Schleudertrauma: Beratung und Physiotherapie wenig wirksam

Warwick – Patienten mit einem Schleudertrauma der Halswirbelsäule können mit ausreichenden Schmerzmitteln und der Versicherung, dass die Erkrankung trotz der heftigen Schmerzen harmlos ist, nach Hause entlassen werden. Eine intensive Beratung auf der Notfallaufnahme hat sich in einer randomisierten Studie im Lancet (2012; doi: 10.1016/S0140-6736(12)61304-X) als nutzlos erwiesen. Auch ein Physiotherapie-Paket erzielte bei Patienten mit anhaltenden Beschwerden nur eine begrenzte Wirkung.
Ein Schleudertrauma ist äußerst schmerzhaft und die Schonhaltung der Patienten schreit förmlich nach der Verordnung einer Halskrause. Doch wie bei Schmerzen im unteren Rücken kann eine Immobilisierung schnell zu einer Chronifizierung der Schmerzen führen. Die Tendenz geht deshalb dahin, die Patienten ausreichend mit Analgetika zu versorgen und ihnen eine möglichst rasche Wiederaufnahme des normalen Tagesablaufs zu empfehlen.
Die Erfahrung zeigt allerdings, dass viele Patienten lange an Nackenschmerzen, Schwindel und anderen Folgen des Schleudertraumas laborieren. In der „Managing Injuries of the Neck Trial“ oder MINT-Studie wurde deshalb untersucht, ob eine aktive Beratung der Patienten und eine Physiotherapie die Ergebnisse verbessern.
Für den ersten Teil der Studie wurde das Personal in einigen Notfallambulanzen darin geschult, die Patienten besser von der guten Prognose eines Schleudertraumas zu überzeugen und sie zu Übungen und zu einer frühen Wiederaufnahme ihre normalen Tätigkeit zu ermuntern. Die Patienten erhielten einen Ratgeber (The Whiplash Book), der die Erkrankung „entmystifizieren“ soll. Eine zweite Gruppe von Notfallambulanzen behandelte die Patienten wie zuvor.
Wie Sarah Lamb von der Universität Warwick berichtet, haben sich die Mühen der Notfallmediziner nicht ausgezahlt. Die 3.851 Patienten erholten sich mit und ohne Beratung gleich gut – oder auch gleich schlecht. In beiden Gruppen kam es zu einer signifikanten Verbesserung im Neck disability Index, doch ein Viertel der Patienten – in beiden Gruppen - klagte auch nach einem Jahr noch darüber, dass sich die Beschwerden nicht verbessert oder sogar noch verschlechtert hätten.
Insgesamt 599 Patienten mit persistierenden Symptomen wurden im zweiten Teil der Studie auf eine Beratung oder auf ein Physiotherapie-Paket aus mehreren Sitzungen randomisiert. Auch hier waren die Ergebnisse ernüchternd, wie Lamb berichtet. Die intensive Physiotherapie erzielte zwar anfangs eine gewisse Wirkung. Nach einem Jahr gab es jedoch keine Unterschiede mehr.
Für Lamb stehen die zusätzlichen Kosten für die aktive Beratung und die intensive Physiotherapie in keinem günstigen Verhältnis zum Ergebnis. Sie spricht sich deshalb dafür aus, die Patienten ohne intensive Beratung aus der Notfallambulanz zu entlassen und die Physiotherapie später auf eine einzelne Sitzung zu beschränken.
Der Kommentator Robert Ferrari von der Universität in Edmonton im kanadischen Teilstaat Alberta meint, dass die gesellschaftlichen und persönlichen „Erwartungen“ der Patienten ein Teil des Problems sind. Er erinnert an die Erfahrungen des Staates Saskatchewan, der 1995 die staatliche Versicherung von der Zahlung von Schmerzensgeld nach Verkehrsunfällen entbunden hat.
Prompt kam es zu einem Rückgang der Erkrankungszahlen und zur schnelleren Erholung der Patienten (NEJM 2000; 342: 1179-86). In einer anderen Studie, ebenfalls aus Kanada, kam heraus, dass Patienten, die nach einem Verkehrsunfall eine rasche Besserung ihrer Symptome erwarteten, sich auch schneller von ihrem Schleudertrauma erholten. Patienten, die eine Chronifizierung befürchteten, erlebten sie auch häufiger (J Rheumatol 2009; 36: 1063-1070).
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