Politik

Schlagabtausch zu Priorisierung beim DÄ-Wortwechsel

  • Donnerstag, 20. November 2008
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Berlin – Das Geld reicht im deutschen Gesundheitswesen nicht aus, um alles zu finanzieren, was möglich und wünschenswert wäre. Könnte eine offene, transparente Priorisierung, also eine zuvor in der Gesellschaft diskutierte Festlegung auf eine Rangfolge von Erkrankungsarten und ihrer Behandlungsmöglichkeiten Abhilfe schaffen? Darüber  diskutierten Referenten und Teilnehmer kontrovers beim dritten „Wortwechsel“ des Deutschen Ärzteblatts am Mittwoch in Berlin. Dessen Thema lautete: „Priorisierung? Na endlich!“

„Priorisierung hilft, sofern sinnvoll vorgenommen, Rationierung hinauszuschieben“, befand Uwe Preusker. Der Berater und Publizist informiert seit Jahren über die Gesundheitssysteme in Nordeuropa und verfolgt die Priorisierungsprozesse in Schweden und Finnland. Seiner Meinung nach besteht dort zwar ein breiter Konsens, dass Priorisisierung ein sinnvoller Weg ist. Die Folgen für die Versorgung der Patienten, beispielsweise Wartelisten, seien jedoch nicht unumstritten.

„Ich habe noch niemals einem Patienten eine Leistung wegen der Listen verweigern müssen“, betonte Jörg Carlsson. Der Kardiologe zog vor fünf Jahren von Deutschland nach Schweden und arbeitet nun an einer Klinik in Kalmar. Für sein Fachgebiet existiert eine Priorisierungs-Leitlinie, die allen medizinischen Maßnahmen von der Vorbeugung bis zur Rehabilitation eine Rangfolge von eins (hoch) bis zehn (niedrig) zuordnet. Zusätzlich werden Maßnahmen gelistet, die man unterlassen sollte beziehungsweise die nur innerhalb eines Forschungsprojekts vorgenommen werden sollten.

Carlsson hatte kürzlich in einem Artikel darauf verwiesen, dass die Priorisierung auf Basis der Leitlinien nicht zu einer Begrenzung sinnvoller Maßnahmen und finanzieller Mittel für die Kardiologie geführt habe. Dagegen hätten sich die Behandlungsstandards angeglichen und verbessert.

Er verwies jedoch auch darauf, dass man sich bisher in Schweden noch nicht an horizontaler Priorisierung versucht habe, also an einer Rangfolge von Behandlungsmöglichkeiten aus verschiedenen Gebieten. Die Schwierigkeiten damit habe eine Expertin kürzlich in einem Satz zusammengefasst. Er lautete: „Was dürfen zwei Monate Lebensverlängerung durch Chemotherapie kosten, wenn es neue Rheumaarzneimittel gibt und eine unterentwickelte Psychiatrie?“

Forderungen nach einer Priorisierung auch in Deutschland  wies Klaus-Theo Schröder heftig zurück. Dies sei eine kleinmütige Diskussion „angesichts dessen, was das System der gesetzlichen Krankenversicherung in der Fläche geleistet hat“, erklärte der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium. Als Beispiele verwies er auf ein heute flächendeckendes Dialyseangebot und die Chance auf eine Herztransplantation für alle Bürger.

Länder wie Schweden und Finnland kämpften mit einer Wartelisten-Medizin; die Priorisierung dort sei auch eine Antwort auf die Frage, wie man es besser machen könne. „Ich halte das deutsche System für viel robuster, als manche meinen“, betonte Schröder. Wer über Priorisierung diskutieren wolle, treibe doch in Wirklichkeit die Debatte um den zweiten Gesundheitsmarkt und neue Einkommensmöglichkeiten voran.

Schröders Einstellungen teilte Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, nicht. Die Ärzteschaft beklage längst „eine Form von Rationierung, die sich nicht öffentlich darstellt“, sagte Hoppe. Es mangele an Personal, Wartungen würden in die Länge gezogen, und in der Breitenversorgung klagten viele Ärzte darüber, „dass die Möglichkeiten der Medizin nicht mehr jedem zugute kommen“.

„Das Notwendige wird immer mehr vom Finanzierbaren her bestimmt“, kritisierte Hoppe. Es sei sinnvoll, öffentlich über Priorisierung zu diskutieren, um die Lage hierzulande zu bewerten.

Rie

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