Medizin

Schizophrenie: Avatartherapie schwächt akustische Halluzinationen

  • Dienstag, 28. November 2017
/bilderstoeckchen, stock.adobe.com
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London – Ein persönlicher Avatar, über den Schizophreniepatienten in einen persön­lichen Dialog mit den Stimmen eintreten, die sie bedrohen, hat in einer randomisierten Studie in Lancet Psychiatry (2017; doi: 10.1016/S2215-0366(17)30427-3) den Patienten besser geholfen als ein unterstützendes Gespräch mit dem Therapeuten.

Etwa 60 bis 70 Prozent aller Patienten mit Schizophrenie haben akustische Halluzina­tionen. Die meisten sind dabei abwertenden und bedrohlichen Kommentaren ausge­setzt, die ihr Selbstbewusstsein zerstören können. Die Versicherung der Therapeuten, dass die Stimmen nicht real sind und der Inhalt deshalb ignoriert werden kann, überzeugt viele Patienten nicht. Auch Antipsychotika können die akustischen Halluzi­nationen meistens nicht abstellen.

Die Avatartherapie, die Psychiater am King’s College London entwickelt haben, soll den Patienten helfen, die akustischen Halluzinationen als weniger bedrohlich zu erleben und möglicherweise ganz abzustellen. Die Patienten treten während einer 50-minü­ti­gen Therapiesitzung für 10 bis 15 Minuten am PC mit einem Avatar in Kontakt, dessen Aussehen und Stimme sie vorher selbst ausgewählt haben. Der Avatar sollte dabei möglichst im gleichen Tonfall reden wie die Stimmen, die die Patienten im Alltag bedrohen.

Die Antworten des Avatars werden vom Psychiater bestimmt, der auch den Verlauf des Gesprächs lenkt. Das Ziel besteht darin, einen konstruktiven Dialog zwischen Patient und Avatar herzustellen, bei dem der Patient in einer Art Rollenspiel langsam den dominierenden Part übernimmt. Am Ende kann der Patient dem Avatar beispielsweise mitteilen, dass er ihm nicht länger zuhört und schon gar nicht seinen Befehlen folgt. Dieses Selbstbewusstsein soll dem Patienten helfen, seine akustischen Halluzinationen im Alltag besser zu verarbeiten.

Die Avatartherapie wurde in einer randomisierten Studie klinisch getestet. 150 Patienten, die etwa 20 Jahre lang an Schizophrenie erkrankt waren, wurden einer Avatartherapie oder einer unterstützenden Therapie zugelost. In beiden Gruppen nahmen die Patienten ihre antipsychotischen Medikamente weiter ein.

Primärer Endpunkt der Studie war der Psychotic Symptoms Rating Scales Auditory Hallucinations (PSYRATS–AH), der die akustischen Halluzinationen mit 0 bis 42 Punkten bewertet. Wie Tom Craig und Mitarbeiter vom King’s College London berichten, kam es unter der Avatartherapie zu einem um 3,82 Punkte stärkeren Rückgang des PSYRATS–AH als unter der konventionellen Therapie. Der Unterschied war mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,94 bus 6,70 Punkten statistisch signifikant.

Die Patienten ertrugen die Stimmen nicht nur besser, die akustischen Halluzinationen wurden auch insgesamt seltener. 7 Probanden sagten bei der Abschlussuntersuchung, dass sie in den vergangenen 7 Tagen gar keine Stimmen mehr gehört hätten (gegen­über 2 Patienten in der Kontrollgruppe). 

Die Wirkung hielt auch nach weiteren 12 Wochen an. In dieser Zeit erzielte allerdings auch die Gesprächstherapie eine günstige Wirkung, sodass die Unterschiede nicht mehr signifikant waren. Es könnte deshalb sein, dass das Rollenspiel mit dem Avatar nach einiger Zeit wieder aufgenommen werden muss. Zu bedenken ist auch, dass die Patienten im Durchschnitt 3 bis 4 Stimmen hörten und sich die Avatartherapie immer nur mit einer Manifestation der akustischen Halluzinationen beschäftigen konnte.

rme

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