Arme: RBS und ACE2 können sich unbehindert annähern.
Sobald das RBS den Rezeptor erreicht, stabilisieren sich die 630-Schleifen mit den benachbarten Protomeren der C-terminalen Domäne 2. Das N-terminale Segment des S2-Abschnitts des S-Proteins faltet sich zusammen. Das S-Protein schließt gewissermaßen seine Arme und verhindert dadurch, dass sich S-Protein und Rezeptor wieder trennen.
Die Bedeutung der Mutation N501Y besteht laut Chen in einer stärkeren Affinität mit dem Rezeptor: Sie beruht wahrscheinlich auf einer hydrophoben Interaktion der Aminosäure Tyrosin an Position 501 des S-Proteins mit der Aminosäure Tyrosin an Position 41 von ACE2. Auch eine Kation-kappa-Interaktion mit Lysin an Position 353 in ACE2 könnte eine Rolle spielen.
Diese Kombination aus verbesserter Präsentation der Behandlung Rezeptorbindungsstelle und zusätzlichen lokalen Interaktionen könnte es nach Einschätzung von Chen der Alpha-Variante ermöglichen, neben den Nasen- und Bronchialepithelzellen noch andere Zelltypen mit niedrigeren ACE2-Spiegeln zu infizieren. Dieser erweiterte Zelltropismus könnte für das erhöhte Mortalitätsrisiko der Alphavariante verantwortlich sein.
Die gute Nachricht ist, dass die Mutationen in der Alphavariante zu keinen größeren strukturellen Umlagerungen in der Rezeptorbindungsstelle und in der N-terminalen Domäne geführt haben. An diesen Stellen binden die meisten neutralisierenden Antikörper, die durch eine Impfung und frühere Erkrankungen erzeugt wurden. Die Alphavariante hat deshalb zu keinem großen Immunescape geführt. Die Impfstoffe blieben weiter wirksam.
Bei der Betavariante, die zuerst in Südafrika beobachtet wurde, ist die Situation anders. Die Struktur des S-Proteins blieb nach den kryoelektronenmikroskopischen Aufnahmen weitgehend erhalten. Das S-Protein öffnet demnach nicht seine Arme, um RBS und ACE2 näher zu bringen. Die Mutationen N501Y, K417N und E484K in der Rezeptorbindungsstelle hätten hier keine größeren strukturellen Veränderungen verursacht, so Chen.
Ein Verlust von Salzbrücken zwischen K417 (aus dem S-Protein) und Asparaginsäure (an Position 30 auf dem ACE-Rezeptor) sowie zwischen Glutaminsäure (an Position 484 aus dem S-Protein) und Lysin (an Position 31 auf dem ACE2-Rezeptor) könnten die von N501Y vermittelte erhöhte Rezeptoraffinität sogar vermindert haben. Dies könnte erklären, warum die Betavariante sich nicht so stark ausgebreitet hat.
Wenn es allerdings zu einer Infektion kommt, ist der Schutz durch eine frühere Erkrankung mit einer anderen Variante oder durch eine Impfung vermindert. Die Mutationen K417N und E484K haben nach Einschätzung von Chen dazu geführt, dass die Antikörper die Rezeptorbindungsstelle nicht mehr erkennen.
Auch die Antikörper gegen die N-terminale Region greifen aufgrund weiterer Mutationen in der Betavariante ins Leere. Chen geht davon aus, dass ein Booster mit einem neu konzipierten Impfstoff nötig wird, um Infektionen mit der Beta-Variante sicher zu verhindern (falls sich diese Variante ausbreiten sollte).
Eine echte neue Bedrohung geht nach Einschätzung von Chen weder von der Alpha- noch von der Betavariante aus. Problematisch wäre ein Virus, dass sich in allen drei Aspekten verändert. Es müsste sich leichter ausbreiten, die Immunität von geimpften oder genesenen Personen umgehen und schwerere Krankheiten verursachen.
Da die Kryoelektronenmikroskopie zeitaufwendig ist, liegen noch keine Ergebnisse zu den Varianten Gamma (Brasilien) und Delta (Indien) vor. Derzeit nehmen die Forscher die Deltavariante näher unter die Lupe.
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