Medizin

SCID: Neuer Virusvektor vermeidet Leukämie nach Gentherapie

  • Freitag, 10. Oktober 2014

Paris/Boston – Eine anfangs erfolgreiche Gentherapie der angeborenen Immun­schwäche X-SCID1 musste vor einigen Jahren abgebrochen werden, nachdem mehrere Kinder an einer Leukämie erkrankt waren. Eine Modifikation des Virusvektors soll diese Komplikation verhindern. Bisher hat sich die Behandlung als sicher und effektiv erwiesen, wie erste klinische Ergebnisse im New England Journal of Medicine (2014; 371: 1407-1417) zeigen.

Bei der X-SCID1 (severe combined immunodeficiency) ist durch Mutationen im Interleu­kin-Rezeptor-gamma-Gen die erworbene Immunabwehr so stark geschädigt, dass die Kinder im ersten Lebensjahr sterben, sofern sie nicht in einer keimfreien Umgebung (Bubble boy) aufwachsen. Eine allogene hämatopoetische Stammzelltransplantation kann die Erkrankung heilen.

Nicht alle Kinder haben jedoch einen passenden Spender in der Familie. Für die anderen Kinder hatten Alain Fischer und Mitarbeiter am Hôpital Necker des Enfants Malades in Paris Ende der 90er Jahre eine Gentherapie entwickelt. Sie nutzten dazu ein Verfahren, bei dem die korrekte Version des Gens mit Hilfe eines sogenannten Vektors, einem Maus-Leukämie-Virus, gezielt in die T-Zellen integriert wurde, deren Ausfall für die X-SCID1 verantwortlich ist.

Die Ergebnisse waren zunächst gut. Fast alle Kinder wurden von ihrem Immundefekt befreit. Doch im Mittel 33 Monate nach der Behandlung erkrankten fünf der ersten 20 Patienten an einer Leukämie. Bei diesen Kindern hatte sich das Maus-Leukämie-Virus in einigen Zellen an einer ungünstigen Stelle ins Genom der T-Zellen integriert. Es kam zur Aktivierung von Onkogenen und zu einer klonalen Vermehrung der Zellen. Die Folge war eine Leukämie.

Dieses Risiko soll jetzt durch die Wahl eines modifizierten Maus-Leukämie-Virus vermieden werden. Der „self-inactivating“ (SIN) Vektor soll nicht mehr in der Lage sein, die Onkogene anzuschalten. Bislang wurden in Paris, London, Boston und Los Angeles neun Kinder behandelt: Sechs entwickelten gleich nach der ersten Gentherapie ein funktionsfähiges Immunsystem. Bei dem siebten Kind hat sich die T-Zell-Zahl nach einer zweiten Gentherapie erst teilweise erholt. Das achte Kind erhielt nach einer erfolglosen Gentherapie eine Stammzelltransplantation, das neunte Kind starb an einer schweren Adenovirusinfektion, bevor sich ein funktionsfähiges Immunsystem herausgebildet hatte.

Die sechs oder sieben durch die Gentherapie geheilten Kinder können nach Einschätzung von David Williams vom Boston Children’s Hospital und Alain Fischer vom Hôpital Necker in Paris auf ein normales Leben hoffen – sofern sie nicht doch noch an einer Leukämie erkranken. Ganz auszuschließen sei dies im Moment noch nicht. Die Blutzellen der Kinder werden jedoch regelmäßig untersucht. Inzwischen sind im Mittel wieder 33 Monate seit Behandlungsbeginn vergangen, ohne dass es Hinweise auf eine „klonale Schräglage“ (clonal skewing) gibt, wie die Forscher versichern. Die Kinder sollen jedoch noch bis zum 15. Lebensjahr beobachtet werden.

rme

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