Medizin

Schizophrenie: Infektion plus Stress macht Mäuse psychotisch

  • Freitag, 1. März 2013

Zürich – Die Kombination aus einer pränatalen Virus-Infektion und chronischem Stress in der Pubertät kann bei Mäusen Verhaltensauffälligkeiten auslösen, die Schweizer Wissen­schaftler in Science (2013; 339: 1095-1099) als eine Bestätigung für das „Two-Hit“-Mo­dell der Schizophrenie deuten, die den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Pathogenese der Psychose zu erklären versucht.

Die Ursache der Schizophrenie, an der rund ein Prozent der Bevölkerung leidet, ist unbekannt. Das „Two-Hit“-Modell vermutet, dass Umweltfaktoren eine Rolle spielen könnten. So haben epidemiologische Studien gezeigt, dass es nach schweren Grippe-Epidemien (beispielsweise der Asiatischen Grippe von 1957) zeitversetzt zu einem Anstieg der Schizophreniediagnosen unter jungen Erwachsenen kommt (Archives of General Psychiatry 1988; 45: 189-192).

Nur ein geringer Anteil der exponierten Feten erkrankt jedoch später, weshalb ein zweiter Schlag notwendig ist. Dieser wird, da die Schizophrenie meistens im jungen Erwachsenenalter auftritt, in der Pubertät vermutet.

Ein Team um Urs Meyer von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich hat jetzt die Situation im Labor an Mäusen nachgestellt. Ob Mäuse an einer Schizophrenie erkranken können, ist zwar nicht bekannt, da die Diagnose nur klinisch durch Befragung der Patienten gestellt werden kann. Eine schwere Schizophrenie wird allerdings von bestimmten kognitiven Defiziten und Verhaltensweisen begleitet, die sich auch bei Mäusen beobachten lassen.

Um die „Two-Hit“-Situation nachzustellen, wurden die Muttertiere in der Spätschwan­gerschaft mit synthetischen Substanzen behandelt, die eine Immunreaktion wie nach einer Viruserkrankung bei den Feten induzieren. Im Alter von 6 Wochen wurden die Jungmäuse dann Stressoren ausgesetzt, die Konfliktsituationen von Jugendlichen in der Pubertät entsprechen. Eine zweite und dritte Gruppe wurde jeweils nur einem der beiden Trigger ausgesetzt. In einer vierten Gruppe wuchsen die Tiere ungestört auf.

Wie Meyer nachweisen konnte, zeigten die Tiere der ersten Gruppe, die beiden Stressoren ausgesetzt waren, ein verstärktes pathologisches Verhalten. So vermeiden die von Natur aus scheuen Tiere den Aufenthalten auf erhöhten Plattformen, was im sogenannten „Elevated plus maze“ untersucht wird. Auch die „Prepulse inhibition“ war bei den doppelt-getriggerten Mäusen vermindert.

„Prepulse inhibition“ beschreibt die Eigenschaft des gesunden Gehirns durch ein lautes Geräusch weniger erschreckt zu werden, wenn ihm ein leiser Ton vorausgeht. Bei Patien­ten mit Schizophrenie geht diese Fähigkeit häufig verloren, ebenso bei Mäusen, wenn sie pränatal und in der Pubertät „getriggert“ wurden.

Ein weiteres Kennzeichen der Schizophrenie ist eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber einem Drogenkonsum. Auch die Versuchstiere der Schweizer Forscher reagierten nach der doppelten Triggerung massiv stärker auf psychoaktive Substanzen wie Amphetamin.

Weitere Belege fand der Forscher bei der histologischen Untersuchung der Gehirne. Nach der doppelten Triggerung war die Aktivierung von Mikrogliazellen im Hippocampus und im präfrontalen Cortex (zwei für Symptome der Schizophrenie wichtige Hirnregionen) deutlich gesteigert. Die Mikroglia gehört zum Immunsystem des Gehirns.

Meyer vermutet, dass die pränatale Infektion ein immunologisches „Gedächtnis“ induziert, dass dann während der Pubertät durch einen massivem, chronischen Stress – etwa sexuellen Missbrauch oder körperliche Gewalt – erneut aktiviert wird. Das Immun­system könnte dann in einer Art Überreaktion einen Schaden an der „Hardware“ des Gehirns bewirken, der nicht mehr reparierbar ist und zu einer unheilbaren Schizophrenie führt.

Ob entsprechende hirnorganische Veränderungen auch beim Menschen auftreten, lässt die Studie offen. Die tierexperimentelle Studie untersucht nur einen von vielen Aspekten der Schizophrenie. Die Studie ist deshalb kein Beweis, dass die Erkrankung eine Folge von Stressoren in der Pränatalphase und der Pubertät. Die epidemiologischen Befunde zum Einfluss der Grippe auf die Prädisposition sind übrigens umstritten. Eine Meta-Ana­lyse im Schizophrenia Bulletin (2010; 36: 219–228) konnte die vermutete Assoziation mit der asiatischen Grippe kürzlich nicht bestätigen.

rme

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