Medizin

Schwangerschaft: Studie für die meisten Neuroleptika kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko

  • Freitag, 19. August 2016

Boston – Die Einnahme von Neuroleptika im ersten Trimenon war in einer Analyse von Medicaid-Verordnungsdaten in JAMA Psychiatry (2016; doi: 10.1001/jamapsychiatry.2016.1520) nach einer Propensity-Analyse nicht mit einer erhöhten Rate von Fehlbildungen bei den Kindern assoziiert – mit einer Ausnahme. 

Der Einsatz von Arzneimitteln, die die Plazentaschranke überwinden, ist vor allem im ersten Trimenon höchst bedenklich, da in dieser Zeit die Anlage der Organe erfolgt. Störungen können hier schnell zu Fehlbildungen führen. Vor allem bei Medikamenten zur Behandlung von psychischen Erkrankungen überwogen lange die Bedenken. Dies hat sich in den USA in den letzten Jahren geändert.

Die Psychiater argumentieren, dass vor allem bei der Schizophrenie und bipolaren Erkrankungen das Rückfallrisiko nach Absetzen der Medikamente groß ist und das Verhalten ihrer Patientinnen auch die Gesundheit und das Leben des Kindes bedrohen. Von den 1,3 Millionen Schwangeren, die zwischen 2000 und 2010 finanzielle Unterstützung über den Medicaid-Plan für ärmere US-Amerikaner erhielten, hatten 9.258 Frauen (0,69 Prozent) ein atypisches Neuroleptikum erhalten. Weitere 733 Frauen (0,05 Prozent) hatten eines der älteren typischen Neuroleptika verschrieben bekommen. 

Mindestens 440 dieser Frauen brachten nach den Angaben in den Medicaid-Daten, die nicht unbedingt alle Fälle erfassen, ein Kind mit einer Fehlbildung zur Welt. Krista Huybrechts von Brigham and Women’s Hospital in Boston und Mitarbeiter errechnen eine Fehlbildungsrate von 4,45 Prozent der Geburten, wenn die Schwangeren atypische Neuroleptika verordnet bekommen hatten und von 3,82 Prozent der Kinder, die intrauterin im ersten Trimenon einem typischen Neuroleptikum ausgesetzt waren.

Unter den Frauen, denen diese Mittel nicht verordnet wurden, lag die Fehlbildungsrate bei 3,27 Prozent. Dies ergibt ein relatives Risiko von 1,36 für die Verordnung von atypischen Neuroleptika, das mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 1,24 bis 1,50 signifikant war. Nach der Anwendung von typischen Neuroleptika war das Risiko nicht-signifikant um 17 Prozent erhöht: Relatives Risiko 1,17; 0,81-1,68. Nach diesen Ergebnissen müssten die Psychiater bei Schwangeren eigentlich die schlechter verträglichen atypischen Neuroleptika bevorzugen oder Ziprasidon, das als einziges atypisches Neuroleptikum nicht mit einer erhöhten Fehlbildungsrate assoziiert war.

Bei dieser ersten Auswertung der Rohdaten wird aber übersehen, dass Schwangere, die mit Neuroleptika behandelt wurden, älter waren als Schwangere, die diese Mittel nicht erhalten hatten. Außerdem könnten bei ihnen einige Begleitfaktoren (etwa Erkran­kungen oder die Einnahme anderer Medikamente) häufiger sein, was die Ergebnisse schnell verzerren kann. Die Ungleichverteilungen der Patienteneigenschaften lassen sich mit statistischen Methoden eliminieren. Die zuverlässige Methode ist eine Propensity-Analyse, die zwei Gruppen von Frauen mit möglichst identischen Eigen­schaften gegenüberstellt.

Nach dieser Untersuchung war das erhöhte Fehlbildungsrisiko tatsächlich ver­schwunden. Huybrechts und Mitarbeiter kommen jetzt für die atypischen Neuroleptika auf ein relatives Risiko von 1,05 mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall 0,96 bis 1,16. Die Assoziation war nicht mehr signifikant und selbst in einem ungünstigen Szenario wäre das Risiko „nur“ um 16 Prozent erhöht. Für die typischen Neuroleptika ermitteln die Forscher ein relatives Risiko von 0,90 (0,62-1,31). Das weite 95-Prozent-Konfidenzintervall dürfte sich daraus erklären, dass diese Mittel heute nur selten eingesetzt werden.

Diese Ergebnisse entkräften – bis auf ein gewisses Restrisiko – den Verdacht, dass Neuroleptika zu einer erhöhten Rate von Fehlbildungen führen. Es gab jedoch eine Ausnahme: Die Verordnung von Risperidon war mit einer um 26 Prozent erhöhten Fehlbildungsrate assoziiert (relatives Risiko 1,26; 1,02-1,56). Eine zweite Analyse, die auf Schwangere beschränkt war, die mindestens zwei Rezepte einlösten (was die Chance erhöht, dass sie die Medikamente auch tatsächlich einnahmen), ermittelte einen Anstieg der Fehlbildungsrate um 46 Prozent (relatives Risiko 1,46; 1,01-2,10). In dieser Analyse war das Risiko von Herzfehlbildungen sogar um 87 Prozent erhöht (relatives Risiko 1,87; 1,09-3,19).

Huybrechts sieht in diesem Ergebnis ein erstes „Sicherheitssignal“, das durch weitere Studien bestätigt werden müsste. Der Verdacht ist von Bedeutung, da Risperidon nach Quetiapin und Aripiprazol das dritthäufigste bei Schwangeren eingesetzte atypische Neuroleptikum war.

rme

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