Schmerzmedizinische Versorgung stärken
Düsseldorf – Etwa zehn Millionen Menschen in Deutschland leiden unter chronischen Schmerzen. Im Durchschnitt dauert die Leidensgeschichte eines Schmerzpatienten sieben Jahre, jeder Fünfte kämpft sogar 20 Jahre und länger gegen den Schmerz an. „Patienten haben ein Recht auf eine strukturierte und wirksame Schmerztherapie“, erklärt Martina Wenker, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer.
Deshalb fordert der 117. Deutsche Ärztetag in Düsseldorf einen niedrigschwelligen Zugang für alle betroffenen Patienten zu den erforderlichen schmerzmedizinischen Versorgungsebenen. Der Hausarzt sei in der Regel der erste Ansprechpartner für alle Gesundheitsprobleme, so auch für Patienten mit akuten und chronischen Schmerzen. „Ihm kommt dabei die Aufgabe zu, das Leitsymptom ,akuter Schmerz‘ vom chronischen Schmerz abzugrenzen und eine weitere Diagnostik und Differenzialdiagnostik einzuleiten“, heißt es in dem Ärztetags-Beschluss.
Desweiteren sei es seine Aufgabe, einen Therapieplan zu erstellen und erste therapeutische Maßnahmen zu ergreifen, heißt es weiter. „Unter hausärztlicher Kontrolle erfolgt im Sinne einer gestuften Versorgung die Hinzuziehung weiterer fachärztlicher Expertise bis hin zu schmerztherapeutischen Einrichtungen mit einem interdisziplinären und multiprofessionellen Behandlungsteam.“ Außerdem fordern die Ärztetagsdelegierten eine eigene Versorgung für die wachsende Zahl chronisch schmerzkranker Kinder und Jugendlicher, deren gesunde Entwicklung durch den chronischen Schmerz gefährdet sei.
Schmerztherapeutische Einrichtungen bei der Bedarfsplanung berücksichtigen
Der Beschluss spricht sich außerdem für eine konsequente Berücksichtigung schmerztherapeutischer Einrichtungen in den Bedarfsplänen der vertragsärztlichen Versorgung und eine Verbesserung der Akutschmerztherapie in den Krankenhäusern aus. Nationale Benchmark-Projekte hätten gezeigt, dass eine adäquate Akutschmerztherapie für Patienten im Krankenhaus machbar sei: „Während unzureichend behandelte Schmerzen mit einem erhöhten Risiko für eine Chronifizierung, einer erhöhten Mortalität und steigenden Behandlungskosten einhergehen, führt eine adäquate Akutschmerztherapie zu einer Verkürzung der Krankenhausverweildauer und zu Einsparungen im Gesundheitssystem.“
Die Effekte einer qualifizierten Akutschmerztherapie seien unter anderem eine schnellere Mobilisierung, eine Verbesserung der pulmonalen Funktion, eine Vermeidung von Chronifizierung sowie zufriedenere Patienten und Personal, erläuterte Referent Wolfgang Koppert, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Medizinische Hochschule Hannover. In jedem Fall sei eine Schmerztherapie eine ethisch und ökonomisch gebotene Leistung. Dazu verweist Koppert auf das Projekt „Schmerzfreies Krankenhaus“ in dem Defizite deutlich wurden, aus der aber auch hervorging, dass eine qualifizierte Schmerztherapie sowohl im operativen als auch im konservativen Bereich möglich sei. (DÄ, Heft 36/2010)
Beim chronischen Schmerz hat der zweite Referent Martin Scherer, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, eine strukturelle Unterversorgung in ländlichen Regionen festgestellt. Er fordert als oberstes Ziel eine Schmerzreduktion, aber gleichzeitig auch eine Reduktion von Medikamenten und eine Reduktion der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen.
Wenker begrüßt es, dass die Schmerztherapie als Querschnittsfach in der ärztlichen Approbationsordnung verankert wurde und von 2016 an Pflicht- und Prüfungsfach für Medizinstudierende ist. Eine systematische Berücksichtigung schmerzmedizinischer Kompetenz mit Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten in der allgemeinen Schmerzmedizin unter Berücksichtigung gebietsspezifischer Ausprägungen sei bereits seit 2003 in der (Muster-)Weiterbildungsordnung in allen patientenversorgenden Fachgebieten verankert worden. „Diese Anforderungen werden im Rahmen der Novellierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung konsequent weiterentwickelt“, heißt es in dem Ärztetags-Beschluss.
Wissenschaft und Forschung aus öffentlichen Mitteln finanzieren
Letztendlich könne eine zielgerichtete Aus-, Weiter- und Fortbildung nur auf dem allgemein anerkannten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgen. Deshalb müsse sichergestellt werden, dass neue, evidenzbasierte Erkenntnisse Eingang in die schmerzmedizinische Versorgung finden. Daher seien Wissenschaft und Forschung auch aus öffentlichen Mitteln finanziell zu fördern. Auch Scherer und Koppert halten mehr Versorgungsforschung für dringend erforderlich. „Sie ist die Basis der Qualität“, sagte Scherer.
In der Diskussion setzten sich die Delegierten unter anderem damit auseinander, ob man die schmerzmedizinischen Kompetenzen vieler Arztgruppen weiter stärken und sie besser honorieren müsse oder ob es eher darum gehen solle, betroffene Patienten früher und häufiger zu Schmerzspezialisten zu überweisen.
Jeder Facharzt müsse auf seinem Gebiet schmerztherapeutisch qualifiziert sein, befand Guido Marx, Nordrhein. Dies bedeutet seiner Meinung nach aber ebenso, dass schwieriger zu therapierende Patienten zu einem Spezialisten geschickt werden. Auch für eine gute Versorgung von Schmerzpatienten gehört seiner Meinung nach die hausärztliche Versorgung gestärkt. Marx verwies weiterhin darauf, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung gerade im Hausarztkapitel des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs neue Abrechnungsziffern für geriatrische und palliativmedizinische Leistungen eingeführt habe. Es könnten ja zukünftig auch noch Abrechnungsziffern für schmerztherapeutische Leistungen hinzukommen, meinte er.
Klaus Thierse, Berlin, verwies darauf, dass Patienten mit anhaltenden Schmerzen öfters auch deshalb zur diagnostischen Abklärung weiterüberwiesen würden, weil ihre Betreuung zeitintensiv sei, aber schlecht bezahlt. Dadurch gefährdet man seiner Meinung nach eine vernünftige, abgestufte Versorgung in der Fläche.
Carsten König, Nordrhein, wies Behauptungen zurück, die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte behandelten Schmerzpatienten unzureichend, weshalb es im Schnitt zwei Jahre bis zu einer zutreffenden Diagnose dauere. „Es ist das tägliche Tun der Niedergelassenen, Schmerzen zu befunden und adäquat zu behandeln“, sagte er. Dabei gingen sie auch nicht anders vor als die Kollegen in Zentren. König verwies zudem darauf, dass es die sehr kurzen Liegezeiten in Krankenhäusern den Ärzten dort erschwerten, Patienten mit Schmerzen adäquat einzustellen: Sie kämen häufig „entweder unterversorgt oder zugedröhnt“ in die Praxis.
Holger Werner, Rheinland-Pfalz, unterstützte die Forderung, dass schmerzmedizinische Kenntnisse in jedem Fach erworben werden müssen. Aber er warnte davor, in der Therapie zu streng nach einem Schema F vorzugehen. „Patienten haben ein Recht darauf, dass wir nach den Ursachen von Schmerz suchen und nicht zu schnell sagen: ,Du bist halt ein Schmerzpatient‘“, befand Werner. Er schilderte, dass er als Orthopäde regelmäßig konservative Therapien wie Krankengymnastik nicht mehr in ausreichendem Maß verordnen könne und deshalb die Schmerzen bei Patienten nicht abklängen. Dann gingen Patienten zu Schmerzmedizinern und erhielten beispielsweise Opiate.
Birgit Wulff, Hamburg, argumentierte, man solle stärker zwischen chronischer Schmerzkrankheit und Schmerz als Symptom einer Krankheit unterscheiden, forderte aber auch, „die Ursachen hinter dem Symptom Schmerz nicht zu vergessen“.
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